eines Friedens mit Frankreich, mit Anmer- kungen über die deutsche Bundesakte laut genug ausge- sprochen ist.
Vergesse man doch auch nicht, so lange Napoleon lebt, an das bekannte naturam furca expellas tamen usque recurret zu denken -- denn kann er nicht noch einmal zu den Amerikanern oder Maratten entwischen. Discite justitiam moniti -- nec spernere. --
Da Beyträge zur Beförderung der Menschen- kenntniß und richtigen Beurtheilung berühmter Men- schen, wenn sie auch Quälgeister ihrer Zeit qewesen, jedem Wahrheitsfreunde lieb seyn müssen, so trag ich kein Bedenken meinem Schreiben über Napoleon einige Stellen beyzufügen, die ich heute (den 4. März 1813) in Göthe's Farbenlehre im zweyten Bande im Abschnitt über Newtons Persönlichkeit S. 480 bis 484 gelesen habe: "Der Mensch ist dem Jrren unter- "worfen und wie er in einer Folge, wie er immer "anhaltend irrt, so wird er zugleich falsch gegen sich und gegen andre. Dieser Jrrthum mag in Neigun- gen oder Meinungen bestehen. Von Neigungen wird es uns deutlicher, weil nicht leicht jemand seyn wird, der nicht eine solche Erfahrung an sich gemacht hätte. -- Je moralischer, je vernünftiger der Mensch ist, desto lügenhafter wird er, sobald er irret, desto unge- heurer muß der Jrrthum werden, sobald er darin be- harrt. -- Aengstlich aber ist es anzusehen, wenn ein starker Charakter, um sich selbst getreu zu bleiben, treulos gegen die Welt wird und, um innerlich wahr zu seyn, das Wirkliche für eine Lüge erklärt, und sich dabey ganz gleichgültig erzeigt, ob man ihn für hals- starrig, verstockt, eigensinuig oder für lächerlich halte. -- Es kann sich im Menschen ein höheres Bewußtseyn finden, so, daß er über die nothwendige, ihm ein- wohnende Natur, an der man durch alle Freyheit nichts zu ändern vermag, eine gewisse Uebersicht er- hält. Hierüber völlig ins Klare zu kommen, ist beynah unmöglich; sich in einzelnen Augenblicken zu schelten, geht wohl an, aber Niemanden ist gegeben, sich fort- während zu tadeln. Greift man nicht zum gemein- sten Mittel, seine Mängel auf die Umstände, auf
eines Friedens mit Frankreich, mit Anmer- kungen uͤber die deutſche Bundesakte laut genug ausge- ſprochen iſt.
Vergeſſe man doch auch nicht, ſo lange Napoleon lebt, an das bekannte naturam furca expellas tamen uſque recurret zu denken — denn kann er nicht noch einmal zu den Amerikanern oder Maratten entwiſchen. Discite juſtitiam moniti — nec ſpernere. —
Da Beytraͤge zur Befoͤrderung der Menſchen- kenntniß und richtigen Beurtheilung beruͤhmter Men- ſchen, wenn ſie auch Quaͤlgeiſter ihrer Zeit qeweſen, jedem Wahrheitsfreunde lieb ſeyn muͤſſen, ſo trag ich kein Bedenken meinem Schreiben uͤber Napoleon einige Stellen beyzufuͤgen, die ich heute (den 4. Maͤrz 1813) in Goͤthe’s Farbenlehre im zweyten Bande im Abſchnitt uͤber Newtons Perſoͤnlichkeit S. 480 bis 484 geleſen habe: „Der Menſch iſt dem Jrren unter- „worfen und wie er in einer Folge, wie er immer „anhaltend irrt, ſo wird er zugleich falſch gegen ſich und gegen andre. Dieſer Jrrthum mag in Neigun- gen oder Meinungen beſtehen. Von Neigungen wird es uns deutlicher, weil nicht leicht jemand ſeyn wird, der nicht eine ſolche Erfahrung an ſich gemacht haͤtte. — Je moraliſcher, je vernuͤnftiger der Menſch iſt, deſto luͤgenhafter wird er, ſobald er irret, deſto unge- heurer muß der Jrrthum werden, ſobald er darin be- harrt. — Aengſtlich aber iſt es anzuſehen, wenn ein ſtarker Charakter, um ſich ſelbſt getreu zu bleiben, treulos gegen die Welt wird und, um innerlich wahr zu ſeyn, das Wirkliche fuͤr eine Luͤge erklaͤrt, und ſich dabey ganz gleichguͤltig erzeigt, ob man ihn fuͤr hals- ſtarrig, verſtockt, eigenſinuig oder fuͤr laͤcherlich halte. — Es kann ſich im Menſchen ein hoͤheres Bewußtſeyn finden, ſo, daß er uͤber die nothwendige, ihm ein- wohnende Natur, an der man durch alle Freyheit nichts zu aͤndern vermag, eine gewiſſe Ueberſicht er- haͤlt. Hieruͤber voͤllig ins Klare zu kommen, iſt beynah unmoͤglich; ſich in einzelnen Augenblicken zu ſchelten, geht wohl an, aber Niemanden iſt gegeben, ſich fort- waͤhrend zu tadeln. Greift man nicht zum gemein- ſten Mittel, ſeine Maͤngel auf die Umſtaͤnde, auf
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[0556]
eines Friedens mit Frankreich, mit Anmer-
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Vergeſſe man doch auch nicht, ſo lange Napoleon
lebt, an das bekannte naturam furca expellas tamen
uſque recurret zu denken — denn kann er nicht noch
einmal zu den Amerikanern oder Maratten entwiſchen.
Discite juſtitiam moniti — nec ſpernere. —
Da Beytraͤge zur Befoͤrderung der Menſchen-
kenntniß und richtigen Beurtheilung beruͤhmter Men-
ſchen, wenn ſie auch Quaͤlgeiſter ihrer Zeit qeweſen,
jedem Wahrheitsfreunde lieb ſeyn muͤſſen, ſo trag ich
kein Bedenken meinem Schreiben uͤber Napoleon einige
Stellen beyzufuͤgen, die ich heute (den 4. Maͤrz 1813)
in Goͤthe’s Farbenlehre im zweyten Bande im
Abſchnitt uͤber Newtons Perſoͤnlichkeit S. 480 bis
484 geleſen habe: „Der Menſch iſt dem Jrren unter-
„worfen und wie er in einer Folge, wie er immer
„anhaltend irrt, ſo wird er zugleich falſch gegen ſich
und gegen andre. Dieſer Jrrthum mag in Neigun-
gen oder Meinungen beſtehen. Von Neigungen wird
es uns deutlicher, weil nicht leicht jemand ſeyn wird,
der nicht eine ſolche Erfahrung an ſich gemacht haͤtte.
— Je moraliſcher, je vernuͤnftiger der Menſch iſt,
deſto luͤgenhafter wird er, ſobald er irret, deſto unge-
heurer muß der Jrrthum werden, ſobald er darin be-
harrt. — Aengſtlich aber iſt es anzuſehen, wenn ein
ſtarker Charakter, um ſich ſelbſt getreu zu bleiben,
treulos gegen die Welt wird und, um innerlich wahr
zu ſeyn, das Wirkliche fuͤr eine Luͤge erklaͤrt, und ſich
dabey ganz gleichguͤltig erzeigt, ob man ihn fuͤr hals-
ſtarrig, verſtockt, eigenſinuig oder fuͤr laͤcherlich halte.
— Es kann ſich im Menſchen ein hoͤheres Bewußtſeyn
finden, ſo, daß er uͤber die nothwendige, ihm ein-
wohnende Natur, an der man durch alle Freyheit
nichts zu aͤndern vermag, eine gewiſſe Ueberſicht er-
haͤlt. Hieruͤber voͤllig ins Klare zu kommen, iſt beynah
unmoͤglich; ſich in einzelnen Augenblicken zu ſchelten,
geht wohl an, aber Niemanden iſt gegeben, ſich fort-
waͤhrend zu tadeln. Greift man nicht zum gemein-
ſten Mittel, ſeine Maͤngel auf die Umſtaͤnde, auf
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Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823/556>, abgerufen am 23.11.2024.
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