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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859.

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Wir können dieß nicht anders beweisen, als indem wir zeigen, daß
das, was nach allgemeiner Uebereinstimmung zum Erhabenen und
Schönen gefordert wird, nichts anderes sey, als was durch unsere Er-
klärung ausgedrückt ist. -- Die Meinung ist eigentlich diese: wo die
Aufnahme des Unendlichen ins Endliche als solche, das Unendliche also
im Endlichen unterschieden wird, urtheilen wir, daß der Gegenstand,
worin dieß der Fall ist, erhaben sey. Alle Erhabenheit ist entweder
Natur oder Gesinnung (wir werden durch die weitere Betrachtung fin-
den, daß das Wesen, die Substanz des Erhabenen, immer eine und
dieselbe ist, und daß nur die Form wechselt). Das Erhabene der
Natur findet wieder auf doppelte Weise statt: "da, wo uns ein sinn-
licher Gegenstand dargeboten wird, der für unsere Fassungskraft zu
hoch und in der Beziehung auf selbige unermeßlich ist, oder da,
wo unserer Kraft, sofern wir lebendige Wesen sind, sich eine
Macht der Natur entgegenstellt, gegen welche jene in nichts ver-
schwindet". -- Beispiele des ersten Falls sind z. B. ungeheure Ge-
birgs- und Felsenmassen, deren Gipfel das Auge nicht erreicht, der
weite, nur vom Himmel umwölbte Ocean, das Weltgebäude in seiner
Unermeßlichkeit, für welche jeder mögliche Maßstab des Menschen
unzureichend befunden wird. Die gemeine Betrachtung dieses Un-
ermeßlichen der Natur ist, es als das Unendliche selbst anzusehen;
mit dieser Ansicht ist durchaus kein Gefühl der Erhabenheit, viel-
mehr der Niederschlagung verbunden. In der Größe als solcher ist
gar nichts Unendliches, bloß in ihr als Widerschein wahrer Unend-
lichkeit. Die Anschauung des Erhabenen tritt dann ein, wenn die
sinnliche Anschauung für die Größe des sinnlichen Gegenstandes un-
angemessen gefunden wird, und nun das wahre Unendliche hervertritt,
für welches jenes bloß sinnliche Unendliche zum Symbol wird. Das
Erhabene ist insofern eine Unterjochung des Endlichen, welches Unend-
lichkeit lügt, durch das wahre Unendliche. Es kann keine vollkom-
menere Anschauung des Unendlichen geben, als wo das Symbol, in
welchem es angeschaut wird, in seiner Endlichkeit die Unendlich-
keit heuchelt. "Den bloß sinnlichen Beschauer kann (um mich hier

Wir können dieß nicht anders beweiſen, als indem wir zeigen, daß
das, was nach allgemeiner Uebereinſtimmung zum Erhabenen und
Schönen gefordert wird, nichts anderes ſey, als was durch unſere Er-
klärung ausgedrückt iſt. — Die Meinung iſt eigentlich dieſe: wo die
Aufnahme des Unendlichen ins Endliche als ſolche, das Unendliche alſo
im Endlichen unterſchieden wird, urtheilen wir, daß der Gegenſtand,
worin dieß der Fall iſt, erhaben ſey. Alle Erhabenheit iſt entweder
Natur oder Geſinnung (wir werden durch die weitere Betrachtung fin-
den, daß das Weſen, die Subſtanz des Erhabenen, immer eine und
dieſelbe iſt, und daß nur die Form wechſelt). Das Erhabene der
Natur findet wieder auf doppelte Weiſe ſtatt: „da, wo uns ein ſinn-
licher Gegenſtand dargeboten wird, der für unſere Faſſungskraft zu
hoch und in der Beziehung auf ſelbige unermeßlich iſt, oder da,
wo unſerer Kraft, ſofern wir lebendige Weſen ſind, ſich eine
Macht der Natur entgegenſtellt, gegen welche jene in nichts ver-
ſchwindet“. — Beiſpiele des erſten Falls ſind z. B. ungeheure Ge-
birgs- und Felſenmaſſen, deren Gipfel das Auge nicht erreicht, der
weite, nur vom Himmel umwölbte Ocean, das Weltgebäude in ſeiner
Unermeßlichkeit, für welche jeder mögliche Maßſtab des Menſchen
unzureichend befunden wird. Die gemeine Betrachtung dieſes Un-
ermeßlichen der Natur iſt, es als das Unendliche ſelbſt anzuſehen;
mit dieſer Anſicht iſt durchaus kein Gefühl der Erhabenheit, viel-
mehr der Niederſchlagung verbunden. In der Größe als ſolcher iſt
gar nichts Unendliches, bloß in ihr als Widerſchein wahrer Unend-
lichkeit. Die Anſchauung des Erhabenen tritt dann ein, wenn die
ſinnliche Anſchauung für die Größe des ſinnlichen Gegenſtandes un-
angemeſſen gefunden wird, und nun das wahre Unendliche hervertritt,
für welches jenes bloß ſinnliche Unendliche zum Symbol wird. Das
Erhabene iſt inſofern eine Unterjochung des Endlichen, welches Unend-
lichkeit lügt, durch das wahre Unendliche. Es kann keine vollkom-
menere Anſchauung des Unendlichen geben, als wo das Symbol, in
welchem es angeſchaut wird, in ſeiner Endlichkeit die Unendlich-
keit heuchelt. „Den bloß ſinnlichen Beſchauer kann (um mich hier

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[462/0138] Wir können dieß nicht anders beweiſen, als indem wir zeigen, daß das, was nach allgemeiner Uebereinſtimmung zum Erhabenen und Schönen gefordert wird, nichts anderes ſey, als was durch unſere Er- klärung ausgedrückt iſt. — Die Meinung iſt eigentlich dieſe: wo die Aufnahme des Unendlichen ins Endliche als ſolche, das Unendliche alſo im Endlichen unterſchieden wird, urtheilen wir, daß der Gegenſtand, worin dieß der Fall iſt, erhaben ſey. Alle Erhabenheit iſt entweder Natur oder Geſinnung (wir werden durch die weitere Betrachtung fin- den, daß das Weſen, die Subſtanz des Erhabenen, immer eine und dieſelbe iſt, und daß nur die Form wechſelt). Das Erhabene der Natur findet wieder auf doppelte Weiſe ſtatt: „da, wo uns ein ſinn- licher Gegenſtand dargeboten wird, der für unſere Faſſungskraft zu hoch und in der Beziehung auf ſelbige unermeßlich iſt, oder da, wo unſerer Kraft, ſofern wir lebendige Weſen ſind, ſich eine Macht der Natur entgegenſtellt, gegen welche jene in nichts ver- ſchwindet“. — Beiſpiele des erſten Falls ſind z. B. ungeheure Ge- birgs- und Felſenmaſſen, deren Gipfel das Auge nicht erreicht, der weite, nur vom Himmel umwölbte Ocean, das Weltgebäude in ſeiner Unermeßlichkeit, für welche jeder mögliche Maßſtab des Menſchen unzureichend befunden wird. Die gemeine Betrachtung dieſes Un- ermeßlichen der Natur iſt, es als das Unendliche ſelbſt anzuſehen; mit dieſer Anſicht iſt durchaus kein Gefühl der Erhabenheit, viel- mehr der Niederſchlagung verbunden. In der Größe als ſolcher iſt gar nichts Unendliches, bloß in ihr als Widerſchein wahrer Unend- lichkeit. Die Anſchauung des Erhabenen tritt dann ein, wenn die ſinnliche Anſchauung für die Größe des ſinnlichen Gegenſtandes un- angemeſſen gefunden wird, und nun das wahre Unendliche hervertritt, für welches jenes bloß ſinnliche Unendliche zum Symbol wird. Das Erhabene iſt inſofern eine Unterjochung des Endlichen, welches Unend- lichkeit lügt, durch das wahre Unendliche. Es kann keine vollkom- menere Anſchauung des Unendlichen geben, als wo das Symbol, in welchem es angeſchaut wird, in ſeiner Endlichkeit die Unendlich- keit heuchelt. „Den bloß ſinnlichen Beſchauer kann (um mich hier

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Zitationshilfe: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 462. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/138>, abgerufen am 25.11.2024.