bin ich überzeugt, es gebe eine Uebersetzungs- kunst, die nicht auf Kosten deutscher Sprach- natur getrieben werden dürfe und doch zum Besitz des Reichthums der Alten verhelfen könne. Daß sie aber noch mehr Mühe ko- sten dürfte, wie die bisherige, will ich gern glauben, und bezweifle daher ihre Anwen- dung auf große Werke. Ramler pflegte mir zu sagen: er wolle aus jedem Dichter ein Dutzend Verse so übersetzen, daß man nichts daran sollte auszusetzen finden -- mehr müßte man ihm aber nicht zumuthen. Der Recensent der Wolken in den Heidelber- gischen Jahrbüchern von 1812. No. 11--13. ist andrer Meinung, und seine Aeußerungen über die Acharner des Aristophanes im 67 und 68 Stück nöthigen mich daher, die Erfüllung meines Layenwunsches eben nicht zu wünschen (29. Jan. 1814.).
Beßre Bekanntschaft machte ich aber in dieser Classe mit Horaz, Virgil und auch mit dem Ovidius, welchen letztern ich indessen mit großer Leibes- und Seelenun- schuld las, in der ich pielleicht noch länger geblieben wäre, wenn nicht ein von Keusch- heitseifer unverständig brennender Lehrer mich veranlaßt hätte, dem Ovid durch Nach-
bin ich uͤberzeugt, es gebe eine Ueberſetzungs- kunſt, die nicht auf Koſten deutſcher Sprach- natur getrieben werden duͤrfe und doch zum Beſitz des Reichthums der Alten verhelfen koͤnne. Daß ſie aber noch mehr Muͤhe ko- ſten duͤrfte, wie die bisherige, will ich gern glauben, und bezweifle daher ihre Anwen- dung auf große Werke. Ramler pflegte mir zu ſagen: er wolle aus jedem Dichter ein Dutzend Verſe ſo uͤberſetzen, daß man nichts daran ſollte auszuſetzen finden — mehr muͤßte man ihm aber nicht zumuthen. Der Recenſent der Wolken in den Heidelber- giſchen Jahrbuͤchern von 1812. No. 11—13. iſt andrer Meinung, und ſeine Aeußerungen uͤber die Acharner des Ariſtophanes im 67 und 68 Stuͤck noͤthigen mich daher, die Erfuͤllung meines Layenwunſches eben nicht zu wuͤnſchen (29. Jan. 1814.).
Beßre Bekanntſchaft machte ich aber in dieſer Claſſe mit Horaz, Virgil und auch mit dem Ovidius, welchen letztern ich indeſſen mit großer Leibes- und Seelenun- ſchuld las, in der ich pielleicht noch laͤnger geblieben waͤre, wenn nicht ein von Keuſch- heitseifer unverſtaͤndig brennender Lehrer mich veranlaßt haͤtte, dem Ovid durch Nach-
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bin ich uͤberzeugt, es gebe eine Ueberſetzungs-
kunſt, die nicht auf Koſten deutſcher Sprach-
natur getrieben werden duͤrfe und doch zum
Beſitz des Reichthums der Alten verhelfen
koͤnne. Daß ſie aber noch mehr Muͤhe ko-
ſten duͤrfte, wie die bisherige, will ich gern
glauben, und bezweifle daher ihre Anwen-
dung auf große Werke. Ramler pflegte mir
zu ſagen: er wolle aus jedem Dichter ein
Dutzend Verſe ſo uͤberſetzen, daß man nichts
daran ſollte auszuſetzen finden — mehr
muͤßte man ihm aber nicht zumuthen. Der
Recenſent der Wolken in den Heidelber-
giſchen Jahrbuͤchern von 1812. No. 11—13.
iſt andrer Meinung, und ſeine Aeußerungen
uͤber die Acharner des Ariſtophanes im
67 und 68 Stuͤck noͤthigen mich daher, die
Erfuͤllung meines Layenwunſches eben nicht
zu wuͤnſchen (29. Jan. 1814.).
Beßre Bekanntſchaft machte ich
aber in dieſer Claſſe mit Horaz, Virgil und
auch mit dem Ovidius, welchen letztern ich
indeſſen mit großer Leibes- und Seelenun-
ſchuld las, in der ich pielleicht noch laͤnger
geblieben waͤre, wenn nicht ein von Keuſch-
heitseifer unverſtaͤndig brennender Lehrer
mich veranlaßt haͤtte, dem Ovid durch Nach-
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Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823/38>, abgerufen am 30.01.2025.
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