Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859.

Bild:
<< vorherige Seite

Schillers Worte 1 zu bedienen) die Unermeßlichkeit der Natur nur
an die Schranken seiner Fassungskraft, ebenso wie die furchtbare
und mit unmeßbaren Kräften verderbende Natur einzig an seine
Ohnmacht erinnern. In der bloß sinnlichen Anschauung würde er
sich nun entweder mit Kleinmuth oder Entsetzen von diesem großen
Bild der Natur abwenden. Aber nicht so bald erhebt er sich zur ab-
soluten Contemplation, kaum steigt ihm das Unendliche einer höheren
Anschauung herab in die Fluth dieser Erscheinungen und verbindet sich
mit dem Ungeheuren der sinnlichen Anschauung als seiner bloßen Hülle,
so fangen die wilden Naturmassen um ihn her an eine ganz andere
Anschauung für ihn zu werden, indem ihm das relativ Große außer
ihm nur der Spiegel ist, worin er das absolut Große, das Unend-
liche an und für sich selbst erblickt. Absichtlich bietet er nun das Ver-
mögen, das an sich Unendliche anzuschauen, auf, um das sinnlich-
Unendliche ihm als bloße Form zu unterwerfen, und in diesem Unter-
liegen des sinnlich-Großen die Ueberlegenheit seiner Ideen über das
Höchste, was die Natur aufbieten oder darstellen kann, desto unmittel-
barer zu empfinden.

Diese Anschauung des Erhabenen ist ihrer Verwandtschaft mit dem
Ideellen und Sittlichen unerachtet eine ästhetische Anschauung, um hier
einmal dieses Wort zu gebrauchen. Das Unendliche ist das Herrschende,
aber es herrscht doch nur, inwiefern es in dem sinnlich-Unendlichen,
das insofern wieder ein Endliches ist, angeschaut wird.

Dieses Anschauen des wahrhaft Unendlichen in dem Unendlichen
der Natur ist die Poesie, welche der Mensch allgemein üben kann;
denn es ist der Anschauende selbst, dem das relativ Große der Natur
zum Erhabenen wird, indem er es zum Symbol des absolut Großen
macht.

Die moralische und intellektuelle Schlaffheit, die Weichlichkeit
wie die Feigheit der Gesinnung wendet sich von diesen großen Anblicken
ab, welche ihr ein furchtbares Bild ihrer eignen Nichtigkeit und

1 Ueber das Erhabene (Taschenausgabe 1847, Bd. 12, S. 292). D. H.

Schillers Worte 1 zu bedienen) die Unermeßlichkeit der Natur nur
an die Schranken ſeiner Faſſungskraft, ebenſo wie die furchtbare
und mit unmeßbaren Kräften verderbende Natur einzig an ſeine
Ohnmacht erinnern. In der bloß ſinnlichen Anſchauung würde er
ſich nun entweder mit Kleinmuth oder Entſetzen von dieſem großen
Bild der Natur abwenden. Aber nicht ſo bald erhebt er ſich zur ab-
ſoluten Contemplation, kaum ſteigt ihm das Unendliche einer höheren
Anſchauung herab in die Fluth dieſer Erſcheinungen und verbindet ſich
mit dem Ungeheuren der ſinnlichen Anſchauung als ſeiner bloßen Hülle,
ſo fangen die wilden Naturmaſſen um ihn her an eine ganz andere
Anſchauung für ihn zu werden, indem ihm das relativ Große außer
ihm nur der Spiegel iſt, worin er das abſolut Große, das Unend-
liche an und für ſich ſelbſt erblickt. Abſichtlich bietet er nun das Ver-
mögen, das an ſich Unendliche anzuſchauen, auf, um das ſinnlich-
Unendliche ihm als bloße Form zu unterwerfen, und in dieſem Unter-
liegen des ſinnlich-Großen die Ueberlegenheit ſeiner Ideen über das
Höchſte, was die Natur aufbieten oder darſtellen kann, deſto unmittel-
barer zu empfinden.

Dieſe Anſchauung des Erhabenen iſt ihrer Verwandtſchaft mit dem
Ideellen und Sittlichen unerachtet eine äſthetiſche Anſchauung, um hier
einmal dieſes Wort zu gebrauchen. Das Unendliche iſt das Herrſchende,
aber es herrſcht doch nur, inwiefern es in dem ſinnlich-Unendlichen,
das inſofern wieder ein Endliches iſt, angeſchaut wird.

Dieſes Anſchauen des wahrhaft Unendlichen in dem Unendlichen
der Natur iſt die Poeſie, welche der Menſch allgemein üben kann;
denn es iſt der Anſchauende ſelbſt, dem das relativ Große der Natur
zum Erhabenen wird, indem er es zum Symbol des abſolut Großen
macht.

Die moraliſche und intellektuelle Schlaffheit, die Weichlichkeit
wie die Feigheit der Geſinnung wendet ſich von dieſen großen Anblicken
ab, welche ihr ein furchtbares Bild ihrer eignen Nichtigkeit und

1 Ueber das Erhabene (Taſchenausgabe 1847, Bd. 12, S. 292). D. H.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0139" n="463"/>
Schillers Worte <note place="foot" n="1">Ueber das Erhabene (Ta&#x017F;chenausgabe 1847, Bd. 12, S. 292). D. H.</note> zu bedienen) die Unermeßlichkeit der Natur nur<lb/>
an die Schranken &#x017F;einer Fa&#x017F;&#x017F;ungskraft, eben&#x017F;o wie die furchtbare<lb/>
und mit unmeßbaren Kräften verderbende Natur einzig an &#x017F;eine<lb/>
Ohnmacht erinnern. In der bloß &#x017F;innlichen An&#x017F;chauung würde er<lb/>
&#x017F;ich nun entweder mit Kleinmuth oder Ent&#x017F;etzen von die&#x017F;em großen<lb/>
Bild der Natur abwenden. Aber nicht &#x017F;o bald erhebt er &#x017F;ich zur ab-<lb/>
&#x017F;oluten Contemplation, kaum &#x017F;teigt ihm das Unendliche einer höheren<lb/>
An&#x017F;chauung herab in die Fluth die&#x017F;er Er&#x017F;cheinungen und verbindet &#x017F;ich<lb/>
mit dem Ungeheuren der &#x017F;innlichen An&#x017F;chauung als &#x017F;einer bloßen Hülle,<lb/>
&#x017F;o fangen die wilden Naturma&#x017F;&#x017F;en um ihn her an eine ganz andere<lb/>
An&#x017F;chauung für ihn zu werden, indem ihm das relativ Große außer<lb/>
ihm nur der Spiegel i&#x017F;t, worin er das <hi rendition="#g">ab&#x017F;olut</hi> Große, das Unend-<lb/>
liche an und für &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t erblickt. Ab&#x017F;ichtlich bietet er nun das Ver-<lb/>
mögen, das an &#x017F;ich Unendliche anzu&#x017F;chauen, auf, um das &#x017F;innlich-<lb/>
Unendliche ihm als bloße Form zu unterwerfen, und in die&#x017F;em Unter-<lb/>
liegen des &#x017F;innlich-Großen die Ueberlegenheit &#x017F;einer Ideen über das<lb/><hi rendition="#g">Höch&#x017F;te</hi>, was die Natur aufbieten oder dar&#x017F;tellen kann, de&#x017F;to unmittel-<lb/>
barer zu empfinden.</p><lb/>
            <p>Die&#x017F;e An&#x017F;chauung des Erhabenen i&#x017F;t ihrer Verwandt&#x017F;chaft mit dem<lb/>
Ideellen und Sittlichen unerachtet eine ä&#x017F;theti&#x017F;che An&#x017F;chauung, um hier<lb/>
einmal die&#x017F;es Wort zu gebrauchen. Das Unendliche i&#x017F;t das Herr&#x017F;chende,<lb/>
aber es herr&#x017F;cht doch nur, inwiefern es in dem &#x017F;innlich-Unendlichen,<lb/>
das in&#x017F;ofern wieder ein Endliches i&#x017F;t, ange&#x017F;chaut wird.</p><lb/>
            <p>Die&#x017F;es An&#x017F;chauen des wahrhaft Unendlichen in dem Unendlichen<lb/>
der Natur i&#x017F;t die Poe&#x017F;ie, welche der Men&#x017F;ch allgemein üben kann;<lb/>
denn es i&#x017F;t der An&#x017F;chauende &#x017F;elb&#x017F;t, dem das relativ Große der Natur<lb/>
zum Erhabenen wird, indem er es zum Symbol des ab&#x017F;olut Großen<lb/>
macht.</p><lb/>
            <p>Die morali&#x017F;che und intellektuelle Schlaffheit, die Weichlichkeit<lb/>
wie die Feigheit der Ge&#x017F;innung wendet &#x017F;ich von die&#x017F;en großen Anblicken<lb/>
ab, welche ihr ein furchtbares Bild ihrer eignen Nichtigkeit und<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[463/0139] Schillers Worte 1 zu bedienen) die Unermeßlichkeit der Natur nur an die Schranken ſeiner Faſſungskraft, ebenſo wie die furchtbare und mit unmeßbaren Kräften verderbende Natur einzig an ſeine Ohnmacht erinnern. In der bloß ſinnlichen Anſchauung würde er ſich nun entweder mit Kleinmuth oder Entſetzen von dieſem großen Bild der Natur abwenden. Aber nicht ſo bald erhebt er ſich zur ab- ſoluten Contemplation, kaum ſteigt ihm das Unendliche einer höheren Anſchauung herab in die Fluth dieſer Erſcheinungen und verbindet ſich mit dem Ungeheuren der ſinnlichen Anſchauung als ſeiner bloßen Hülle, ſo fangen die wilden Naturmaſſen um ihn her an eine ganz andere Anſchauung für ihn zu werden, indem ihm das relativ Große außer ihm nur der Spiegel iſt, worin er das abſolut Große, das Unend- liche an und für ſich ſelbſt erblickt. Abſichtlich bietet er nun das Ver- mögen, das an ſich Unendliche anzuſchauen, auf, um das ſinnlich- Unendliche ihm als bloße Form zu unterwerfen, und in dieſem Unter- liegen des ſinnlich-Großen die Ueberlegenheit ſeiner Ideen über das Höchſte, was die Natur aufbieten oder darſtellen kann, deſto unmittel- barer zu empfinden. Dieſe Anſchauung des Erhabenen iſt ihrer Verwandtſchaft mit dem Ideellen und Sittlichen unerachtet eine äſthetiſche Anſchauung, um hier einmal dieſes Wort zu gebrauchen. Das Unendliche iſt das Herrſchende, aber es herrſcht doch nur, inwiefern es in dem ſinnlich-Unendlichen, das inſofern wieder ein Endliches iſt, angeſchaut wird. Dieſes Anſchauen des wahrhaft Unendlichen in dem Unendlichen der Natur iſt die Poeſie, welche der Menſch allgemein üben kann; denn es iſt der Anſchauende ſelbſt, dem das relativ Große der Natur zum Erhabenen wird, indem er es zum Symbol des abſolut Großen macht. Die moraliſche und intellektuelle Schlaffheit, die Weichlichkeit wie die Feigheit der Geſinnung wendet ſich von dieſen großen Anblicken ab, welche ihr ein furchtbares Bild ihrer eignen Nichtigkeit und 1 Ueber das Erhabene (Taſchenausgabe 1847, Bd. 12, S. 292). D. H.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/139
Zitationshilfe: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 463. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/139>, abgerufen am 25.11.2024.