Man braucht nur zu erinnern, daß die Freidenkereien und Auf- klärungen nicht die geringsten poetischen Hervorbringungen aufweisen können, um zu sehen, daß sie sämmtlich in ihrem Grund nichts als die Prosa des neueren Zeitalters sind, angewendet auf die Religion. Mit dem gänzlichen Mangel an Symbolik und wahrer Mythologie -- was jene betrifft, im Christenthum überhaupt, was diese, wenigstens im Protestantismus -- traten gleichwohl spätere Dichter wieder auf den Kampfplatz, um in ihrer Meinung sogar mit den epischen Dich- tungen des Alterthums zu wetteifern. Vorzüglich Milton und Klop- stock. Das Gedicht des ersten kann schon darum kein rein christliches Gedicht heißen, da sein Stoff im A. T. liegt, und dem Ganzen die Einschränkung auf das Moderne, Christliche fehlt, während dieser die Tendenz hat im Christenthum erhaben zu seyn und mit einer wider- natürlichen Spannung die innere Hohlheit zur Unbegrenztheit auf- bläht. Miltons Gestalten sind zum Theil wenigstens wirkliche Ge- stalten mit Umriß und Bestimmtheit, so daß man z. B. seinen Satan, den er als einen Giganten oder Titanen behandelt, von einem Gemälde abgenommen glauben könnte, während bei Klopstock alles wesen- und gestaltlos, ohne Gediegenheit wie ohne Form, schwebt. Milton war lange in Italien gewesen, wo er die Kunstwerke gesehen, auch den Plan zu seinem Gedicht gefaßt und seine Gelehrsamkeit sich gebildet hat. Klopstock war ohne alle Natur- und ächte Kunstanschauung (es versteht sich, daß seine Sprachverdienste nicht geschmälert werden sollen). Wie wenig Klopstock bei dem Plan, ein christlich-episches Gedicht zu machen, selbst gewußt habe, was er wollte, erhellt daraus, daß er uns nachher auch die nordisch-barbarische Mythologie der alten Deutschen und Scan- dinavier empfehlen wollte. Sein hauptsächlichstes Bestreben ist ein Ringen mit dem Unendlichen, nicht daß es ihm endlich werden soll, sondern daß es ihm, gegen seinen Willen und mit beständigem Sträuben dagegen von seiner Seite, endlich wird, wo es dann auf solche Wider- sprüche hinausläuft, wie in dem bekannten Anfang einer seiner Oden:
Der Seraph stammelt's und die Unendlichkeit Bebt's durch den Umkreis ihrer Gefilde nach.
Man braucht nur zu erinnern, daß die Freidenkereien und Auf- klärungen nicht die geringſten poetiſchen Hervorbringungen aufweiſen können, um zu ſehen, daß ſie ſämmtlich in ihrem Grund nichts als die Proſa des neueren Zeitalters ſind, angewendet auf die Religion. Mit dem gänzlichen Mangel an Symbolik und wahrer Mythologie — was jene betrifft, im Chriſtenthum überhaupt, was dieſe, wenigſtens im Proteſtantismus — traten gleichwohl ſpätere Dichter wieder auf den Kampfplatz, um in ihrer Meinung ſogar mit den epiſchen Dich- tungen des Alterthums zu wetteifern. Vorzüglich Milton und Klop- ſtock. Das Gedicht des erſten kann ſchon darum kein rein chriſtliches Gedicht heißen, da ſein Stoff im A. T. liegt, und dem Ganzen die Einſchränkung auf das Moderne, Chriſtliche fehlt, während dieſer die Tendenz hat im Chriſtenthum erhaben zu ſeyn und mit einer wider- natürlichen Spannung die innere Hohlheit zur Unbegrenztheit auf- bläht. Miltons Geſtalten ſind zum Theil wenigſtens wirkliche Ge- ſtalten mit Umriß und Beſtimmtheit, ſo daß man z. B. ſeinen Satan, den er als einen Giganten oder Titanen behandelt, von einem Gemälde abgenommen glauben könnte, während bei Klopſtock alles weſen- und geſtaltlos, ohne Gediegenheit wie ohne Form, ſchwebt. Milton war lange in Italien geweſen, wo er die Kunſtwerke geſehen, auch den Plan zu ſeinem Gedicht gefaßt und ſeine Gelehrſamkeit ſich gebildet hat. Klopſtock war ohne alle Natur- und ächte Kunſtanſchauung (es verſteht ſich, daß ſeine Sprachverdienſte nicht geſchmälert werden ſollen). Wie wenig Klopſtock bei dem Plan, ein chriſtlich-epiſches Gedicht zu machen, ſelbſt gewußt habe, was er wollte, erhellt daraus, daß er uns nachher auch die nordiſch-barbariſche Mythologie der alten Deutſchen und Scan- dinavier empfehlen wollte. Sein hauptſächlichſtes Beſtreben iſt ein Ringen mit dem Unendlichen, nicht daß es ihm endlich werden ſoll, ſondern daß es ihm, gegen ſeinen Willen und mit beſtändigem Sträuben dagegen von ſeiner Seite, endlich wird, wo es dann auf ſolche Wider- ſprüche hinausläuft, wie in dem bekannten Anfang einer ſeiner Oden:
Der Seraph ſtammelt’s und die Unendlichkeit Bebt’s durch den Umkreis ihrer Gefilde nach.
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Man braucht nur zu erinnern, daß die Freidenkereien und Auf-
klärungen nicht die geringſten poetiſchen Hervorbringungen aufweiſen
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die Proſa des neueren Zeitalters ſind, angewendet auf die Religion.
Mit dem gänzlichen Mangel an Symbolik und wahrer Mythologie —
was jene betrifft, im Chriſtenthum überhaupt, was dieſe, wenigſtens
im Proteſtantismus — traten gleichwohl ſpätere Dichter wieder auf den
Kampfplatz, um in ihrer Meinung ſogar mit den epiſchen Dich-
tungen des Alterthums zu wetteifern. Vorzüglich Milton und Klop-
ſtock. Das Gedicht des erſten kann ſchon darum kein rein chriſtliches
Gedicht heißen, da ſein Stoff im A. T. liegt, und dem Ganzen die
Einſchränkung auf das Moderne, Chriſtliche fehlt, während dieſer die
Tendenz hat im Chriſtenthum erhaben zu ſeyn und mit einer wider-
natürlichen Spannung die innere Hohlheit zur Unbegrenztheit auf-
bläht. Miltons Geſtalten ſind zum Theil wenigſtens wirkliche Ge-
ſtalten mit Umriß und Beſtimmtheit, ſo daß man z. B. ſeinen Satan,
den er als einen Giganten oder Titanen behandelt, von einem Gemälde
abgenommen glauben könnte, während bei Klopſtock alles weſen- und
geſtaltlos, ohne Gediegenheit wie ohne Form, ſchwebt. Milton war
lange in Italien geweſen, wo er die Kunſtwerke geſehen, auch den Plan
zu ſeinem Gedicht gefaßt und ſeine Gelehrſamkeit ſich gebildet hat.
Klopſtock war ohne alle Natur- und ächte Kunſtanſchauung (es verſteht
ſich, daß ſeine Sprachverdienſte nicht geſchmälert werden ſollen). Wie
wenig Klopſtock bei dem Plan, ein chriſtlich-epiſches Gedicht zu machen,
ſelbſt gewußt habe, was er wollte, erhellt daraus, daß er uns nachher
auch die nordiſch-barbariſche Mythologie der alten Deutſchen und Scan-
dinavier empfehlen wollte. Sein hauptſächlichſtes Beſtreben iſt ein
Ringen mit dem Unendlichen, nicht daß es ihm endlich werden ſoll,
ſondern daß es ihm, gegen ſeinen Willen und mit beſtändigem Sträuben
dagegen von ſeiner Seite, endlich wird, wo es dann auf ſolche Wider-
ſprüche hinausläuft, wie in dem bekannten Anfang einer ſeiner Oden:
Der Seraph ſtammelt’s und die Unendlichkeit
Bebt’s durch den Umkreis ihrer Gefilde nach.
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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 441. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/117>, abgerufen am 27.11.2024.
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