Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823.

Bild:
<< vorherige Seite
nächste Seite >>

ganz kindisch gewordenen und fast nur Thier
gebliebenen Menschen, der blos ißt, trinkt

"tönen weiter, und erwecken harmonische Mit-
"laute. Nicht durch Schriften wirken wir allein
"auf die Zukunft, viel mehr können wir es durch
"Anstalten, Reden, Thaten, Beyspiele und Le-
"bensweise, dadurch drücken wir unser Bild leben-
"dig in andre ab, diese nehmen es an und pflan-
"zen es weiter, unsere Hand sey emsig, unser
"kurzes Leben werde durch Theilnehmung und
"Theilgebung verlängert und ewig. Mich dünkt,
"bei diesem hohen und richtigen Gefühl werde man
"leicht des Namens vergessen, mit dem unsre
"Person bei Leibes Leben genannt wird. Nicht
"unser Bild wollen wir unsern Mitgenossen und
"der Nachwelt vermachen, sondern unsern Geist,
"unser Herz, die besten Bestrebungen unsers Da-
"seyns, die edelste Form, die wir von andern
"in uns, auf andre aus uns brachten. -- Licht
"ist das stillste aber das wirksamste Element der
"Natur, es ist der stille Träger fortwirkender
"Schöpfungskraft; so sey auch unsre Thätigkeit
"für die Nachwelt, und der ganze Lohn derselben,
"daß durch sie, wie durch verschlungene Lichtstrah-
"len eine neue Schöpfung lebe -- die Seele des
"Menschen ist nicht aufs Jetzt eingeschränkt, sie
"muß ihrer Art nach vom Vergangnen für die
"Zukunft leben, und eben der ist der verstän-
"digste oder gleichsam der eigentlichste Mensch, der
"die Vergangenheit aufs Jetzt, und da dieses in

ganz kindiſch gewordenen und faſt nur Thier
gebliebenen Menſchen, der blos ißt, trinkt

„toͤnen weiter, und erwecken harmoniſche Mit-
„laute. Nicht durch Schriften wirken wir allein
„auf die Zukunft, viel mehr koͤnnen wir es durch
„Anſtalten, Reden, Thaten, Beyſpiele und Le-
„bensweiſe, dadurch druͤcken wir unſer Bild leben-
„dig in andre ab, dieſe nehmen es an und pflan-
„zen es weiter, unſere Hand ſey emſig, unſer
„kurzes Leben werde durch Theilnehmung und
„Theilgebung verlaͤngert und ewig. Mich duͤnkt,
„bei dieſem hohen und richtigen Gefuͤhl werde man
„leicht des Namens vergeſſen, mit dem unſre
„Perſon bei Leibes Leben genannt wird. Nicht
„unſer Bild wollen wir unſern Mitgenoſſen und
„der Nachwelt vermachen, ſondern unſern Geiſt,
„unſer Herz, die beſten Beſtrebungen unſers Da-
„ſeyns, die edelſte Form, die wir von andern
„in uns, auf andre aus uns brachten. — Licht
„iſt das ſtillſte aber das wirkſamſte Element der
„Natur, es iſt der ſtille Traͤger fortwirkender
„Schoͤpfungskraft; ſo ſey auch unſre Thaͤtigkeit
„fuͤr die Nachwelt, und der ganze Lohn derſelben,
„daß durch ſie, wie durch verſchlungene Lichtſtrah-
„len eine neue Schoͤpfung lebe — die Seele des
„Menſchen iſt nicht aufs Jetzt eingeſchraͤnkt, ſie
„muß ihrer Art nach vom Vergangnen fuͤr die
„Zukunft leben, und eben der iſt der verſtaͤn-
„digſte oder gleichſam der eigentlichſte Menſch, der
„die Vergangenheit aufs Jetzt, und da dieſes in
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0419" n="402"/>
ganz kindi&#x017F;ch gewordenen und fa&#x017F;t nur Thier<lb/>
gebliebenen Men&#x017F;chen, der blos ißt, trinkt<lb/><note next="#seg2pn_36_3" xml:id="seg2pn_36_2" prev="#seg2pn_36_1" place="foot" n="*)"><cit><quote>&#x201E;to&#x0364;nen weiter, und erwecken harmoni&#x017F;che Mit-<lb/>
&#x201E;laute. Nicht durch Schriften wirken wir allein<lb/>
&#x201E;auf die Zukunft, viel mehr ko&#x0364;nnen wir es durch<lb/>
&#x201E;An&#x017F;talten, Reden, Thaten, Bey&#x017F;piele und Le-<lb/>
&#x201E;benswei&#x017F;e, dadurch dru&#x0364;cken wir un&#x017F;er Bild leben-<lb/>
&#x201E;dig in andre ab, die&#x017F;e nehmen es an und pflan-<lb/>
&#x201E;zen es weiter, un&#x017F;ere Hand &#x017F;ey em&#x017F;ig, un&#x017F;er<lb/>
&#x201E;kurzes Leben werde durch Theilnehmung und<lb/>
&#x201E;Theilgebung verla&#x0364;ngert und ewig. Mich du&#x0364;nkt,<lb/>
&#x201E;bei die&#x017F;em hohen und richtigen Gefu&#x0364;hl werde man<lb/>
&#x201E;leicht des Namens verge&#x017F;&#x017F;en, mit dem un&#x017F;re<lb/>
&#x201E;Per&#x017F;on bei Leibes Leben genannt wird. Nicht<lb/>
&#x201E;un&#x017F;er Bild wollen wir un&#x017F;ern Mitgeno&#x017F;&#x017F;en und<lb/>
&#x201E;der Nachwelt vermachen, &#x017F;ondern un&#x017F;ern Gei&#x017F;t,<lb/>
&#x201E;un&#x017F;er Herz, die be&#x017F;ten Be&#x017F;trebungen un&#x017F;ers Da-<lb/>
&#x201E;&#x017F;eyns, die edel&#x017F;te Form, die wir von andern<lb/>
&#x201E;in uns, auf andre aus uns brachten. &#x2014; Licht<lb/>
&#x201E;i&#x017F;t das &#x017F;till&#x017F;te aber das wirk&#x017F;am&#x017F;te Element der<lb/>
&#x201E;Natur, es i&#x017F;t der &#x017F;tille Tra&#x0364;ger fortwirkender<lb/>
&#x201E;Scho&#x0364;pfungskraft; &#x017F;o &#x017F;ey auch un&#x017F;re Tha&#x0364;tigkeit<lb/>
&#x201E;fu&#x0364;r die Nachwelt, und der ganze Lohn der&#x017F;elben,<lb/>
&#x201E;daß durch &#x017F;ie, wie durch ver&#x017F;chlungene Licht&#x017F;trah-<lb/>
&#x201E;len eine neue Scho&#x0364;pfung lebe &#x2014; die Seele des<lb/>
&#x201E;Men&#x017F;chen i&#x017F;t nicht aufs <hi rendition="#g">Jetzt</hi> einge&#x017F;chra&#x0364;nkt, &#x017F;ie<lb/>
&#x201E;muß ihrer Art nach vom Vergangnen fu&#x0364;r die<lb/>
&#x201E;Zukunft leben, und eben der i&#x017F;t der ver&#x017F;ta&#x0364;n-<lb/>
&#x201E;dig&#x017F;te oder gleich&#x017F;am der eigentlich&#x017F;te Men&#x017F;ch, der<lb/>
&#x201E;die Vergangenheit aufs <hi rendition="#g">Jetzt,</hi> und da die&#x017F;es in</quote></cit></note><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[402/0419] ganz kindiſch gewordenen und faſt nur Thier gebliebenen Menſchen, der blos ißt, trinkt *) *) „toͤnen weiter, und erwecken harmoniſche Mit- „laute. Nicht durch Schriften wirken wir allein „auf die Zukunft, viel mehr koͤnnen wir es durch „Anſtalten, Reden, Thaten, Beyſpiele und Le- „bensweiſe, dadurch druͤcken wir unſer Bild leben- „dig in andre ab, dieſe nehmen es an und pflan- „zen es weiter, unſere Hand ſey emſig, unſer „kurzes Leben werde durch Theilnehmung und „Theilgebung verlaͤngert und ewig. Mich duͤnkt, „bei dieſem hohen und richtigen Gefuͤhl werde man „leicht des Namens vergeſſen, mit dem unſre „Perſon bei Leibes Leben genannt wird. Nicht „unſer Bild wollen wir unſern Mitgenoſſen und „der Nachwelt vermachen, ſondern unſern Geiſt, „unſer Herz, die beſten Beſtrebungen unſers Da- „ſeyns, die edelſte Form, die wir von andern „in uns, auf andre aus uns brachten. — Licht „iſt das ſtillſte aber das wirkſamſte Element der „Natur, es iſt der ſtille Traͤger fortwirkender „Schoͤpfungskraft; ſo ſey auch unſre Thaͤtigkeit „fuͤr die Nachwelt, und der ganze Lohn derſelben, „daß durch ſie, wie durch verſchlungene Lichtſtrah- „len eine neue Schoͤpfung lebe — die Seele des „Menſchen iſt nicht aufs Jetzt eingeſchraͤnkt, ſie „muß ihrer Art nach vom Vergangnen fuͤr die „Zukunft leben, und eben der iſt der verſtaͤn- „digſte oder gleichſam der eigentlichſte Menſch, der „die Vergangenheit aufs Jetzt, und da dieſes in

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823/419
Zitationshilfe: Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823, S. 402. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823/419>, abgerufen am 22.11.2024.