Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823.

Bild:
<< vorherige Seite

schon manchmal leise zu sich selbst gesprochen haben:
O Taleyrand! Taleyrand! -- Dieser Jntelligenzcrösus
beweißt offenbar, daß uneingeschränktes Hingeben an
starke Leidenschaften den Untergang des Verstandes zur
sichern Folge hat, daß das Schrecklichste und Schänd-
lichste ist, wenn der Verstand Unverstand wird. Hätte
sich der Kaiser, dem doch wohl keiner einen ausge-
zeichneten Verstand absprechen wird, nicht zu grenzen-
losem Hoch- und Ueber-Muth und zu einer, jede bür-
gerliche Beschränkung verachtenden Herrschsucht verlei-
ten lassen, so wär Er der Lieblingsheld der Geschichte
geblieben; ein höchstwichtiger bleibt er ihr gewiß, zu-
mal künftige Jahrhunderte ihm noch für Wohlthaten
werden danken müssen, über deren Erlangungsmittel
freylich die Gegenwart Blutsthränen vergießt, die aber
ohne seinen Sturm und Drang vielleicht niemals, we-
nigstens viel später, manchen Reichen zu Theil ge-
worden wären.

Ein ihm vom Himmel ertheiltes Mandat läßt sich
kaum ableugnen, daß er es aber für ein Mandatum
cum libera
gehalten, und bey seinem täglich wachsen-
den Stolz es unterlassen hat, die vorgeschriebnen limi-
ter
zu erwägen, ist allein seine Schuld, wofür er
aber in dieser Zeit auf eine Art hat büssen müssen,
von der man sich nur eine Vorstellung machen kann,

"Cirkels zeigten, und jenen Mittelpunct ihm
"sich selbst sichtbar machten. Eine gewisse Weich-
"herzigkeit!? (Sucht, nie verlegen scheinen zu
"wollen) bewog ihn oft zum Unwahrseyn, und
"da die Lüge eine Hyder ist, der statt Eines ihr
"abgehauenen Kopfs stets zwey wieder wachsen,
"wer kann sich wundern, daß die Herkulesse so
"selten sind, die ihr alle Köpfe auf Einen Hieb
"abzuhauen Lust und Vermögen haben."

ſchon manchmal leiſe zu ſich ſelbſt geſprochen haben:
O Taleyrand! Taleyrand! — Dieſer Jntelligenzcroͤſus
beweißt offenbar, daß uneingeſchraͤnktes Hingeben an
ſtarke Leidenſchaften den Untergang des Verſtandes zur
ſichern Folge hat, daß das Schrecklichſte und Schaͤnd-
lichſte iſt, wenn der Verſtand Unverſtand wird. Haͤtte
ſich der Kaiſer, dem doch wohl keiner einen ausge-
zeichneten Verſtand abſprechen wird, nicht zu grenzen-
loſem Hoch- und Ueber-Muth und zu einer, jede buͤr-
gerliche Beſchraͤnkung verachtenden Herrſchſucht verlei-
ten laſſen, ſo waͤr Er der Lieblingsheld der Geſchichte
geblieben; ein hoͤchſtwichtiger bleibt er ihr gewiß, zu-
mal kuͤnftige Jahrhunderte ihm noch fuͤr Wohlthaten
werden danken muͤſſen, uͤber deren Erlangungsmittel
freylich die Gegenwart Blutsthraͤnen vergießt, die aber
ohne ſeinen Sturm und Drang vielleicht niemals, we-
nigſtens viel ſpaͤter, manchen Reichen zu Theil ge-
worden waͤren.

Ein ihm vom Himmel ertheiltes Mandat laͤßt ſich
kaum ableugnen, daß er es aber fuͤr ein Mandatum
cum libera
gehalten, und bey ſeinem taͤglich wachſen-
den Stolz es unterlaſſen hat, die vorgeſchriebnen limi-
ter
zu erwaͤgen, iſt allein ſeine Schuld, wofuͤr er
aber in dieſer Zeit auf eine Art hat buͤſſen muͤſſen,
von der man ſich nur eine Vorſtellung machen kann,

„Cirkels zeigten, und jenen Mittelpunct ihm
„ſich ſelbſt ſichtbar machten. Eine gewiſſe Weich-
„herzigkeit!? (Sucht, nie verlegen ſcheinen zu
„wollen) bewog ihn oft zum Unwahrſeyn, und
„da die Luͤge eine Hyder iſt, der ſtatt Eines ihr
„abgehauenen Kopfs ſtets zwey wieder wachſen,
„wer kann ſich wundern, daß die Herkuleſſe ſo
„ſelten ſind, die ihr alle Koͤpfe auf Einen Hieb
„abzuhauen Luſt und Vermoͤgen haben.“
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0552"/>
&#x017F;chon manchmal lei&#x017F;e zu &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t ge&#x017F;prochen haben:<lb/><hi rendition="#aq">O Taleyrand! Taleyrand!</hi> &#x2014; Die&#x017F;er Jntelligenzcro&#x0364;&#x017F;us<lb/>
beweißt offenbar, daß uneinge&#x017F;chra&#x0364;nktes Hingeben an<lb/>
&#x017F;tarke Leiden&#x017F;chaften den Untergang des Ver&#x017F;tandes zur<lb/>
&#x017F;ichern Folge hat, daß das Schrecklich&#x017F;te und Scha&#x0364;nd-<lb/>
lich&#x017F;te i&#x017F;t, wenn der Ver&#x017F;tand Unver&#x017F;tand wird. Ha&#x0364;tte<lb/>
&#x017F;ich der Kai&#x017F;er, dem doch wohl keiner einen ausge-<lb/>
zeichneten Ver&#x017F;tand ab&#x017F;prechen wird, nicht zu grenzen-<lb/>
lo&#x017F;em Hoch- und Ueber-Muth und zu einer, jede bu&#x0364;r-<lb/>
gerliche Be&#x017F;chra&#x0364;nkung verachtenden Herr&#x017F;ch&#x017F;ucht verlei-<lb/>
ten la&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;o wa&#x0364;r Er der Lieblingsheld der Ge&#x017F;chichte<lb/>
geblieben; ein ho&#x0364;ch&#x017F;twichtiger bleibt er ihr gewiß, zu-<lb/>
mal ku&#x0364;nftige Jahrhunderte ihm noch fu&#x0364;r Wohlthaten<lb/>
werden danken mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, u&#x0364;ber deren Erlangungsmittel<lb/>
freylich die Gegenwart Blutsthra&#x0364;nen vergießt, die aber<lb/>
ohne &#x017F;einen Sturm und Drang vielleicht niemals, we-<lb/>
nig&#x017F;tens viel &#x017F;pa&#x0364;ter, manchen Reichen zu Theil ge-<lb/>
worden wa&#x0364;ren.</p><lb/>
          <p>Ein ihm vom Himmel ertheiltes Mandat la&#x0364;ßt &#x017F;ich<lb/>
kaum ableugnen, daß er es aber fu&#x0364;r ein <hi rendition="#aq">Mandatum<lb/>
cum libera</hi> gehalten, und bey &#x017F;einem ta&#x0364;glich wach&#x017F;en-<lb/>
den Stolz es unterla&#x017F;&#x017F;en hat, die vorge&#x017F;chriebnen <hi rendition="#aq">limi-<lb/>
ter</hi> zu erwa&#x0364;gen, i&#x017F;t allein &#x017F;eine Schuld, wofu&#x0364;r er<lb/>
aber in die&#x017F;er Zeit auf eine Art hat bu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
von der man &#x017F;ich nur eine Vor&#x017F;tellung machen kann,<lb/><note xml:id="seg2pn_43_2" prev="#seg2pn_43_1" place="foot" n="**)"><cit><quote>&#x201E;Cirkels zeigten, und jenen Mittelpunct ihm<lb/>
&#x201E;&#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;ichtbar machten. Eine gewi&#x017F;&#x017F;e Weich-<lb/>
&#x201E;herzigkeit!? (Sucht, nie verlegen &#x017F;cheinen zu<lb/>
&#x201E;wollen) bewog ihn oft zum Unwahr&#x017F;eyn, und<lb/>
&#x201E;da die Lu&#x0364;ge eine Hyder i&#x017F;t, der &#x017F;tatt Eines ihr<lb/>
&#x201E;abgehauenen Kopfs &#x017F;tets zwey wieder wach&#x017F;en,<lb/>
&#x201E;wer kann &#x017F;ich wundern, daß die Herkule&#x017F;&#x017F;e &#x017F;o<lb/>
&#x201E;&#x017F;elten &#x017F;ind, die ihr alle Ko&#x0364;pfe auf Einen Hieb<lb/>
&#x201E;abzuhauen Lu&#x017F;t und Vermo&#x0364;gen haben.&#x201C;</quote></cit></note><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0552] ſchon manchmal leiſe zu ſich ſelbſt geſprochen haben: O Taleyrand! Taleyrand! — Dieſer Jntelligenzcroͤſus beweißt offenbar, daß uneingeſchraͤnktes Hingeben an ſtarke Leidenſchaften den Untergang des Verſtandes zur ſichern Folge hat, daß das Schrecklichſte und Schaͤnd- lichſte iſt, wenn der Verſtand Unverſtand wird. Haͤtte ſich der Kaiſer, dem doch wohl keiner einen ausge- zeichneten Verſtand abſprechen wird, nicht zu grenzen- loſem Hoch- und Ueber-Muth und zu einer, jede buͤr- gerliche Beſchraͤnkung verachtenden Herrſchſucht verlei- ten laſſen, ſo waͤr Er der Lieblingsheld der Geſchichte geblieben; ein hoͤchſtwichtiger bleibt er ihr gewiß, zu- mal kuͤnftige Jahrhunderte ihm noch fuͤr Wohlthaten werden danken muͤſſen, uͤber deren Erlangungsmittel freylich die Gegenwart Blutsthraͤnen vergießt, die aber ohne ſeinen Sturm und Drang vielleicht niemals, we- nigſtens viel ſpaͤter, manchen Reichen zu Theil ge- worden waͤren. Ein ihm vom Himmel ertheiltes Mandat laͤßt ſich kaum ableugnen, daß er es aber fuͤr ein Mandatum cum libera gehalten, und bey ſeinem taͤglich wachſen- den Stolz es unterlaſſen hat, die vorgeſchriebnen limi- ter zu erwaͤgen, iſt allein ſeine Schuld, wofuͤr er aber in dieſer Zeit auf eine Art hat buͤſſen muͤſſen, von der man ſich nur eine Vorſtellung machen kann, **) **) „Cirkels zeigten, und jenen Mittelpunct ihm „ſich ſelbſt ſichtbar machten. Eine gewiſſe Weich- „herzigkeit!? (Sucht, nie verlegen ſcheinen zu „wollen) bewog ihn oft zum Unwahrſeyn, und „da die Luͤge eine Hyder iſt, der ſtatt Eines ihr „abgehauenen Kopfs ſtets zwey wieder wachſen, „wer kann ſich wundern, daß die Herkuleſſe ſo „ſelten ſind, die ihr alle Koͤpfe auf Einen Hieb „abzuhauen Luſt und Vermoͤgen haben.“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823/552
Zitationshilfe: Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823/552>, abgerufen am 22.11.2024.