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Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823.

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liegenden erfrornen Blätter; ihr Geräusch
weckt auch mich, und zwar aus dem Zwei-
felstraume, in den mich die sich widerspre-
chenden Gerüchte über den großen Krieg
auf russischem Boden einwiegten, indem
vielfältiges Streiten über seinen Ausgang
mich betäubt hatte. Nachdem ich mich wie-
der wach geschüttelt, glaub ich nach wie vor,
Frankreich könne nicht gewinnen, und Na-
poleons großes Anstreben werde den russischen
Coloß nicht zum Umfallen bringen. Selbst
die Glieder, die er ihm dann und wann
abhaut, fallen zerschmetternd auf die blut-
jungen französischen Krieger. Der Charak-
ter der russischen Großen und des Volks,
die Fremdheit des Climas, das öftre Bivoua-
quiren auf naßkalter Erde, die weit ausein-
ander liegenden Wohnstätte der Einwohner,
die Schwierigkeit der Armeeverpflegung und
ihrer Vollzähligerhaltung, die der russischen
Cavallerie weit an thierischen Kräften unter-
geordnete Reiterey der Franzosen, von der
mir einst ein kluger Pohle sagte, er müßte
lachen, wenn er einen französischen Rei-
ter
sähe, aber weinen über das Pferd,
auf dem er säße -- die größre Stoßkraft
des russischen Jnfanteristen beim Gebrauch

liegenden erfrornen Blaͤtter; ihr Geraͤuſch
weckt auch mich, und zwar aus dem Zwei-
felstraume, in den mich die ſich widerſpre-
chenden Geruͤchte uͤber den großen Krieg
auf ruſſiſchem Boden einwiegten, indem
vielfaͤltiges Streiten uͤber ſeinen Ausgang
mich betaͤubt hatte. Nachdem ich mich wie-
der wach geſchuͤttelt, glaub ich nach wie vor,
Frankreich koͤnne nicht gewinnen, und Na-
poleons großes Anſtreben werde den ruſſiſchen
Coloß nicht zum Umfallen bringen. Selbſt
die Glieder, die er ihm dann und wann
abhaut, fallen zerſchmetternd auf die blut-
jungen franzoͤſiſchen Krieger. Der Charak-
ter der ruſſiſchen Großen und des Volks,
die Fremdheit des Climas, das oͤftre Bivoua-
quiren auf naßkalter Erde, die weit ausein-
ander liegenden Wohnſtaͤtte der Einwohner,
die Schwierigkeit der Armeeverpflegung und
ihrer Vollzaͤhligerhaltung, die der ruſſiſchen
Cavallerie weit an thieriſchen Kraͤften unter-
geordnete Reiterey der Franzoſen, von der
mir einſt ein kluger Pohle ſagte, er muͤßte
lachen, wenn er einen franzoͤſiſchen Rei-
ter
ſaͤhe, aber weinen uͤber das Pferd,
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des ruſſiſchen Jnfanteriſten beim Gebrauch

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[443/0460] liegenden erfrornen Blaͤtter; ihr Geraͤuſch weckt auch mich, und zwar aus dem Zwei- felstraume, in den mich die ſich widerſpre- chenden Geruͤchte uͤber den großen Krieg auf ruſſiſchem Boden einwiegten, indem vielfaͤltiges Streiten uͤber ſeinen Ausgang mich betaͤubt hatte. Nachdem ich mich wie- der wach geſchuͤttelt, glaub ich nach wie vor, Frankreich koͤnne nicht gewinnen, und Na- poleons großes Anſtreben werde den ruſſiſchen Coloß nicht zum Umfallen bringen. Selbſt die Glieder, die er ihm dann und wann abhaut, fallen zerſchmetternd auf die blut- jungen franzoͤſiſchen Krieger. Der Charak- ter der ruſſiſchen Großen und des Volks, die Fremdheit des Climas, das oͤftre Bivoua- quiren auf naßkalter Erde, die weit ausein- ander liegenden Wohnſtaͤtte der Einwohner, die Schwierigkeit der Armeeverpflegung und ihrer Vollzaͤhligerhaltung, die der ruſſiſchen Cavallerie weit an thieriſchen Kraͤften unter- geordnete Reiterey der Franzoſen, von der mir einſt ein kluger Pohle ſagte, er muͤßte lachen, wenn er einen franzoͤſiſchen Rei- ter ſaͤhe, aber weinen uͤber das Pferd, auf dem er ſaͤße — die groͤßre Stoßkraft des ruſſiſchen Jnfanteriſten beim Gebrauch

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Zitationshilfe: Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823, S. 443. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823/460>, abgerufen am 22.11.2024.