gespannt und geschäftig, machte Abhandlun- gen und Briefe in Prosa und in Versen, die ich aber weder in die Feder sagen noch selbst niederschreiben konnte. Mit der Zu- nahme der Leibesstärke nahm dieser Abhand- lungsirrsinn zum Glück ein Ende. --
Ob ich den andern Zustand eine Krank- heit nennen kann, weiß ich nicht, denn ich war eigentlich ganz gesund, sah aber einige Jahre lang am hellen Tage bey verschlosse- nen und in der Nacht, völlig wachend, bey offnen Augen ganze Reihen von menschlichen und thierischen Gestalten, auch Landschaften, alles sehr lebhaft gefärbt, bey mir vorüber- ziehen, wenn ich versuchte, alles recht ge- nau zu beschauen, so veränderten sich die Formen gar wunderlich, aus der schönsten Gestalt ward eine Fratzenfigur, aus dem Riesen ein Zwerg, aus dem Pferd ein Schooshund und aus einem Claude Lorrain eine Wagenmalerlandschaft. Als ich Nico- lais Aufsatz über seine Phantasmen las, fiel mir meine eigne Art von fata morgana bey, die mir übrigens gar nicht lästig war, seit vielen Jahren sich, wenigstens nicht anhal- tend, hat wiedersehen laßen, und aus wel- chen Erscheinungen sich vielleicht viele erklä-
geſpannt und geſchaͤftig, machte Abhandlun- gen und Briefe in Proſa und in Verſen, die ich aber weder in die Feder ſagen noch ſelbſt niederſchreiben konnte. Mit der Zu- nahme der Leibesſtaͤrke nahm dieſer Abhand- lungsirrſinn zum Gluͤck ein Ende. —
Ob ich den andern Zuſtand eine Krank- heit nennen kann, weiß ich nicht, denn ich war eigentlich ganz geſund, ſah aber einige Jahre lang am hellen Tage bey verſchloſſe- nen und in der Nacht, voͤllig wachend, bey offnen Augen ganze Reihen von menſchlichen und thieriſchen Geſtalten, auch Landſchaften, alles ſehr lebhaft gefaͤrbt, bey mir voruͤber- ziehen, wenn ich verſuchte, alles recht ge- nau zu beſchauen, ſo veraͤnderten ſich die Formen gar wunderlich, aus der ſchoͤnſten Geſtalt ward eine Fratzenfigur, aus dem Rieſen ein Zwerg, aus dem Pferd ein Schooshund und aus einem Claude Lorrain eine Wagenmalerlandſchaft. Als ich Nico- lais Aufſatz uͤber ſeine Phantasmen las, fiel mir meine eigne Art von fata morgana bey, die mir uͤbrigens gar nicht laͤſtig war, ſeit vielen Jahren ſich, wenigſtens nicht anhal- tend, hat wiederſehen laßen, und aus wel- chen Erſcheinungen ſich vielleicht viele erklaͤ-
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geſpannt und geſchaͤftig, machte Abhandlun-
gen und Briefe in Proſa und in Verſen,
die ich aber weder in die Feder ſagen noch
ſelbſt niederſchreiben konnte. Mit der Zu-
nahme der Leibesſtaͤrke nahm dieſer Abhand-
lungsirrſinn zum Gluͤck ein Ende. —
Ob ich den andern Zuſtand eine Krank-
heit nennen kann, weiß ich nicht, denn ich
war eigentlich ganz geſund, ſah aber einige
Jahre lang am hellen Tage bey verſchloſſe-
nen und in der Nacht, voͤllig wachend, bey
offnen Augen ganze Reihen von menſchlichen
und thieriſchen Geſtalten, auch Landſchaften,
alles ſehr lebhaft gefaͤrbt, bey mir voruͤber-
ziehen, wenn ich verſuchte, alles recht ge-
nau zu beſchauen, ſo veraͤnderten ſich die
Formen gar wunderlich, aus der ſchoͤnſten
Geſtalt ward eine Fratzenfigur, aus dem
Rieſen ein Zwerg, aus dem Pferd ein
Schooshund und aus einem Claude Lorrain
eine Wagenmalerlandſchaft. Als ich Nico-
lais Aufſatz uͤber ſeine Phantasmen las, fiel
mir meine eigne Art von fata morgana bey,
die mir uͤbrigens gar nicht laͤſtig war, ſeit
vielen Jahren ſich, wenigſtens nicht anhal-
tend, hat wiederſehen laßen, und aus wel-
chen Erſcheinungen ſich vielleicht viele erklaͤ-
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Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823, S. 375. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823/392>, abgerufen am 25.11.2024.
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