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Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823.

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truppweise und einzeln, zum Theil zu Fuß, zurück-
kommen und ihrem beynah in gleichem Elend ent-
flohnen Kaiser nachziehen sieht. Gewiß hat letztrer
bey seinem rein übermüthigen Einmarsch in Rußland
nicht gedacht, es könne ihm so schlecht, ja sogar noch
schlechter gehen, wie Carl XII., vielmehr müsse ihm
alles so glücken, wie dem Sohne Pipins, von dem
er gewiß eine viel andre Meinung hatte, *) wie J. G.

*) "Ueberhaupt besteht Carl nicht vor dem Gericht,
"das ihn mit dem moralischen Maasstabe, der am
"Ende doch der einzige ist, richtet. Denn so
"wenig als in seinem Privatleben, hat er auf dem
"Thron auf die Stimme der Pflicht geachtet.
"Was die Leidenschaften forderten, oder sein Ver-
"stand für nützlich erkannte, das geschah oft mit
"wilder Verleugnung der gewöhnlichen Gefühle
"von Anstand, Sitte nnd Recht. Dagegen bleibt
"die Naturkraft, die in ihm war, ein ewiger
"Gegenstand der Bewunderung und ein imposanter
"Beweis von der Stärke menschlichen Erkenntniß-
"vermögens und von der Macht eines festen
"Willens; die Weltgeschichte kennt nur wenige,
"die an Einsicht und freyem Geiste ihrem Zeitalter
"so weit vorgeeilt wären, die so bestimmt wußten,
"was sie wollten, die so sicher die Gelegenheit an
"der Stirnlocke erhaschten, die für die Zwecke der
"Klugheit eine solche Herrschaft über sich selbst
"hatten, und die die Vortheile, die Verstand,
"Energie und Glück ihnen gaben, zu so großen
"Planen benutzten, als er. Auch war in ihm
"eine so große Fülle der Kraft und eine so hohe
"Selbstständigkeit, daß er in jedem andern, auch
"im gebildesten Zeitalter, sich als ein Stern erster
"Größe erwiesen, und jedes, je nachdem der
"Gang der Dinge es gab, erschüttert oder ver-
"herrlicht hätte. -- Er war ein zum Glänzen,
"Verwunden und Verblenden geschliffnes Zeit-
"schwerdt, das oft Völker zu politischen Dresch-

truppweiſe und einzeln, zum Theil zu Fuß, zuruͤck-
kommen und ihrem beynah in gleichem Elend ent-
flohnen Kaiſer nachziehen ſieht. Gewiß hat letztrer
bey ſeinem rein uͤbermuͤthigen Einmarſch in Rußland
nicht gedacht, es koͤnne ihm ſo ſchlecht, ja ſogar noch
ſchlechter gehen, wie Carl XII., vielmehr muͤſſe ihm
alles ſo gluͤcken, wie dem Sohne Pipins, von dem
er gewiß eine viel andre Meinung hatte, *) wie J. G.

*) „Ueberhaupt beſteht Carl nicht vor dem Gericht,
„das ihn mit dem moraliſchen Maasſtabe, der am
„Ende doch der einzige iſt, richtet. Denn ſo
„wenig als in ſeinem Privatleben, hat er auf dem
„Thron auf die Stimme der Pflicht geachtet.
„Was die Leidenſchaften forderten, oder ſein Ver-
„ſtand fuͤr nuͤtzlich erkannte, das geſchah oft mit
„wilder Verleugnung der gewoͤhnlichen Gefuͤhle
„von Anſtand, Sitte nnd Recht. Dagegen bleibt
„die Naturkraft, die in ihm war, ein ewiger
„Gegenſtand der Bewunderung und ein impoſanter
„Beweis von der Staͤrke menſchlichen Erkenntniß-
„vermoͤgens und von der Macht eines feſten
„Willens; die Weltgeſchichte kennt nur wenige,
„die an Einſicht und freyem Geiſte ihrem Zeitalter
„ſo weit vorgeeilt waͤren, die ſo beſtimmt wußten,
„was ſie wollten, die ſo ſicher die Gelegenheit an
„der Stirnlocke erhaſchten, die fuͤr die Zwecke der
„Klugheit eine ſolche Herrſchaft uͤber ſich ſelbſt
„hatten, und die die Vortheile, die Verſtand,
„Energie und Gluͤck ihnen gaben, zu ſo großen
„Planen benutzten, als er. Auch war in ihm
„eine ſo große Fuͤlle der Kraft und eine ſo hohe
„Selbſtſtaͤndigkeit, daß er in jedem andern, auch
„im gebildeſten Zeitalter, ſich als ein Stern erſter
„Groͤße erwieſen, und jedes, je nachdem der
„Gang der Dinge es gab, erſchuͤttert oder ver-
„herrlicht haͤtte. — Er war ein zum Glaͤnzen,
„Verwunden und Verblenden geſchliffnes Zeit-
„ſchwerdt, das oft Voͤlker zu politiſchen Dreſch-
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[0550] truppweiſe und einzeln, zum Theil zu Fuß, zuruͤck- kommen und ihrem beynah in gleichem Elend ent- flohnen Kaiſer nachziehen ſieht. Gewiß hat letztrer bey ſeinem rein uͤbermuͤthigen Einmarſch in Rußland nicht gedacht, es koͤnne ihm ſo ſchlecht, ja ſogar noch ſchlechter gehen, wie Carl XII., vielmehr muͤſſe ihm alles ſo gluͤcken, wie dem Sohne Pipins, von dem er gewiß eine viel andre Meinung hatte, *) wie J. G. *) „Ueberhaupt beſteht Carl nicht vor dem Gericht, „das ihn mit dem moraliſchen Maasſtabe, der am „Ende doch der einzige iſt, richtet. Denn ſo „wenig als in ſeinem Privatleben, hat er auf dem „Thron auf die Stimme der Pflicht geachtet. „Was die Leidenſchaften forderten, oder ſein Ver- „ſtand fuͤr nuͤtzlich erkannte, das geſchah oft mit „wilder Verleugnung der gewoͤhnlichen Gefuͤhle „von Anſtand, Sitte nnd Recht. Dagegen bleibt „die Naturkraft, die in ihm war, ein ewiger „Gegenſtand der Bewunderung und ein impoſanter „Beweis von der Staͤrke menſchlichen Erkenntniß- „vermoͤgens und von der Macht eines feſten „Willens; die Weltgeſchichte kennt nur wenige, „die an Einſicht und freyem Geiſte ihrem Zeitalter „ſo weit vorgeeilt waͤren, die ſo beſtimmt wußten, „was ſie wollten, die ſo ſicher die Gelegenheit an „der Stirnlocke erhaſchten, die fuͤr die Zwecke der „Klugheit eine ſolche Herrſchaft uͤber ſich ſelbſt „hatten, und die die Vortheile, die Verſtand, „Energie und Gluͤck ihnen gaben, zu ſo großen „Planen benutzten, als er. Auch war in ihm „eine ſo große Fuͤlle der Kraft und eine ſo hohe „Selbſtſtaͤndigkeit, daß er in jedem andern, auch „im gebildeſten Zeitalter, ſich als ein Stern erſter „Groͤße erwieſen, und jedes, je nachdem der „Gang der Dinge es gab, erſchuͤttert oder ver- „herrlicht haͤtte. — Er war ein zum Glaͤnzen, „Verwunden und Verblenden geſchliffnes Zeit- „ſchwerdt, das oft Voͤlker zu politiſchen Dreſch-

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Zitationshilfe: Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823/550>, abgerufen am 25.11.2024.