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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859.

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nur in der absoluten Entzweiung möglich ist, ist in seinem Ursprung
schon auf Wunder gegründet. Wunder ist eine vom empirischen Stand-
punkt aus angesehene Absolutheit, die in die Endlichkeit fällt, ohne
deßwegen ein Verhältniß zu der Zeit zu haben.

Das Wunderbare in der historischen Beziehung ist nun der
einzige mythologische Stoff des Christenthums. Es verbreitet sich von
der Geschichte Christi und der Apostel aus herab durch die Legende,
die Märtyrer- und Heiligengeschichte bis zum romantischen Wunder-
baren, welches sich durch die Berührung des Christenthums mit der
Tapferkeit entzündete.

Es ist uns unmöglich, diesen historisch-mythologischen Stoff zu
verfolgen. Es ist nur im Allgemeinen zu bemerken, daß diese Mytho-
logie des Christenthums ursprünglich durchaus auf der Anschauung des
Universums als eines Reichs Gottes beruht. Die Geschichten der Hei-
ligen sind zugleich eine Geschichte des Himmels selbst, und sogar die
Geschichten der Könige sind verflochten in diese allgemeine Geschichte des
Reiches Gottes. Einzig nach dieser Seite hat sich das Christenthum
zur Mythologie ausgebildet. So sprach es sich zuerst in dem Gedicht
des Dante aus, welches das Universum unter den drei Grundan-
schauungen des Infernums, des Purgatoriums und des Paradieses
darstellt. Der Stoff aller seiner Dichtungen aber in diesen drei Po-
tenzen ist doch immer historisch. In Frankreich und Spanien bildete
sich der historisch-christliche Stoff vorzüglich zu der Mythologie des
Ritterthums aus. Der poetische Gipfel davon ist Ariosto, dessen
Gedicht das einzige epische wäre, wenn überhaupt in der modernen
Poesie bis jetzt ein Epos seyn könnte.

In späteren Zeiten, nachdem der Geschmack am Ritterthum ver-
drängt war, haben die Spanier vorzüglich die Heiligenlegenden zu dra-
matischen Vorstellungen genutzt. Den Gipfel dieser Poesie bezeichnet
der Spanier Calderon della Barca, von dem vielleicht noch nicht
einmal alles gesagt ist, wenn man ihn dem Shakespeare gleich setzt.

Die poetische Ausbildung der christlichen Mythologie in den Wer-
ken der bildenden Kunst, vorzüglich der Malerei, in den lyrischen,

nur in der abſoluten Entzweiung möglich iſt, iſt in ſeinem Urſprung
ſchon auf Wunder gegründet. Wunder iſt eine vom empiriſchen Stand-
punkt aus angeſehene Abſolutheit, die in die Endlichkeit fällt, ohne
deßwegen ein Verhältniß zu der Zeit zu haben.

Das Wunderbare in der hiſtoriſchen Beziehung iſt nun der
einzige mythologiſche Stoff des Chriſtenthums. Es verbreitet ſich von
der Geſchichte Chriſti und der Apoſtel aus herab durch die Legende,
die Märtyrer- und Heiligengeſchichte bis zum romantiſchen Wunder-
baren, welches ſich durch die Berührung des Chriſtenthums mit der
Tapferkeit entzündete.

Es iſt uns unmöglich, dieſen hiſtoriſch-mythologiſchen Stoff zu
verfolgen. Es iſt nur im Allgemeinen zu bemerken, daß dieſe Mytho-
logie des Chriſtenthums urſprünglich durchaus auf der Anſchauung des
Univerſums als eines Reichs Gottes beruht. Die Geſchichten der Hei-
ligen ſind zugleich eine Geſchichte des Himmels ſelbſt, und ſogar die
Geſchichten der Könige ſind verflochten in dieſe allgemeine Geſchichte des
Reiches Gottes. Einzig nach dieſer Seite hat ſich das Chriſtenthum
zur Mythologie ausgebildet. So ſprach es ſich zuerſt in dem Gedicht
des Dante aus, welches das Univerſum unter den drei Grundan-
ſchauungen des Infernums, des Purgatoriums und des Paradieſes
darſtellt. Der Stoff aller ſeiner Dichtungen aber in dieſen drei Po-
tenzen iſt doch immer hiſtoriſch. In Frankreich und Spanien bildete
ſich der hiſtoriſch-chriſtliche Stoff vorzüglich zu der Mythologie des
Ritterthums aus. Der poetiſche Gipfel davon iſt Arioſto, deſſen
Gedicht das einzige epiſche wäre, wenn überhaupt in der modernen
Poeſie bis jetzt ein Epos ſeyn könnte.

In ſpäteren Zeiten, nachdem der Geſchmack am Ritterthum ver-
drängt war, haben die Spanier vorzüglich die Heiligenlegenden zu dra-
matiſchen Vorſtellungen genutzt. Den Gipfel dieſer Poeſie bezeichnet
der Spanier Calderon della Barca, von dem vielleicht noch nicht
einmal alles geſagt iſt, wenn man ihn dem Shakeſpeare gleich ſetzt.

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ken der bildenden Kunſt, vorzüglich der Malerei, in den lyriſchen,

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[439/0115] nur in der abſoluten Entzweiung möglich iſt, iſt in ſeinem Urſprung ſchon auf Wunder gegründet. Wunder iſt eine vom empiriſchen Stand- punkt aus angeſehene Abſolutheit, die in die Endlichkeit fällt, ohne deßwegen ein Verhältniß zu der Zeit zu haben. Das Wunderbare in der hiſtoriſchen Beziehung iſt nun der einzige mythologiſche Stoff des Chriſtenthums. Es verbreitet ſich von der Geſchichte Chriſti und der Apoſtel aus herab durch die Legende, die Märtyrer- und Heiligengeſchichte bis zum romantiſchen Wunder- baren, welches ſich durch die Berührung des Chriſtenthums mit der Tapferkeit entzündete. Es iſt uns unmöglich, dieſen hiſtoriſch-mythologiſchen Stoff zu verfolgen. Es iſt nur im Allgemeinen zu bemerken, daß dieſe Mytho- logie des Chriſtenthums urſprünglich durchaus auf der Anſchauung des Univerſums als eines Reichs Gottes beruht. Die Geſchichten der Hei- ligen ſind zugleich eine Geſchichte des Himmels ſelbſt, und ſogar die Geſchichten der Könige ſind verflochten in dieſe allgemeine Geſchichte des Reiches Gottes. Einzig nach dieſer Seite hat ſich das Chriſtenthum zur Mythologie ausgebildet. So ſprach es ſich zuerſt in dem Gedicht des Dante aus, welches das Univerſum unter den drei Grundan- ſchauungen des Infernums, des Purgatoriums und des Paradieſes darſtellt. Der Stoff aller ſeiner Dichtungen aber in dieſen drei Po- tenzen iſt doch immer hiſtoriſch. In Frankreich und Spanien bildete ſich der hiſtoriſch-chriſtliche Stoff vorzüglich zu der Mythologie des Ritterthums aus. Der poetiſche Gipfel davon iſt Arioſto, deſſen Gedicht das einzige epiſche wäre, wenn überhaupt in der modernen Poeſie bis jetzt ein Epos ſeyn könnte. In ſpäteren Zeiten, nachdem der Geſchmack am Ritterthum ver- drängt war, haben die Spanier vorzüglich die Heiligenlegenden zu dra- matiſchen Vorſtellungen genutzt. Den Gipfel dieſer Poeſie bezeichnet der Spanier Calderon della Barca, von dem vielleicht noch nicht einmal alles geſagt iſt, wenn man ihn dem Shakeſpeare gleich ſetzt. Die poetiſche Ausbildung der chriſtlichen Mythologie in den Wer- ken der bildenden Kunſt, vorzüglich der Malerei, in den lyriſchen,

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Zitationshilfe: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 439. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/115>, abgerufen am 27.11.2024.