Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823.Jn dieser Zeit gab es eine Ebbe und Fluth von Russen, die man für die Beschützer Preußens erklärte. Jhr Benehmen erinnerte mich an vieles, was ich vor mehr als 40 Jah- ren über sie gedacht und von ihnen gesehen hatte. Was ich von ihnen sah und hörte, und die zurückgebliebenen Spuren ihres Auf- enthalts in Preußen, schmälerten eher mein Zutrauen zu ihrer Cultur- und Humanitäts- Verbesserung, als sie selbiges erweiterten. Da es mir überhaupt für einen kleinen Staat nachtheilig zu seyn scheint, sich dem Schutz eines weit mächtigern zu überlassen, so möcht' ich bey irgend freystehender Wahl am wenig- sten anräthig seyn, Engländer oder Russen zu seinen Schutzengeln anzunehmen. Bey letz- den können, und wär' es auch gewesen -- caetera
quis nescit -- wohl Jhr, daß Sie gestorben ist! Wer weiß, ist es nicht sogar gut, daß Sie hier keine Heilige geworden, wozu viele Eigenschaf- ten in Jhrer Seele lagen, deren Ausbildung aber Zeit und Umstände, besonders persönliche, unterbra- chen. Wie reichlich hätte Sie sich aber für alle Lei- den entschädigt gehalten, hätte Sie Jhres Todfein- des Napoleon Versetzung nach Elba und St. Helena und Jhres Friedrich Wilhelms siegreiche Einzüge in Paris nur ahnen können! Jn dieſer Zeit gab es eine Ebbe und Fluth von Ruſſen, die man fuͤr die Beſchuͤtzer Preußens erklaͤrte. Jhr Benehmen erinnerte mich an vieles, was ich vor mehr als 40 Jah- ren uͤber ſie gedacht und von ihnen geſehen hatte. Was ich von ihnen ſah und hoͤrte, und die zuruͤckgebliebenen Spuren ihres Auf- enthalts in Preußen, ſchmaͤlerten eher mein Zutrauen zu ihrer Cultur- und Humanitaͤts- Verbeſſerung, als ſie ſelbiges erweiterten. Da es mir uͤberhaupt fuͤr einen kleinen Staat nachtheilig zu ſeyn ſcheint, ſich dem Schutz eines weit maͤchtigern zu uͤberlaſſen, ſo moͤcht’ ich bey irgend freyſtehender Wahl am wenig- ſten anraͤthig ſeyn, Englaͤnder oder Ruſſen zu ſeinen Schutzengeln anzunehmen. Bey letz- den koͤnnen, und waͤr’ es auch geweſen — caetera
quis nescit — wohl Jhr, daß Sie geſtorben iſt! Wer weiß, iſt es nicht ſogar gut, daß Sie hier keine Heilige geworden, wozu viele Eigenſchaf- ten in Jhrer Seele lagen, deren Ausbildung aber Zeit und Umſtaͤnde, beſonders perſoͤnliche, unterbra- chen. Wie reichlich haͤtte Sie ſich aber fuͤr alle Lei- den entſchaͤdigt gehalten, haͤtte Sie Jhres Todfein- des Napoleon Verſetzung nach Elba und St. Helena und Jhres Friedrich Wilhelms ſiegreiche Einzuͤge in Paris nur ahnen koͤnnen! <TEI> <text> <body> <div n="1"> <list> <item><pb facs="#f0565" n="4"/> Jn dieſer Zeit gab es eine Ebbe und Fluth<lb/> von Ruſſen, die man fuͤr die Beſchuͤtzer<lb/> Preußens erklaͤrte. Jhr Benehmen erinnerte<lb/> mich an vieles, was ich vor mehr als 40 Jah-<lb/> ren uͤber ſie gedacht und von ihnen geſehen<lb/> hatte. Was ich von ihnen ſah und hoͤrte,<lb/> und die zuruͤckgebliebenen Spuren ihres Auf-<lb/> enthalts in Preußen, ſchmaͤlerten eher mein<lb/> Zutrauen zu ihrer Cultur- und Humanitaͤts-<lb/> Verbeſſerung, als ſie ſelbiges erweiterten. Da<lb/> es mir uͤberhaupt fuͤr einen kleinen Staat<lb/> nachtheilig zu ſeyn ſcheint, ſich dem Schutz<lb/> eines weit maͤchtigern zu uͤberlaſſen, ſo moͤcht’<lb/> ich bey irgend freyſtehender Wahl am wenig-<lb/> ſten anraͤthig ſeyn, Englaͤnder oder Ruſſen zu<lb/> ſeinen Schutzengeln anzunehmen. Bey letz-<lb/><note xml:id="seg2pn_44_2" prev="#seg2pn_44_1" place="foot" n="*)">den koͤnnen, und waͤr’ es auch geweſen — <hi rendition="#aq">caetera<lb/> quis nescit</hi> — wohl Jhr, daß Sie geſtorben iſt!<lb/> Wer weiß, iſt es nicht ſogar gut, daß Sie <hi rendition="#g">hier</hi><lb/> keine <hi rendition="#g">Heilige</hi> geworden, wozu viele Eigenſchaf-<lb/> ten in Jhrer Seele lagen, deren Ausbildung aber<lb/> Zeit und Umſtaͤnde, beſonders perſoͤnliche, unterbra-<lb/> chen. Wie reichlich haͤtte Sie ſich aber fuͤr alle Lei-<lb/> den entſchaͤdigt gehalten, haͤtte Sie Jhres Todfein-<lb/> des Napoleon Verſetzung nach Elba und St. Helena<lb/> und Jhres Friedrich Wilhelms ſiegreiche Einzuͤge in<lb/> Paris nur ahnen koͤnnen!</note><lb/></item> </list> </div> </body> </text> </TEI> [4/0565]
Jn dieſer Zeit gab es eine Ebbe und Fluth
von Ruſſen, die man fuͤr die Beſchuͤtzer
Preußens erklaͤrte. Jhr Benehmen erinnerte
mich an vieles, was ich vor mehr als 40 Jah-
ren uͤber ſie gedacht und von ihnen geſehen
hatte. Was ich von ihnen ſah und hoͤrte,
und die zuruͤckgebliebenen Spuren ihres Auf-
enthalts in Preußen, ſchmaͤlerten eher mein
Zutrauen zu ihrer Cultur- und Humanitaͤts-
Verbeſſerung, als ſie ſelbiges erweiterten. Da
es mir uͤberhaupt fuͤr einen kleinen Staat
nachtheilig zu ſeyn ſcheint, ſich dem Schutz
eines weit maͤchtigern zu uͤberlaſſen, ſo moͤcht’
ich bey irgend freyſtehender Wahl am wenig-
ſten anraͤthig ſeyn, Englaͤnder oder Ruſſen zu
ſeinen Schutzengeln anzunehmen. Bey letz-
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*) den koͤnnen, und waͤr’ es auch geweſen — caetera
quis nescit — wohl Jhr, daß Sie geſtorben iſt!
Wer weiß, iſt es nicht ſogar gut, daß Sie hier
keine Heilige geworden, wozu viele Eigenſchaf-
ten in Jhrer Seele lagen, deren Ausbildung aber
Zeit und Umſtaͤnde, beſonders perſoͤnliche, unterbra-
chen. Wie reichlich haͤtte Sie ſich aber fuͤr alle Lei-
den entſchaͤdigt gehalten, haͤtte Sie Jhres Todfein-
des Napoleon Verſetzung nach Elba und St. Helena
und Jhres Friedrich Wilhelms ſiegreiche Einzuͤge in
Paris nur ahnen koͤnnen!
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Zitationshilfe: | Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823/565>, abgerufen am 18.07.2024. |