über die Grenze der Anständigkeit getriebnes Entblößen des Halses hinten und vorn, das ich gleichwohl auch sonst Takt für De- corum habende Damen sich erlauben sah, die Schonung des andern Geschlechts abge- nommen habe. Daß die Ehemänner über solche Zurschautragung und Aublicksgestat- tungen nicht eifersüchtig werden, ist kein gutes Zeichen. Wenn die Vorzeit diese Reiz- parthien vielleicht zu sehr verhüllte, berech- tigt das, sie jetzt sperrweit zu öffnen?
Früh sollten die Eltern darauf bedacht seyn, die Kinder verschämt zu machen; denn da es bey unsern Sitten unmöglich gewor- den, alle Theile des Körpers so gleichgültig anzusehen wie Hände oder Nasen, so ist es um so nothwendiger, die Kinder zu einem ge- wissen Unterschiedmachen unter den Gliedern zu gewöhnen, doch muß solches mit großer Vorsichtigkeit geschehen, damit letztre sie nicht zu einer nachtheiligen Neugierde verleite. Es wäre gewiß nützlich, ihnen gehörigen Re- spekt vor ihrem eignen Leibe beyzubringen, um ihnen den nöthigen Respekt vor dem Körper anderer Menschen desto einleuchten- der zu machen. Die auf solche Art beyge- brachte Verschämtheit und Schamhaftigkeit
uͤber die Grenze der Anſtaͤndigkeit getriebnes Entbloͤßen des Halſes hinten und vorn, das ich gleichwohl auch ſonſt Takt fuͤr De- corum habende Damen ſich erlauben ſah, die Schonung des andern Geſchlechts abge- nommen habe. Daß die Ehemaͤnner uͤber ſolche Zurſchautragung und Aublicksgeſtat- tungen nicht eiferſuͤchtig werden, iſt kein gutes Zeichen. Wenn die Vorzeit dieſe Reiz- parthien vielleicht zu ſehr verhuͤllte, berech- tigt das, ſie jetzt ſperrweit zu oͤffnen?
Fruͤh ſollten die Eltern darauf bedacht ſeyn, die Kinder verſchaͤmt zu machen; denn da es bey unſern Sitten unmoͤglich gewor- den, alle Theile des Koͤrpers ſo gleichguͤltig anzuſehen wie Haͤnde oder Naſen, ſo iſt es um ſo nothwendiger, die Kinder zu einem ge- wiſſen Unterſchiedmachen unter den Gliedern zu gewoͤhnen, doch muß ſolches mit großer Vorſichtigkeit geſchehen, damit letztre ſie nicht zu einer nachtheiligen Neugierde verleite. Es waͤre gewiß nuͤtzlich, ihnen gehoͤrigen Re- ſpekt vor ihrem eignen Leibe beyzubringen, um ihnen den noͤthigen Reſpekt vor dem Koͤrper anderer Menſchen deſto einleuchten- der zu machen. Die auf ſolche Art beyge- brachte Verſchaͤmtheit und Schamhaftigkeit
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0060"n="43"/>
uͤber die Grenze der Anſtaͤndigkeit getriebnes<lb/>
Entbloͤßen des Halſes hinten und vorn,<lb/>
das ich gleichwohl auch ſonſt Takt fuͤr <hirendition="#aq">De-<lb/>
corum</hi> habende Damen ſich erlauben ſah,<lb/>
die Schonung des andern Geſchlechts abge-<lb/>
nommen habe. Daß die Ehemaͤnner uͤber<lb/>ſolche Zurſchautragung und Aublicksgeſtat-<lb/>
tungen nicht eiferſuͤchtig werden, iſt kein<lb/>
gutes Zeichen. Wenn die Vorzeit dieſe Reiz-<lb/>
parthien vielleicht zu ſehr verhuͤllte, berech-<lb/>
tigt das, ſie jetzt ſperrweit zu oͤffnen?</p><lb/><p>Fruͤh ſollten die Eltern darauf bedacht<lb/>ſeyn, die Kinder verſchaͤmt zu machen; denn<lb/>
da es bey unſern Sitten unmoͤglich gewor-<lb/>
den, alle Theile des Koͤrpers ſo gleichguͤltig<lb/>
anzuſehen wie Haͤnde oder Naſen, ſo iſt es<lb/>
um ſo nothwendiger, die Kinder zu einem ge-<lb/>
wiſſen Unterſchiedmachen unter den Gliedern<lb/>
zu gewoͤhnen, doch muß ſolches mit großer<lb/>
Vorſichtigkeit geſchehen, damit letztre ſie nicht<lb/>
zu einer nachtheiligen Neugierde verleite.<lb/>
Es waͤre gewiß nuͤtzlich, ihnen gehoͤrigen Re-<lb/>ſpekt vor ihrem eignen Leibe beyzubringen,<lb/>
um ihnen den noͤthigen Reſpekt vor dem<lb/>
Koͤrper anderer Menſchen deſto einleuchten-<lb/>
der zu machen. Die auf ſolche Art beyge-<lb/>
brachte Verſchaͤmtheit und Schamhaftigkeit<lb/></p></div></body></text></TEI>
[43/0060]
uͤber die Grenze der Anſtaͤndigkeit getriebnes
Entbloͤßen des Halſes hinten und vorn,
das ich gleichwohl auch ſonſt Takt fuͤr De-
corum habende Damen ſich erlauben ſah,
die Schonung des andern Geſchlechts abge-
nommen habe. Daß die Ehemaͤnner uͤber
ſolche Zurſchautragung und Aublicksgeſtat-
tungen nicht eiferſuͤchtig werden, iſt kein
gutes Zeichen. Wenn die Vorzeit dieſe Reiz-
parthien vielleicht zu ſehr verhuͤllte, berech-
tigt das, ſie jetzt ſperrweit zu oͤffnen?
Fruͤh ſollten die Eltern darauf bedacht
ſeyn, die Kinder verſchaͤmt zu machen; denn
da es bey unſern Sitten unmoͤglich gewor-
den, alle Theile des Koͤrpers ſo gleichguͤltig
anzuſehen wie Haͤnde oder Naſen, ſo iſt es
um ſo nothwendiger, die Kinder zu einem ge-
wiſſen Unterſchiedmachen unter den Gliedern
zu gewoͤhnen, doch muß ſolches mit großer
Vorſichtigkeit geſchehen, damit letztre ſie nicht
zu einer nachtheiligen Neugierde verleite.
Es waͤre gewiß nuͤtzlich, ihnen gehoͤrigen Re-
ſpekt vor ihrem eignen Leibe beyzubringen,
um ihnen den noͤthigen Reſpekt vor dem
Koͤrper anderer Menſchen deſto einleuchten-
der zu machen. Die auf ſolche Art beyge-
brachte Verſchaͤmtheit und Schamhaftigkeit
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823/60>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.