Gestern vernahm ich, daß einige, die mich am Geburtstage des Königs (3. Aug.) einen kleinen Aufsatz vorlesen hörten, mit meinem Thema unzufrieden gewesen -- ich suchte zu beweisen, daß die Severität diejenige Eigenschaft sey, der ein Regent die Oberherrschaft über seine guten Eigen- schaften einräumen müsse, wenn er nicht die guten Absichten der letztern wollte unerfüllt bleiben sehen. Meine Vorliebe für die Strenge, ohne die, meiner Meinung nach, keine Ordnung bestehen, kein Fleiß gedeihen kann, die man meinem Dienstbüchlein vor- zuwerfen pflegt, bewog mich auch diesesmal, zu behaupten, daß kein Regent, kein Haupt eines Collegii, kein Hausvater, kein Freund, kein Kunstrichter ohne Severität vor Gott und auch nicht vor Menschen mit Ehren bestehen könne. Der Anblick unsrer Zeit giebt einem hierüber, nach dem gemeinen Ausdruck, den Glauben in die Hand und beweißt, daß der von leichtsinnigen oder un- wissenden Regierungs-Handhabern ausgeüb- ten Strenge nicht anders, als durch die Severität des obersten Regierers abzühelfen sey. Sie schafft selbst den harten Mitteln,
Den 16ten Auguſt 1811.
Geſtern vernahm ich, daß einige, die mich am Geburtstage des Koͤnigs (3. Aug.) einen kleinen Aufſatz vorleſen hoͤrten, mit meinem Thema unzufrieden geweſen — ich ſuchte zu beweiſen, daß die Severitaͤt diejenige Eigenſchaft ſey, der ein Regent die Oberherrſchaft uͤber ſeine guten Eigen- ſchaften einraͤumen muͤſſe, wenn er nicht die guten Abſichten der letztern wollte unerfuͤllt bleiben ſehen. Meine Vorliebe fuͤr die Strenge, ohne die, meiner Meinung nach, keine Ordnung beſtehen, kein Fleiß gedeihen kann, die man meinem Dienſtbuͤchlein vor- zuwerfen pflegt, bewog mich auch dieſesmal, zu behaupten, daß kein Regent, kein Haupt eines Collegii, kein Hausvater, kein Freund, kein Kunſtrichter ohne Severitaͤt vor Gott und auch nicht vor Menſchen mit Ehren beſtehen koͤnne. Der Anblick unſrer Zeit giebt einem hieruͤber, nach dem gemeinen Ausdruck, den Glauben in die Hand und beweißt, daß der von leichtſinnigen oder un- wiſſenden Regierungs-Handhabern ausgeuͤb- ten Strenge nicht anders, als durch die Severitaͤt des oberſten Regierers abzuͤhelfen ſey. Sie ſchafft ſelbſt den harten Mitteln,
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Den 16ten Auguſt 1811.
Geſtern vernahm ich, daß einige, die
mich am Geburtstage des Koͤnigs (3. Aug.)
einen kleinen Aufſatz vorleſen hoͤrten, mit
meinem Thema unzufrieden geweſen — ich
ſuchte zu beweiſen, daß die Severitaͤt
diejenige Eigenſchaft ſey, der ein Regent
die Oberherrſchaft uͤber ſeine guten Eigen-
ſchaften einraͤumen muͤſſe, wenn er nicht die
guten Abſichten der letztern wollte unerfuͤllt
bleiben ſehen. Meine Vorliebe fuͤr die
Strenge, ohne die, meiner Meinung nach,
keine Ordnung beſtehen, kein Fleiß gedeihen
kann, die man meinem Dienſtbuͤchlein vor-
zuwerfen pflegt, bewog mich auch dieſesmal,
zu behaupten, daß kein Regent, kein Haupt
eines Collegii, kein Hausvater, kein Freund,
kein Kunſtrichter ohne Severitaͤt vor Gott
und auch nicht vor Menſchen mit Ehren
beſtehen koͤnne. Der Anblick unſrer Zeit
giebt einem hieruͤber, nach dem gemeinen
Ausdruck, den Glauben in die Hand und
beweißt, daß der von leichtſinnigen oder un-
wiſſenden Regierungs-Handhabern ausgeuͤb-
ten Strenge nicht anders, als durch die
Severitaͤt des oberſten Regierers abzuͤhelfen
ſey. Sie ſchafft ſelbſt den harten Mitteln,
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Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823, S. 425. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823/442>, abgerufen am 22.11.2024.
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