Werke, deren einziges oder Hauptverdienst wenigstens das Saubere ist. Es gibt aber auch eine rohe und derbe Manier, wo mit Absicht das Uebertriebene, Forcirte gesucht wird. Immer ist Manier eine Be- schränkung und zeigt sich in der Unfähigkeit, gewisse Besonderheiten der Form, es sey nun im Ganzen der Figuren (denn am besten werden die Beispiele doch von der bildenden Kunst hergenommen) oder in ein- zelnen Theilen zu überwinden. So gibt es Maler, die nur kurze und stämmige, andere, die nur lang und schmal auslaufende, hagere Fi- guren machen können; andere, die entweder nur dicke oder dünne Beine machen oder dieselbe Form der Köpfe halsstarrig immer wieder bringen.
Das Manierirte zeigt sich dann noch weiter in dem Verhältniß, das den Figuren zu einander gegeben wird, vorzüglich in dem Eigensinn der Stellungen, aber selbst in der ersten Invention und der unbieg- samen Gewohnheit, alle Sujets von einer gewissen Seite, z. B. der empfindsamen, der geistreichen, oder gar witzigen aufzufassen. Das bloß Geistreiche, ebenso wie der Witz, gehört einzig zur sentimentalen Richtung, da die Kunst im großen Styl, selbst bei Aristophanes, eigent- lich nie witzig, sondern immer nur groß ist.
Es muß endlich noch bemerkt werden, daß die Besonderheit, welche in dem Styl zur Allgemeinheit hinzukommt, außer der des einzelnen Individuum, auch die der Zeit seyn kann. In diesem Sinn spricht man von dem verschiedenen Styl verschiedener Zeitalter.
Der Styl, welchen sich der individuelle Künstler bildet, ist für ihn, was ein Denksystem für den Philosophen im Wissen, oder für den Menschen im Handeln ist. Winckelmann nennt ihn daher mit Recht ein System der Kunst und sagt, daß der ältere Styl auf ein System ge- baut gewesen.
Von den Schwierigkeiten in bedeutenden Fällen Styl und Manier und den Uebergang des Einen zu unterscheiden, wäre viel zu sagen. Allein dieß ist nicht unseres Amts und geht die allgemeine Wissenschaft der Kunst nichts an.
Werke, deren einziges oder Hauptverdienſt wenigſtens das Saubere iſt. Es gibt aber auch eine rohe und derbe Manier, wo mit Abſicht das Uebertriebene, Forcirte geſucht wird. Immer iſt Manier eine Be- ſchränkung und zeigt ſich in der Unfähigkeit, gewiſſe Beſonderheiten der Form, es ſey nun im Ganzen der Figuren (denn am beſten werden die Beiſpiele doch von der bildenden Kunſt hergenommen) oder in ein- zelnen Theilen zu überwinden. So gibt es Maler, die nur kurze und ſtämmige, andere, die nur lang und ſchmal auslaufende, hagere Fi- guren machen können; andere, die entweder nur dicke oder dünne Beine machen oder dieſelbe Form der Köpfe halsſtarrig immer wieder bringen.
Das Manierirte zeigt ſich dann noch weiter in dem Verhältniß, das den Figuren zu einander gegeben wird, vorzüglich in dem Eigenſinn der Stellungen, aber ſelbſt in der erſten Invention und der unbieg- ſamen Gewohnheit, alle Sujets von einer gewiſſen Seite, z. B. der empfindſamen, der geiſtreichen, oder gar witzigen aufzufaſſen. Das bloß Geiſtreiche, ebenſo wie der Witz, gehört einzig zur ſentimentalen Richtung, da die Kunſt im großen Styl, ſelbſt bei Ariſtophanes, eigent- lich nie witzig, ſondern immer nur groß iſt.
Es muß endlich noch bemerkt werden, daß die Beſonderheit, welche in dem Styl zur Allgemeinheit hinzukommt, außer der des einzelnen Individuum, auch die der Zeit ſeyn kann. In dieſem Sinn ſpricht man von dem verſchiedenen Styl verſchiedener Zeitalter.
Der Styl, welchen ſich der individuelle Künſtler bildet, iſt für ihn, was ein Denkſyſtem für den Philoſophen im Wiſſen, oder für den Menſchen im Handeln iſt. Winckelmann nennt ihn daher mit Recht ein Syſtem der Kunſt und ſagt, daß der ältere Styl auf ein Syſtem ge- baut geweſen.
Von den Schwierigkeiten in bedeutenden Fällen Styl und Manier und den Uebergang des Einen zu unterſcheiden, wäre viel zu ſagen. Allein dieß iſt nicht unſeres Amts und geht die allgemeine Wiſſenſchaft der Kunſt nichts an.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0153"n="477"/>
Werke, deren einziges oder Hauptverdienſt wenigſtens das Saubere iſt.<lb/>
Es gibt aber auch eine rohe und derbe Manier, wo mit Abſicht das<lb/>
Uebertriebene, Forcirte geſucht wird. Immer iſt Manier eine Be-<lb/>ſchränkung und zeigt ſich in der Unfähigkeit, gewiſſe Beſonderheiten der<lb/>
Form, es ſey nun im Ganzen der Figuren (denn am beſten werden<lb/>
die Beiſpiele doch von der bildenden Kunſt hergenommen) oder in ein-<lb/>
zelnen Theilen zu überwinden. So gibt es Maler, die nur kurze und<lb/>ſtämmige, andere, die nur lang und ſchmal auslaufende, hagere Fi-<lb/>
guren machen können; andere, die entweder nur dicke oder dünne<lb/>
Beine machen oder dieſelbe Form der Köpfe halsſtarrig immer wieder<lb/>
bringen.</p><lb/><p>Das Manierirte zeigt ſich dann noch weiter in dem Verhältniß,<lb/>
das den Figuren zu einander gegeben wird, vorzüglich in dem Eigenſinn<lb/>
der Stellungen, aber ſelbſt in der erſten Invention und der unbieg-<lb/>ſamen Gewohnheit, alle Sujets von einer gewiſſen Seite, z. B. der<lb/>
empfindſamen, der geiſtreichen, oder gar witzigen aufzufaſſen. Das<lb/>
bloß Geiſtreiche, ebenſo wie der Witz, gehört einzig zur ſentimentalen<lb/>
Richtung, da die Kunſt im großen Styl, ſelbſt bei Ariſtophanes, eigent-<lb/>
lich nie witzig, ſondern immer nur groß iſt.</p><lb/><p>Es muß endlich noch bemerkt werden, daß die Beſonderheit, welche<lb/>
in dem Styl zur Allgemeinheit hinzukommt, außer der des einzelnen<lb/>
Individuum, auch die der <hirendition="#g">Zeit</hi>ſeyn kann. In dieſem Sinn ſpricht<lb/>
man von dem verſchiedenen Styl verſchiedener Zeitalter.</p><lb/><p>Der Styl, welchen ſich der individuelle Künſtler bildet, iſt für ihn,<lb/>
was ein Denkſyſtem für den Philoſophen im Wiſſen, oder für den<lb/>
Menſchen im Handeln iſt. Winckelmann nennt ihn daher mit Recht ein<lb/>
Syſtem der Kunſt und ſagt, daß der ältere Styl auf ein Syſtem ge-<lb/>
baut geweſen.</p><lb/><p>Von den Schwierigkeiten in bedeutenden Fällen Styl und Manier<lb/>
und den Uebergang des Einen zu unterſcheiden, wäre viel zu ſagen.<lb/>
Allein dieß iſt nicht unſeres Amts und geht die allgemeine Wiſſenſchaft<lb/>
der Kunſt nichts an.</p><lb/></div></div></div></body></text></TEI>
[477/0153]
Werke, deren einziges oder Hauptverdienſt wenigſtens das Saubere iſt.
Es gibt aber auch eine rohe und derbe Manier, wo mit Abſicht das
Uebertriebene, Forcirte geſucht wird. Immer iſt Manier eine Be-
ſchränkung und zeigt ſich in der Unfähigkeit, gewiſſe Beſonderheiten der
Form, es ſey nun im Ganzen der Figuren (denn am beſten werden
die Beiſpiele doch von der bildenden Kunſt hergenommen) oder in ein-
zelnen Theilen zu überwinden. So gibt es Maler, die nur kurze und
ſtämmige, andere, die nur lang und ſchmal auslaufende, hagere Fi-
guren machen können; andere, die entweder nur dicke oder dünne
Beine machen oder dieſelbe Form der Köpfe halsſtarrig immer wieder
bringen.
Das Manierirte zeigt ſich dann noch weiter in dem Verhältniß,
das den Figuren zu einander gegeben wird, vorzüglich in dem Eigenſinn
der Stellungen, aber ſelbſt in der erſten Invention und der unbieg-
ſamen Gewohnheit, alle Sujets von einer gewiſſen Seite, z. B. der
empfindſamen, der geiſtreichen, oder gar witzigen aufzufaſſen. Das
bloß Geiſtreiche, ebenſo wie der Witz, gehört einzig zur ſentimentalen
Richtung, da die Kunſt im großen Styl, ſelbſt bei Ariſtophanes, eigent-
lich nie witzig, ſondern immer nur groß iſt.
Es muß endlich noch bemerkt werden, daß die Beſonderheit, welche
in dem Styl zur Allgemeinheit hinzukommt, außer der des einzelnen
Individuum, auch die der Zeit ſeyn kann. In dieſem Sinn ſpricht
man von dem verſchiedenen Styl verſchiedener Zeitalter.
Der Styl, welchen ſich der individuelle Künſtler bildet, iſt für ihn,
was ein Denkſyſtem für den Philoſophen im Wiſſen, oder für den
Menſchen im Handeln iſt. Winckelmann nennt ihn daher mit Recht ein
Syſtem der Kunſt und ſagt, daß der ältere Styl auf ein Syſtem ge-
baut geweſen.
Von den Schwierigkeiten in bedeutenden Fällen Styl und Manier
und den Uebergang des Einen zu unterſcheiden, wäre viel zu ſagen.
Allein dieß iſt nicht unſeres Amts und geht die allgemeine Wiſſenſchaft
der Kunſt nichts an.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 477. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/153>, abgerufen am 26.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.