andre Menschen zu schieben, so entsteht zuletzt aus dem Conslickt eines vernünftig richtenden Bewußtseyns mit der zwar modificabeln, aber doch unveränderlichen Natur eine Art von Jronie in und mit uns selbst, so, daß wir unsre Fehler und Jrrthümer wie unge- zogne Kinder, spielend behandeln, die uns vielleicht nicht so lieb seyn würden, wenn sie nicht eben mit solchen Unarten behaftet wären. -- Jeder Jrrthum, der aus dem Menschen und aus den Bedingungen, die ihn umgeben, entspringt, ist verzeihlich, oft ehr- würdig -- sich von einem eignen Jrrthum loszureissen, ist schwer, oft unmöglich bey großem Geist und großen Talenten, wer aber einen fremden Jrrthum aufnimmt, und balsstarrig dabey verbleibt, zeigt von gar gerin- gem Vermögen. Die Beharrlichkeit eines Original- irrenden kann uns erzürnen, die Hartnäckigkeit des Jrrthumscopisten macht verdrüßlich und ärgerlich.
Heinrich Jacobi sagt in Allwills Briefsamm- lung (Königsberg 1792 S. 218) "Jedes Uebermaas "an Kräften reitzt zu irgend einer Art von Gewalt- "thätigkeit und Unterdrückung, hierzu kommt bey den "Allwillen, daß ihren vorzüglichen Gaben eine beson- "ders zarte und lebhafte Sinnlichkeit, eine große Ge- "walt des Affekts, und eine ungemeine Energie der "Einbildungskraft zum Grunde liegt. Jch nenne den "Affekt vor der Einbildungskraft, weil die Einbil- "dungskraft der Allwille vornehmlich eine Einbildungs- "kraft des Affekts, und weniger als bey andern Men- "schen ein freieres Geistesvermögen ist. Die Mischung "dieser Grundsätze ist in keinem Einzelnen dieselbe, "und so haben auch in jedem Einzelnen der Verstand, "die Besonnenheit und der Wille ihre eigne Art und "Weise. Man kann aber ohne Gefahr annehmen "bey dieser Gattung, daß, wo der hellere Kopf "ist, auch ein höherer Grad der Ruchlosigkeit sich ein- "stellen wird. -- Der ganze Mensch, seinem sittlichen "Theile nach, ist Poesie geworden, und es kann mit "ihm dahin kommen, daß er alle Wahrheit verliert, "und keine ehrliche Faser an ihm bleibt. Die Bollkom- "menheit dieses Zustands ist ein eigentlicher Mysticis-
andre Menſchen zu ſchieben, ſo entſteht zuletzt aus dem Conſlickt eines vernuͤnftig richtenden Bewußtſeyns mit der zwar modificabeln, aber doch unveraͤnderlichen Natur eine Art von Jronie in und mit uns ſelbſt, ſo, daß wir unſre Fehler und Jrrthuͤmer wie unge- zogne Kinder, ſpielend behandeln, die uns vielleicht nicht ſo lieb ſeyn wuͤrden, wenn ſie nicht eben mit ſolchen Unarten behaftet waͤren. — Jeder Jrrthum, der aus dem Menſchen und aus den Bedingungen, die ihn umgeben, entſpringt, iſt verzeihlich, oft ehr- wuͤrdig — ſich von einem eignen Jrrthum loszureiſſen, iſt ſchwer, oft unmoͤglich bey großem Geiſt und großen Talenten, wer aber einen fremden Jrrthum aufnimmt, und balsſtarrig dabey verbleibt, zeigt von gar gerin- gem Vermoͤgen. Die Beharrlichkeit eines Original- irrenden kann uns erzuͤrnen, die Hartnaͤckigkeit des Jrrthumscopiſten macht verdruͤßlich und aͤrgerlich.
Heinrich Jacobi ſagt in Allwills Briefſamm- lung (Koͤnigsberg 1792 S. 218) „Jedes Uebermaas „an Kraͤften reitzt zu irgend einer Art von Gewalt- „thaͤtigkeit und Unterdruͤckung, hierzu kommt bey den „Allwillen, daß ihren vorzuͤglichen Gaben eine beſon- „ders zarte und lebhafte Sinnlichkeit, eine große Ge- „walt des Affekts, und eine ungemeine Energie der „Einbildungskraft zum Grunde liegt. Jch nenne den „Affekt vor der Einbildungskraft, weil die Einbil- „dungskraft der Allwille vornehmlich eine Einbildungs- „kraft des Affekts, und weniger als bey andern Men- „ſchen ein freieres Geiſtesvermoͤgen iſt. Die Miſchung „dieſer Grundſaͤtze iſt in keinem Einzelnen dieſelbe, „und ſo haben auch in jedem Einzelnen der Verſtand, „die Beſonnenheit und der Wille ihre eigne Art und „Weiſe. Man kann aber ohne Gefahr annehmen „bey dieſer Gattung, daß, wo der hellere Kopf „iſt, auch ein hoͤherer Grad der Ruchloſigkeit ſich ein- „ſtellen wird. — Der ganze Menſch, ſeinem ſittlichen „Theile nach, iſt Poeſie geworden, und es kann mit „ihm dahin kommen, daß er alle Wahrheit verliert, „und keine ehrliche Faſer an ihm bleibt. Die Bollkom- „menheit dieſes Zuſtands iſt ein eigentlicher Myſticis-
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[0557]
andre Menſchen zu ſchieben, ſo entſteht zuletzt aus
dem Conſlickt eines vernuͤnftig richtenden Bewußtſeyns
mit der zwar modificabeln, aber doch unveraͤnderlichen
Natur eine Art von Jronie in und mit uns ſelbſt,
ſo, daß wir unſre Fehler und Jrrthuͤmer wie unge-
zogne Kinder, ſpielend behandeln, die uns vielleicht
nicht ſo lieb ſeyn wuͤrden, wenn ſie nicht eben mit
ſolchen Unarten behaftet waͤren. — Jeder Jrrthum,
der aus dem Menſchen und aus den Bedingungen,
die ihn umgeben, entſpringt, iſt verzeihlich, oft ehr-
wuͤrdig — ſich von einem eignen Jrrthum loszureiſſen,
iſt ſchwer, oft unmoͤglich bey großem Geiſt und großen
Talenten, wer aber einen fremden Jrrthum aufnimmt,
und balsſtarrig dabey verbleibt, zeigt von gar gerin-
gem Vermoͤgen. Die Beharrlichkeit eines Original-
irrenden kann uns erzuͤrnen, die Hartnaͤckigkeit des
Jrrthumscopiſten macht verdruͤßlich und aͤrgerlich.
Heinrich Jacobi ſagt in Allwills Briefſamm-
lung (Koͤnigsberg 1792 S. 218) „Jedes Uebermaas
„an Kraͤften reitzt zu irgend einer Art von Gewalt-
„thaͤtigkeit und Unterdruͤckung, hierzu kommt bey den
„Allwillen, daß ihren vorzuͤglichen Gaben eine beſon-
„ders zarte und lebhafte Sinnlichkeit, eine große Ge-
„walt des Affekts, und eine ungemeine Energie der
„Einbildungskraft zum Grunde liegt. Jch nenne den
„Affekt vor der Einbildungskraft, weil die Einbil-
„dungskraft der Allwille vornehmlich eine Einbildungs-
„kraft des Affekts, und weniger als bey andern Men-
„ſchen ein freieres Geiſtesvermoͤgen iſt. Die Miſchung
„dieſer Grundſaͤtze iſt in keinem Einzelnen dieſelbe,
„und ſo haben auch in jedem Einzelnen der Verſtand,
„die Beſonnenheit und der Wille ihre eigne Art und
„Weiſe. Man kann aber ohne Gefahr annehmen
„bey dieſer Gattung, daß, wo der hellere Kopf
„iſt, auch ein hoͤherer Grad der Ruchloſigkeit ſich ein-
„ſtellen wird. — Der ganze Menſch, ſeinem ſittlichen
„Theile nach, iſt Poeſie geworden, und es kann mit
„ihm dahin kommen, daß er alle Wahrheit verliert,
„und keine ehrliche Faſer an ihm bleibt. Die Bollkom-
„menheit dieſes Zuſtands iſt ein eigentlicher Myſticis-
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Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823/557>, abgerufen am 23.11.2024.
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