Stoff der Kunst von der einen Seite als Werk der Natur, von der andern als Werk der Freiheit erscheint.
Denn da in dem Stoff an und für sich immer und nothwendig Einheit des Unendlichen und Endlichen gesetzt ist, diese aber nur auf die gedoppelte Art möglich ist, daß das Universum im Endlichen oder das Endliche im Universum dargestellt werde, jenes aber die Einheit ist, die der Natur zu Grunde liegt, so wie dieses die, welche der ideellen Welt oder der Welt der Freiheit, so wird auch die Einheit, inwiefern sie als producirend erscheint und nach entgegengesetzten Seiten sich trennt, nach der einen nur als Werk der Natur, nach der andern als das der Frei- heit erscheinen können.
Anmerkung. Daß nun dieser Gegensatz eben in der griechischen oder antiken und der modernen Poesie dargestellt ist, davon ist nur der empirische Beweis aus dem Faktum möglich, der auch in dem Vorher- gehenden geführt worden ist.
§. 45. Die Einheit wird in dem ersten Fall (der Noth- wendigkeit) als Einheit des Universums mit dem Endlichen, in dem andern (der Freiheit) als Einheit des Endlichen mit dem Unendlichen erscheinen.
Dieser Satz ist, wie aus dem Beweis des vorhergehenden erhellt, nur ein anderer Ausdruck des vorhergehenden. Doch ist noch folgender besonderer Beweis davon zu führen: die Entgegengesetzten verhalten sich (nach §. 44) wie Natur und Freiheit; nun ist der Charakter der Natur (nach §. 18) ungetrennte, noch vor der Trennung bestehende Einheit des Unendlichen und Endlichen. Das Endliche ist in ihr herr- schend, aber in ihr liegt der Keim des Absoluten. Wo die Einheit ge- trennt ist, da ist das Endliche als Endliches gesetzt, also ist nur die Richtung vom Endlichen zum Unendlichen, also die Einheit des End- lichen mit dem Unendlichen möglich.
§. 45. Im ersten Fall ist das Endliche als Symbol, im andern als Allegorie des Unendlichen gesetzt. -- Folgt aus den Erklärungen, die beim §. 39 gegeben worden sind.
Anmerkung. Auch so auszudrücken: Im ersten Fall ist das
Stoff der Kunſt von der einen Seite als Werk der Natur, von der andern als Werk der Freiheit erſcheint.
Denn da in dem Stoff an und für ſich immer und nothwendig Einheit des Unendlichen und Endlichen geſetzt iſt, dieſe aber nur auf die gedoppelte Art möglich iſt, daß das Univerſum im Endlichen oder das Endliche im Univerſum dargeſtellt werde, jenes aber die Einheit iſt, die der Natur zu Grunde liegt, ſo wie dieſes die, welche der ideellen Welt oder der Welt der Freiheit, ſo wird auch die Einheit, inwiefern ſie als producirend erſcheint und nach entgegengeſetzten Seiten ſich trennt, nach der einen nur als Werk der Natur, nach der andern als das der Frei- heit erſcheinen können.
Anmerkung. Daß nun dieſer Gegenſatz eben in der griechiſchen oder antiken und der modernen Poeſie dargeſtellt iſt, davon iſt nur der empiriſche Beweis aus dem Faktum möglich, der auch in dem Vorher- gehenden geführt worden iſt.
§. 45. Die Einheit wird in dem erſten Fall (der Noth- wendigkeit) als Einheit des Univerſums mit dem Endlichen, in dem andern (der Freiheit) als Einheit des Endlichen mit dem Unendlichen erſcheinen.
Dieſer Satz iſt, wie aus dem Beweis des vorhergehenden erhellt, nur ein anderer Ausdruck des vorhergehenden. Doch iſt noch folgender beſonderer Beweis davon zu führen: die Entgegengeſetzten verhalten ſich (nach §. 44) wie Natur und Freiheit; nun iſt der Charakter der Natur (nach §. 18) ungetrennte, noch vor der Trennung beſtehende Einheit des Unendlichen und Endlichen. Das Endliche iſt in ihr herr- ſchend, aber in ihr liegt der Keim des Abſoluten. Wo die Einheit ge- trennt iſt, da iſt das Endliche als Endliches geſetzt, alſo iſt nur die Richtung vom Endlichen zum Unendlichen, alſo die Einheit des End- lichen mit dem Unendlichen möglich.
§. 45. Im erſten Fall iſt das Endliche als Symbol, im andern als Allegorie des Unendlichen geſetzt. — Folgt aus den Erklärungen, die beim §. 39 gegeben worden ſind.
Anmerkung. Auch ſo auszudrücken: Im erſten Fall iſt das
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><hirendition="#g"><pbfacs="#f0128"n="452"/>
Stoff der Kunſt von der einen Seite als Werk der Natur,<lb/>
von der andern als Werk der Freiheit erſcheint</hi>.</p><lb/><p>Denn da in dem Stoff an und für ſich immer und nothwendig<lb/>
Einheit des Unendlichen und Endlichen geſetzt iſt, dieſe aber nur auf<lb/>
die gedoppelte Art möglich iſt, daß das Univerſum im Endlichen oder<lb/>
das Endliche im Univerſum dargeſtellt werde, jenes aber die Einheit iſt,<lb/>
die der Natur zu Grunde liegt, ſo wie dieſes die, welche der ideellen Welt<lb/>
oder der Welt der Freiheit, ſo wird auch die Einheit, inwiefern ſie als<lb/>
producirend erſcheint und nach entgegengeſetzten Seiten ſich trennt, nach<lb/>
der einen nur als Werk der Natur, nach der andern als das der Frei-<lb/>
heit erſcheinen können.</p><lb/><p><hirendition="#g">Anmerkung</hi>. Daß nun dieſer Gegenſatz eben in der griechiſchen<lb/>
oder antiken und der modernen Poeſie dargeſtellt iſt, davon iſt nur der<lb/>
empiriſche Beweis aus dem Faktum möglich, der auch in dem Vorher-<lb/>
gehenden geführt worden iſt.</p><lb/><p>§. 45. <hirendition="#g">Die Einheit wird in dem erſten Fall</hi> (der Noth-<lb/>
wendigkeit) <hirendition="#g">als Einheit des Univerſums mit dem Endlichen,<lb/>
in dem andern</hi> (der Freiheit) <hirendition="#g">als Einheit des Endlichen mit<lb/>
dem Unendlichen erſcheinen</hi>.</p><lb/><p>Dieſer Satz iſt, wie aus dem Beweis des vorhergehenden erhellt,<lb/>
nur ein anderer Ausdruck des vorhergehenden. Doch iſt noch folgender<lb/>
beſonderer Beweis davon zu führen: die Entgegengeſetzten verhalten ſich<lb/>
(nach §. 44) wie Natur und Freiheit; nun iſt der Charakter der Natur<lb/>
(nach §. 18) ungetrennte, <hirendition="#g">noch vor der Trennung beſtehende</hi><lb/>
Einheit des Unendlichen und Endlichen. Das Endliche iſt in ihr herr-<lb/>ſchend, aber in ihr liegt der Keim des Abſoluten. Wo die Einheit ge-<lb/>
trennt iſt, da iſt das Endliche als Endliches geſetzt, alſo iſt nur die<lb/>
Richtung vom Endlichen zum Unendlichen, alſo die Einheit des End-<lb/>
lichen mit dem Unendlichen möglich.</p><lb/><p>§. 45. <hirendition="#g">Im erſten Fall iſt das Endliche als Symbol,<lb/>
im andern als Allegorie des Unendlichen geſetzt</hi>. — Folgt<lb/>
aus den Erklärungen, die beim §. 39 gegeben worden ſind.</p><lb/><p><hirendition="#g">Anmerkung</hi>. Auch ſo auszudrücken: Im erſten Fall iſt das<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[452/0128]
Stoff der Kunſt von der einen Seite als Werk der Natur,
von der andern als Werk der Freiheit erſcheint.
Denn da in dem Stoff an und für ſich immer und nothwendig
Einheit des Unendlichen und Endlichen geſetzt iſt, dieſe aber nur auf
die gedoppelte Art möglich iſt, daß das Univerſum im Endlichen oder
das Endliche im Univerſum dargeſtellt werde, jenes aber die Einheit iſt,
die der Natur zu Grunde liegt, ſo wie dieſes die, welche der ideellen Welt
oder der Welt der Freiheit, ſo wird auch die Einheit, inwiefern ſie als
producirend erſcheint und nach entgegengeſetzten Seiten ſich trennt, nach
der einen nur als Werk der Natur, nach der andern als das der Frei-
heit erſcheinen können.
Anmerkung. Daß nun dieſer Gegenſatz eben in der griechiſchen
oder antiken und der modernen Poeſie dargeſtellt iſt, davon iſt nur der
empiriſche Beweis aus dem Faktum möglich, der auch in dem Vorher-
gehenden geführt worden iſt.
§. 45. Die Einheit wird in dem erſten Fall (der Noth-
wendigkeit) als Einheit des Univerſums mit dem Endlichen,
in dem andern (der Freiheit) als Einheit des Endlichen mit
dem Unendlichen erſcheinen.
Dieſer Satz iſt, wie aus dem Beweis des vorhergehenden erhellt,
nur ein anderer Ausdruck des vorhergehenden. Doch iſt noch folgender
beſonderer Beweis davon zu führen: die Entgegengeſetzten verhalten ſich
(nach §. 44) wie Natur und Freiheit; nun iſt der Charakter der Natur
(nach §. 18) ungetrennte, noch vor der Trennung beſtehende
Einheit des Unendlichen und Endlichen. Das Endliche iſt in ihr herr-
ſchend, aber in ihr liegt der Keim des Abſoluten. Wo die Einheit ge-
trennt iſt, da iſt das Endliche als Endliches geſetzt, alſo iſt nur die
Richtung vom Endlichen zum Unendlichen, alſo die Einheit des End-
lichen mit dem Unendlichen möglich.
§. 45. Im erſten Fall iſt das Endliche als Symbol,
im andern als Allegorie des Unendlichen geſetzt. — Folgt
aus den Erklärungen, die beim §. 39 gegeben worden ſind.
Anmerkung. Auch ſo auszudrücken: Im erſten Fall iſt das
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 452. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/128>, abgerufen am 16.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.