Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Sprache, absolut betrachtet oder an sich, ist nur Eine, wie
die Vernunft nur Eine ist, aber aus dieser Einheit gehen ebenso, wie
aus der absoluten Identität die verschiedenen Dinge, die verschiedenen
Sprachen hervor, deren jede für sich ein Universum, von den andern
absolut gesondert, und die doch alle wesentlich eins, nicht bloß dem
inneren Ausdruck der Vernunft nach, sondern auch was die Elemente
betrifft, die bei jeder Sprache, wenige Nüancen ausgenommen, gleich
sind. Nämlich dieser äußere Leib selbst ist in sich wieder Seele und
Leib. Die Vocale sind gleichsam der unmittelbare Aushauch des Geistes,
die formirende Form (das Affirmative); die Consonanten sind der Leib
der Sprache oder die geformte Form (das Affirmirte).

Je mehr daher in einer Sprache Vocale sind, -- jedoch so, daß
die Begrenzung durch die Consonanten nicht bis zu einem gewissen Grad
verschwinde --, desto beseelter, und umgekehrt, je überhäufter mit
Consonanten, desto seelenloser.

Ich will hier noch kurz die verschiedentlich gemachte Frage berüh-
ren, warum sich das Vernunftwesen eben für die Rede oder Stimme
als unmittelbaren Leib der inneren Seele entschieden habe, da es auch
andere äußere Zeichen, z. B. Geberden, dazu hätte brauchen können,
wie nicht nur die Taubstummen sich verständlich machen, sondern auch
gewissermaßen alle wilden und uncultivirten Nationen, die mit dem ganzen
Leib sprechen. Schon die Frage selbst betrachtet die Sprache als Willkür
und als Erfindung der Willkür. Einige haben als Grund angegeben,
diese äußeren Zeichen hätten solche seyn müssen, die der, welcher sie
brauchte, zugleich selbst beurtheilen konnte, also natürlich ein auf Laut
und Stimme sich beziehendes Zeichensystem, damit der Sprecher sich
zugleich selbst hörte, welches bekanntlich für manche Sprecher in der
That ein großes Vergnügen ist. -- So zufällig ist die Sprache nicht; es
liegt eine höhere Nothwendigkeit darin, daß Laut und Stimme das
Organ seyn müssen, die inneren Gedanken und Bewegungen der Seele
auszudrücken. Man könnte jene Erklärer fragen, warum denn auch
der Vogel Gesang und das Thier eine Stimme hat.

Die Frage nach dem ersten Ursprung der Sprache hat bekanntlich

Die Sprache, abſolut betrachtet oder an ſich, iſt nur Eine, wie
die Vernunft nur Eine iſt, aber aus dieſer Einheit gehen ebenſo, wie
aus der abſoluten Identität die verſchiedenen Dinge, die verſchiedenen
Sprachen hervor, deren jede für ſich ein Univerſum, von den andern
abſolut geſondert, und die doch alle weſentlich eins, nicht bloß dem
inneren Ausdruck der Vernunft nach, ſondern auch was die Elemente
betrifft, die bei jeder Sprache, wenige Nüancen ausgenommen, gleich
ſind. Nämlich dieſer äußere Leib ſelbſt iſt in ſich wieder Seele und
Leib. Die Vocale ſind gleichſam der unmittelbare Aushauch des Geiſtes,
die formirende Form (das Affirmative); die Conſonanten ſind der Leib
der Sprache oder die geformte Form (das Affirmirte).

Je mehr daher in einer Sprache Vocale ſind, — jedoch ſo, daß
die Begrenzung durch die Conſonanten nicht bis zu einem gewiſſen Grad
verſchwinde —, deſto beſeelter, und umgekehrt, je überhäufter mit
Conſonanten, deſto ſeelenloſer.

Ich will hier noch kurz die verſchiedentlich gemachte Frage berüh-
ren, warum ſich das Vernunftweſen eben für die Rede oder Stimme
als unmittelbaren Leib der inneren Seele entſchieden habe, da es auch
andere äußere Zeichen, z. B. Geberden, dazu hätte brauchen können,
wie nicht nur die Taubſtummen ſich verſtändlich machen, ſondern auch
gewiſſermaßen alle wilden und uncultivirten Nationen, die mit dem ganzen
Leib ſprechen. Schon die Frage ſelbſt betrachtet die Sprache als Willkür
und als Erfindung der Willkür. Einige haben als Grund angegeben,
dieſe äußeren Zeichen hätten ſolche ſeyn müſſen, die der, welcher ſie
brauchte, zugleich ſelbſt beurtheilen konnte, alſo natürlich ein auf Laut
und Stimme ſich beziehendes Zeichenſyſtem, damit der Sprecher ſich
zugleich ſelbſt hörte, welches bekanntlich für manche Sprecher in der
That ein großes Vergnügen iſt. — So zufällig iſt die Sprache nicht; es
liegt eine höhere Nothwendigkeit darin, daß Laut und Stimme das
Organ ſeyn müſſen, die inneren Gedanken und Bewegungen der Seele
auszudrücken. Man könnte jene Erklärer fragen, warum denn auch
der Vogel Geſang und das Thier eine Stimme hat.

Die Frage nach dem erſten Urſprung der Sprache hat bekanntlich

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <pb facs="#f0161" n="485"/>
              <p>Die Sprache, ab&#x017F;olut betrachtet oder an &#x017F;ich, i&#x017F;t nur Eine, wie<lb/>
die Vernunft nur Eine i&#x017F;t, aber aus die&#x017F;er Einheit gehen eben&#x017F;o, wie<lb/>
aus der ab&#x017F;oluten Identität die ver&#x017F;chiedenen Dinge, die ver&#x017F;chiedenen<lb/>
Sprachen hervor, deren jede für &#x017F;ich ein Univer&#x017F;um, von den andern<lb/>
ab&#x017F;olut ge&#x017F;ondert, und die doch alle <hi rendition="#g">we&#x017F;entlich</hi> eins, nicht bloß dem<lb/>
inneren Ausdruck der Vernunft nach, &#x017F;ondern auch was die Elemente<lb/>
betrifft, die bei jeder Sprache, wenige Nüancen ausgenommen, gleich<lb/>
&#x017F;ind. Nämlich die&#x017F;er äußere Leib &#x017F;elb&#x017F;t i&#x017F;t in &#x017F;ich wieder Seele und<lb/>
Leib. Die Vocale &#x017F;ind gleich&#x017F;am der unmittelbare Aushauch des Gei&#x017F;tes,<lb/>
die formirende Form (das Affirmative); die Con&#x017F;onanten &#x017F;ind der Leib<lb/>
der Sprache oder die geformte Form (das Affirmirte).</p><lb/>
              <p>Je mehr daher in einer Sprache Vocale &#x017F;ind, &#x2014; jedoch &#x017F;o, daß<lb/>
die Begrenzung durch die Con&#x017F;onanten nicht bis zu einem gewi&#x017F;&#x017F;en Grad<lb/>
ver&#x017F;chwinde &#x2014;, de&#x017F;to be&#x017F;eelter, und umgekehrt, je überhäufter mit<lb/>
Con&#x017F;onanten, de&#x017F;to &#x017F;eelenlo&#x017F;er.</p><lb/>
              <p>Ich will hier noch kurz die ver&#x017F;chiedentlich gemachte Frage berüh-<lb/>
ren, warum &#x017F;ich das Vernunftwe&#x017F;en eben für die Rede oder Stimme<lb/>
als unmittelbaren Leib der inneren Seele ent&#x017F;chieden habe, da es auch<lb/>
andere äußere Zeichen, z. B. Geberden, dazu hätte brauchen können,<lb/>
wie nicht nur die Taub&#x017F;tummen &#x017F;ich ver&#x017F;tändlich machen, &#x017F;ondern auch<lb/>
gewi&#x017F;&#x017F;ermaßen alle wilden und uncultivirten Nationen, die mit dem ganzen<lb/>
Leib &#x017F;prechen. Schon die Frage &#x017F;elb&#x017F;t betrachtet die Sprache als Willkür<lb/>
und als Erfindung der Willkür. Einige haben als Grund angegeben,<lb/>
die&#x017F;e äußeren Zeichen hätten &#x017F;olche &#x017F;eyn mü&#x017F;&#x017F;en, die der, welcher &#x017F;ie<lb/>
brauchte, zugleich &#x017F;elb&#x017F;t beurtheilen konnte, al&#x017F;o natürlich ein auf Laut<lb/>
und Stimme &#x017F;ich beziehendes Zeichen&#x017F;y&#x017F;tem, damit der Sprecher &#x017F;ich<lb/>
zugleich &#x017F;elb&#x017F;t hörte, welches bekanntlich für manche Sprecher in der<lb/>
That ein großes Vergnügen i&#x017F;t. &#x2014; So zufällig i&#x017F;t die Sprache nicht; es<lb/>
liegt eine höhere Nothwendigkeit darin, daß Laut und Stimme das<lb/>
Organ &#x017F;eyn mü&#x017F;&#x017F;en, die inneren Gedanken und Bewegungen der Seele<lb/>
auszudrücken. Man könnte jene Erklärer fragen, warum denn auch<lb/>
der Vogel Ge&#x017F;ang und das Thier eine Stimme hat.</p><lb/>
              <p>Die Frage nach dem er&#x017F;ten Ur&#x017F;prung der Sprache hat bekanntlich<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[485/0161] Die Sprache, abſolut betrachtet oder an ſich, iſt nur Eine, wie die Vernunft nur Eine iſt, aber aus dieſer Einheit gehen ebenſo, wie aus der abſoluten Identität die verſchiedenen Dinge, die verſchiedenen Sprachen hervor, deren jede für ſich ein Univerſum, von den andern abſolut geſondert, und die doch alle weſentlich eins, nicht bloß dem inneren Ausdruck der Vernunft nach, ſondern auch was die Elemente betrifft, die bei jeder Sprache, wenige Nüancen ausgenommen, gleich ſind. Nämlich dieſer äußere Leib ſelbſt iſt in ſich wieder Seele und Leib. Die Vocale ſind gleichſam der unmittelbare Aushauch des Geiſtes, die formirende Form (das Affirmative); die Conſonanten ſind der Leib der Sprache oder die geformte Form (das Affirmirte). Je mehr daher in einer Sprache Vocale ſind, — jedoch ſo, daß die Begrenzung durch die Conſonanten nicht bis zu einem gewiſſen Grad verſchwinde —, deſto beſeelter, und umgekehrt, je überhäufter mit Conſonanten, deſto ſeelenloſer. Ich will hier noch kurz die verſchiedentlich gemachte Frage berüh- ren, warum ſich das Vernunftweſen eben für die Rede oder Stimme als unmittelbaren Leib der inneren Seele entſchieden habe, da es auch andere äußere Zeichen, z. B. Geberden, dazu hätte brauchen können, wie nicht nur die Taubſtummen ſich verſtändlich machen, ſondern auch gewiſſermaßen alle wilden und uncultivirten Nationen, die mit dem ganzen Leib ſprechen. Schon die Frage ſelbſt betrachtet die Sprache als Willkür und als Erfindung der Willkür. Einige haben als Grund angegeben, dieſe äußeren Zeichen hätten ſolche ſeyn müſſen, die der, welcher ſie brauchte, zugleich ſelbſt beurtheilen konnte, alſo natürlich ein auf Laut und Stimme ſich beziehendes Zeichenſyſtem, damit der Sprecher ſich zugleich ſelbſt hörte, welches bekanntlich für manche Sprecher in der That ein großes Vergnügen iſt. — So zufällig iſt die Sprache nicht; es liegt eine höhere Nothwendigkeit darin, daß Laut und Stimme das Organ ſeyn müſſen, die inneren Gedanken und Bewegungen der Seele auszudrücken. Man könnte jene Erklärer fragen, warum denn auch der Vogel Geſang und das Thier eine Stimme hat. Die Frage nach dem erſten Urſprung der Sprache hat bekanntlich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/161
Zitationshilfe: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 485. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/161>, abgerufen am 26.11.2024.