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Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823.

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Den 8ten August 1813.

Mein lieber Freund, der Consistorialrath
Krause hat sehr Recht, wenn er in seinem
heut früh um 6 erhaltnen Glückwunsch zu
meinem Neujahr sagt: "Es war ein ern-
"stes
Jahr, auf das sie heute zurücksehen,
"sie standen in demselben zweymal vor den
"Pforten der Ewigkeit, ihnen selbst schienen
"sie sich öffnen zu wollen, und dann beglei-
"teten sie zu denselben die edle Gefährtin
"ihres Lebens." Meine Krankheit hab ich
so gut überstanden, wie es sich von meinen
gestern vollendeten 77 Jahren, nur im-
mer erwarten läßt, aber die Nachwehen vom
Verlust der mir so theuren Lebensgefährtin
werden sicher nicht schwinden, bevor ich
nicht auch heimgegangen seyn werde. Ach
der längste Tag des Jahres, der 31. Jun.,
war der, der mir den gewiß längsten
Schmerz brachte. Jch habe an meiner Gat-
tin mehr verloren, als ich glaubte, daß
man verlieren könnte. Sie war so gut,
so vernünftig, so ganz für mich geschaffen,
und eben darum ist in meinem sonst unab-
geänderten Hause eine Leere entstanden, die
sich durch nichts ausfüllen läßt, seit dem sie
nicht mehr neben mir da ist. Ein einziger

Den 8ten Auguſt 1813.

Mein lieber Freund, der Conſiſtorialrath
Krauſe hat ſehr Recht, wenn er in ſeinem
heut fruͤh um 6 erhaltnen Gluͤckwunſch zu
meinem Neujahr ſagt: „Es war ein ern-
„ſtes
Jahr, auf das ſie heute zuruͤckſehen,
„ſie ſtanden in demſelben zweymal vor den
„Pforten der Ewigkeit, ihnen ſelbſt ſchienen
„ſie ſich oͤffnen zu wollen, und dann beglei-
„teten ſie zu denſelben die edle Gefaͤhrtin
„ihres Lebens.“ Meine Krankheit hab ich
ſo gut uͤberſtanden, wie es ſich von meinen
geſtern vollendeten 77 Jahren, nur im-
mer erwarten laͤßt, aber die Nachwehen vom
Verluſt der mir ſo theuren Lebensgefaͤhrtin
werden ſicher nicht ſchwinden, bevor ich
nicht auch heimgegangen ſeyn werde. Ach
der laͤngſte Tag des Jahres, der 31. Jun.,
war der, der mir den gewiß laͤngſten
Schmerz brachte. Jch habe an meiner Gat-
tin mehr verloren, als ich glaubte, daß
man verlieren koͤnnte. Sie war ſo gut,
ſo vernuͤnftig, ſo ganz fuͤr mich geſchaffen,
und eben darum iſt in meinem ſonſt unab-
geaͤnderten Hauſe eine Leere entſtanden, die
ſich durch nichts ausfuͤllen laͤßt, ſeit dem ſie
nicht mehr neben mir da iſt. Ein einziger

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[455/0472] Den 8ten Auguſt 1813. Mein lieber Freund, der Conſiſtorialrath Krauſe hat ſehr Recht, wenn er in ſeinem heut fruͤh um 6 erhaltnen Gluͤckwunſch zu meinem Neujahr ſagt: „Es war ein ern- „ſtes Jahr, auf das ſie heute zuruͤckſehen, „ſie ſtanden in demſelben zweymal vor den „Pforten der Ewigkeit, ihnen ſelbſt ſchienen „ſie ſich oͤffnen zu wollen, und dann beglei- „teten ſie zu denſelben die edle Gefaͤhrtin „ihres Lebens.“ Meine Krankheit hab ich ſo gut uͤberſtanden, wie es ſich von meinen geſtern vollendeten 77 Jahren, nur im- mer erwarten laͤßt, aber die Nachwehen vom Verluſt der mir ſo theuren Lebensgefaͤhrtin werden ſicher nicht ſchwinden, bevor ich nicht auch heimgegangen ſeyn werde. Ach der laͤngſte Tag des Jahres, der 31. Jun., war der, der mir den gewiß laͤngſten Schmerz brachte. Jch habe an meiner Gat- tin mehr verloren, als ich glaubte, daß man verlieren koͤnnte. Sie war ſo gut, ſo vernuͤnftig, ſo ganz fuͤr mich geſchaffen, und eben darum iſt in meinem ſonſt unab- geaͤnderten Hauſe eine Leere entſtanden, die ſich durch nichts ausfuͤllen laͤßt, ſeit dem ſie nicht mehr neben mir da iſt. Ein einziger

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Zitationshilfe: Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823, S. 455. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823/472>, abgerufen am 22.11.2024.