ziehung widerrathen, nicht eigensinnig zu scheinen.
Die Begebenheiten und Erfahrungen im Kleinen und Großen, welche die abgewich- nen zehn Jahre zu dreyßig Jahren gemacht haben, machen es mir daher nicht im min- desten befremdlich, daß ich, der schon vor zehn Jahren ein Greis war, in diesem Jahre noch merklicher wie in den vorigen an Leib und Seele abgenommen habe. Bey der zugenommnen Schwäche der Augen und Ohren, für die es beynah über Ver- mögen zu sehen und zu hören giebt, bin ich mithin viel unfähiger geworden, den Sprün- gen und Läufen des Weltkreisels gehörig auszuweichen oder zu begegnen. Zum Glück ist mir ungeschwächt geblieben die Erwartung des Bessern und der Glaube, daß durch alle Leiden der Gegenwart nicht zu theuer erkauft werde die Zukunft, und ich spreche getrost Flemmings und Heyne's letzten Reime nach, erstre aus einem Sonnet, das er drey Tage vor seinem Tode machte:
-- -- -- -- -- -- Freunde, -- -- --
Jch sag euch gute Nacht, und trete willig ab, Sonst alles ist gethan, bis an das schwarze Grab. Was frey dem Tode sieht, das thu er seinem Feinde.
ziehung widerrathen, nicht eigenſinnig zu ſcheinen.
Die Begebenheiten und Erfahrungen im Kleinen und Großen, welche die abgewich- nen zehn Jahre zu dreyßig Jahren gemacht haben, machen es mir daher nicht im min- deſten befremdlich, daß ich, der ſchon vor zehn Jahren ein Greis war, in dieſem Jahre noch merklicher wie in den vorigen an Leib und Seele abgenommen habe. Bey der zugenommnen Schwaͤche der Augen und Ohren, fuͤr die es beynah uͤber Ver- moͤgen zu ſehen und zu hoͤren giebt, bin ich mithin viel unfaͤhiger geworden, den Spruͤn- gen und Laͤufen des Weltkreiſels gehoͤrig auszuweichen oder zu begegnen. Zum Gluͤck iſt mir ungeſchwaͤcht geblieben die Erwartung des Beſſern und der Glaube, daß durch alle Leiden der Gegenwart nicht zu theuer erkauft werde die Zukunft, und ich ſpreche getroſt Flemmings und Heyne’s letzten Reime nach, erſtre aus einem Sonnet, das er drey Tage vor ſeinem Tode machte:
— — — — — — Freunde, — — —
Jch ſag euch gute Nacht, und trete willig ab, Sonſt alles iſt gethan, bis an das ſchwarze Grab. Was frey dem Tode ſieht, das thu er ſeinem Feinde.
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ziehung widerrathen, nicht eigenſinnig zu
ſcheinen.
Die Begebenheiten und Erfahrungen
im Kleinen und Großen, welche die abgewich-
nen zehn Jahre zu dreyßig Jahren gemacht
haben, machen es mir daher nicht im min-
deſten befremdlich, daß ich, der ſchon vor
zehn Jahren ein Greis war, in dieſem
Jahre noch merklicher wie in den vorigen
an Leib und Seele abgenommen habe.
Bey der zugenommnen Schwaͤche der Augen
und Ohren, fuͤr die es beynah uͤber Ver-
moͤgen zu ſehen und zu hoͤren giebt, bin ich
mithin viel unfaͤhiger geworden, den Spruͤn-
gen und Laͤufen des Weltkreiſels gehoͤrig
auszuweichen oder zu begegnen. Zum Gluͤck
iſt mir ungeſchwaͤcht geblieben die Erwartung
des Beſſern und der Glaube, daß durch alle
Leiden der Gegenwart nicht zu theuer erkauft
werde die Zukunft, und ich ſpreche getroſt
Flemmings und Heyne’s letzten Reime
nach, erſtre aus einem Sonnet, das er
drey Tage vor ſeinem Tode machte:
— — — — — — Freunde, — — —Jch ſag euch gute Nacht, und trete willig ab,
Sonſt alles iſt gethan, bis an das ſchwarze Grab.
Was frey dem Tode ſieht, das thu er ſeinem
Feinde.
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Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823, S. 469. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823/486>, abgerufen am 23.11.2024.
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