Leben Aehnliches, das mehr im Empsinden der Kraftabnahme besteht, als es wirklichen Kraftgenuß zuläßt. Jndessen war es eine Thorheit und Ungerechtigkeit zugleich, wenn man sich über eine längere Dauer des Lebens ärgern, oder nicht Gott auch für sie danken wollte, besonders wenn das Lebvermögen noch nicht so erschöpft ist, daß man blos schwerfallen und drücken, aber gar nicht tragen oder heben könnte.
Mit meinem Alter muß ich sehr zufrie- den seyn, denn erlaubt es mir auch nicht, aus freyer Hand zu geben, so doch mit dankbarer zu empfangen und denen, die sich mit mir unterhalten, nicht alles schul- dig zu bleiben. Hab ich doch sogar zum Ersatz meines Jugendfreundes L'Estocq einen neuen Freund im General Freyherrn von Valentini gewonnen, dessen Zu- trauen in den vielen Zwiesprachen, während seines hiesigen Aufenthalts, mir bis zu dem Grade zu Theil geworden, daß er mir bey seinem Ausmarsch zu den jetzt fast beendig- ten Wunderkriege seine sämmtlichen Papiere zurückgelassen.
Viele Wochen hat mich das Durchlesen seines vieljährigen intereffanten Briefwechsels
Leben Aehnliches, das mehr im Empſinden der Kraftabnahme beſteht, als es wirklichen Kraftgenuß zulaͤßt. Jndeſſen war es eine Thorheit und Ungerechtigkeit zugleich, wenn man ſich uͤber eine laͤngere Dauer des Lebens aͤrgern, oder nicht Gott auch fuͤr ſie danken wollte, beſonders wenn das Lebvermoͤgen noch nicht ſo erſchoͤpft iſt, daß man blos ſchwerfallen und druͤcken, aber gar nicht tragen oder heben koͤnnte.
Mit meinem Alter muß ich ſehr zufrie- den ſeyn, denn erlaubt es mir auch nicht, aus freyer Hand zu geben, ſo doch mit dankbarer zu empfangen und denen, die ſich mit mir unterhalten, nicht alles ſchul- dig zu bleiben. Hab ich doch ſogar zum Erſatz meines Jugendfreundes L’Estocq einen neuen Freund im General Freyherrn von Valentini gewonnen, deſſen Zu- trauen in den vielen Zwieſprachen, waͤhrend ſeines hieſigen Aufenthalts, mir bis zu dem Grade zu Theil geworden, daß er mir bey ſeinem Ausmarſch zu den jetzt faſt beendig- ten Wunderkriege ſeine ſaͤmmtlichen Papiere zuruͤckgelaſſen.
Viele Wochen hat mich das Durchleſen ſeines vieljaͤhrigen intereffanten Briefwechſels
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Leben Aehnliches, das mehr im Empſinden
der Kraftabnahme beſteht, als es wirklichen
Kraftgenuß zulaͤßt. Jndeſſen war es eine
Thorheit und Ungerechtigkeit zugleich, wenn
man ſich uͤber eine laͤngere Dauer des Lebens
aͤrgern, oder nicht Gott auch fuͤr ſie danken
wollte, beſonders wenn das Lebvermoͤgen
noch nicht ſo erſchoͤpft iſt, daß man blos
ſchwerfallen und druͤcken, aber gar nicht
tragen oder heben koͤnnte.
Mit meinem Alter muß ich ſehr zufrie-
den ſeyn, denn erlaubt es mir auch nicht,
aus freyer Hand zu geben, ſo doch mit
dankbarer zu empfangen und denen, die
ſich mit mir unterhalten, nicht alles ſchul-
dig zu bleiben. Hab ich doch ſogar zum
Erſatz meines Jugendfreundes L’Estocq
einen neuen Freund im General Freyherrn
von Valentini gewonnen, deſſen Zu-
trauen in den vielen Zwieſprachen, waͤhrend
ſeines hieſigen Aufenthalts, mir bis zu dem
Grade zu Theil geworden, daß er mir bey
ſeinem Ausmarſch zu den jetzt faſt beendig-
ten Wunderkriege ſeine ſaͤmmtlichen Papiere
zuruͤckgelaſſen.
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Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823, S. 479. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823/496>, abgerufen am 22.11.2024.
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