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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859.

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-- Absolutes Uebergewicht des Idealen über das Reale, des Geistigen
über das Leibliche war Princip des Christenthums. Daher das un-
mittelbare Eingreifen des Uebersinnlichen in das Sinnliche im Wunder.
Dieselbe Oberherrschaft des Geistes über die Natur ist ausgedrückt in
der Magie, soferne sie Beschwörung, Bezauberung in sich begriff.
Die magische Ansicht der Dinge oder das Begreifen der Naturwirkungen
als magischer war nur eine unvollständige Ahndung des höheren und
absoluten Vereins aller Dinge, in welchem keins in dem andern etwas
unmittelbar, sondern nur durch prästabilirte Harmonie, mittelst der
absoluten Identität aller Dinge, setzt oder bewirkt. Magisch heißt eben
deßwegen auch jede Wirkung, welche Dinge auf einander bloß durch
ihren Begriff, also nicht auf natürliche Art ausüben, z. B. daß Be-
wegungen oder gewisse Zeichen rein als solche einem Menschen verderb-
lich werden können. In dem Glauben an Magie drückte sich ferner
die Ahndung vom Daseyn verschiedener Naturordnungen, des Mecha-
nismus, Chemismus, Organismus aus. Es ist bekannt, wie die erste
Bekanntschaft mit chemischen Erscheinungen auf die Geister der neueren
Welt gewirkt hat. Ueberhaupt gab das Zurücktreten der Natur als
Mysterium der neueren Welt eine allgemeine Richtung auf Geheimnisse
der Natur. Die geheimnißvolle Sprache der Gestirne, die sich in ihren
verschiedenen Bewegungen und Conjunktionen ausdrückt, bekam unmit-
telbar historische Beziehung; ihr Lauf, ihr Wechsel, ihre Verbindungen
deuteten auf Schicksale der Welt im Ganzen und mittelbar des Einzelnen.
Auch hier lag eine richtige Ahndung zu Grunde, daß in der Erde, da
sie Universum für sich ist, die Elemente aller Gestirne seyn müssen,
und daß die verschiedenen Stellungen und Entfernungen der Gestirne
von der Erde besonders auf den zarteren Bildungen der Erde, wie die
menschliche, schon bei der ersten Formation einen nothwendigen Einfluß
haben. -- Es wird in der Naturphilosophie bewiesen, daß den ver-
schiedenen Ordnungen von Metallen, dem Gold oder Silber u. s. w.
gleiche Ordnungen am Himmel entsprechen, sowie wir an der Con-
struktion des Erdkörpers für sich nach seinen vier Seiten wirklich ein
vollkommenes Bild des ganzen Sonnensystems haben. Das Beseeltseyn

— Abſolutes Uebergewicht des Idealen über das Reale, des Geiſtigen
über das Leibliche war Princip des Chriſtenthums. Daher das un-
mittelbare Eingreifen des Ueberſinnlichen in das Sinnliche im Wunder.
Dieſelbe Oberherrſchaft des Geiſtes über die Natur iſt ausgedrückt in
der Magie, ſoferne ſie Beſchwörung, Bezauberung in ſich begriff.
Die magiſche Anſicht der Dinge oder das Begreifen der Naturwirkungen
als magiſcher war nur eine unvollſtändige Ahndung des höheren und
abſoluten Vereins aller Dinge, in welchem keins in dem andern etwas
unmittelbar, ſondern nur durch präſtabilirte Harmonie, mittelſt der
abſoluten Identität aller Dinge, ſetzt oder bewirkt. Magiſch heißt eben
deßwegen auch jede Wirkung, welche Dinge auf einander bloß durch
ihren Begriff, alſo nicht auf natürliche Art ausüben, z. B. daß Be-
wegungen oder gewiſſe Zeichen rein als ſolche einem Menſchen verderb-
lich werden können. In dem Glauben an Magie drückte ſich ferner
die Ahndung vom Daſeyn verſchiedener Naturordnungen, des Mecha-
nismus, Chemismus, Organismus aus. Es iſt bekannt, wie die erſte
Bekanntſchaft mit chemiſchen Erſcheinungen auf die Geiſter der neueren
Welt gewirkt hat. Ueberhaupt gab das Zurücktreten der Natur als
Myſterium der neueren Welt eine allgemeine Richtung auf Geheimniſſe
der Natur. Die geheimnißvolle Sprache der Geſtirne, die ſich in ihren
verſchiedenen Bewegungen und Conjunktionen ausdrückt, bekam unmit-
telbar hiſtoriſche Beziehung; ihr Lauf, ihr Wechſel, ihre Verbindungen
deuteten auf Schickſale der Welt im Ganzen und mittelbar des Einzelnen.
Auch hier lag eine richtige Ahndung zu Grunde, daß in der Erde, da
ſie Univerſum für ſich iſt, die Elemente aller Geſtirne ſeyn müſſen,
und daß die verſchiedenen Stellungen und Entfernungen der Geſtirne
von der Erde beſonders auf den zarteren Bildungen der Erde, wie die
menſchliche, ſchon bei der erſten Formation einen nothwendigen Einfluß
haben. — Es wird in der Naturphiloſophie bewieſen, daß den ver-
ſchiedenen Ordnungen von Metallen, dem Gold oder Silber u. ſ. w.
gleiche Ordnungen am Himmel entſprechen, ſowie wir an der Con-
ſtruktion des Erdkörpers für ſich nach ſeinen vier Seiten wirklich ein
vollkommenes Bild des ganzen Sonnenſyſtems haben. Das Beſeeltſeyn

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[450/0126] — Abſolutes Uebergewicht des Idealen über das Reale, des Geiſtigen über das Leibliche war Princip des Chriſtenthums. Daher das un- mittelbare Eingreifen des Ueberſinnlichen in das Sinnliche im Wunder. Dieſelbe Oberherrſchaft des Geiſtes über die Natur iſt ausgedrückt in der Magie, ſoferne ſie Beſchwörung, Bezauberung in ſich begriff. Die magiſche Anſicht der Dinge oder das Begreifen der Naturwirkungen als magiſcher war nur eine unvollſtändige Ahndung des höheren und abſoluten Vereins aller Dinge, in welchem keins in dem andern etwas unmittelbar, ſondern nur durch präſtabilirte Harmonie, mittelſt der abſoluten Identität aller Dinge, ſetzt oder bewirkt. Magiſch heißt eben deßwegen auch jede Wirkung, welche Dinge auf einander bloß durch ihren Begriff, alſo nicht auf natürliche Art ausüben, z. B. daß Be- wegungen oder gewiſſe Zeichen rein als ſolche einem Menſchen verderb- lich werden können. In dem Glauben an Magie drückte ſich ferner die Ahndung vom Daſeyn verſchiedener Naturordnungen, des Mecha- nismus, Chemismus, Organismus aus. Es iſt bekannt, wie die erſte Bekanntſchaft mit chemiſchen Erſcheinungen auf die Geiſter der neueren Welt gewirkt hat. Ueberhaupt gab das Zurücktreten der Natur als Myſterium der neueren Welt eine allgemeine Richtung auf Geheimniſſe der Natur. Die geheimnißvolle Sprache der Geſtirne, die ſich in ihren verſchiedenen Bewegungen und Conjunktionen ausdrückt, bekam unmit- telbar hiſtoriſche Beziehung; ihr Lauf, ihr Wechſel, ihre Verbindungen deuteten auf Schickſale der Welt im Ganzen und mittelbar des Einzelnen. Auch hier lag eine richtige Ahndung zu Grunde, daß in der Erde, da ſie Univerſum für ſich iſt, die Elemente aller Geſtirne ſeyn müſſen, und daß die verſchiedenen Stellungen und Entfernungen der Geſtirne von der Erde beſonders auf den zarteren Bildungen der Erde, wie die menſchliche, ſchon bei der erſten Formation einen nothwendigen Einfluß haben. — Es wird in der Naturphiloſophie bewieſen, daß den ver- ſchiedenen Ordnungen von Metallen, dem Gold oder Silber u. ſ. w. gleiche Ordnungen am Himmel entſprechen, ſowie wir an der Con- ſtruktion des Erdkörpers für ſich nach ſeinen vier Seiten wirklich ein vollkommenes Bild des ganzen Sonnenſyſtems haben. Das Beſeeltſeyn

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Zitationshilfe: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 450. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/126>, abgerufen am 26.11.2024.