Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823.

Bild:
<< vorherige Seite

einer sehr anziehenden Lektüre, noch mehr
aber von einer lebhaften Unterredung hü-
ten, beydes bringt mich ums baldige Ein-
schlafen, das ich für eine große Glückselig-
keit halte, und dessen Aufschub ich mir nie
durch Nachschlafen des Morgens habe er-
setzen können. Hippel ließ sich von seinem
Bedienten von halb 10 bis 10 die Zeitun-
gen vorlesen und pflegte zu sagen: diese
Vorleserey lehrt mich so trefflich das Ein-
schlafen, daß ich es vollkommen kann, so
bald ich ins Bett komme.

Der Eintritt in mein Bett, an das
ich eine ganz besondre Anhänglichkeit habe,
hat seit langer Zeit schon etwas feyerliches
für mich, und geschieht nie ohne einen Ge-
danken an den Tod. Ob ich gleich über
das künftige Leben nie nachgrüble, so ist
doch der Gedanke daran jedesmal ein Wind-
stoß auf die Aeolsharfe meines Lebens, zwar
keine Melodie, aber doch eine Harmonie
wie im Somnio Scipionis, wodurch das
Einschlummern befördert wird.

Mit einer fast an Gefühlsmangel grän-
zenden Jnmichgekehrtheit ertrag ich alle
Menschen, bin aber in der Wahl ihrer zu

einer ſehr anziehenden Lektuͤre, noch mehr
aber von einer lebhaften Unterredung huͤ-
ten, beydes bringt mich ums baldige Ein-
ſchlafen, das ich fuͤr eine große Gluͤckſelig-
keit halte, und deſſen Aufſchub ich mir nie
durch Nachſchlafen des Morgens habe er-
ſetzen koͤnnen. Hippel ließ ſich von ſeinem
Bedienten von halb 10 bis 10 die Zeitun-
gen vorleſen und pflegte zu ſagen: dieſe
Vorleſerey lehrt mich ſo trefflich das Ein-
ſchlafen, daß ich es vollkommen kann, ſo
bald ich ins Bett komme.

Der Eintritt in mein Bett, an das
ich eine ganz beſondre Anhaͤnglichkeit habe,
hat ſeit langer Zeit ſchon etwas feyerliches
fuͤr mich, und geſchieht nie ohne einen Ge-
danken an den Tod. Ob ich gleich uͤber
das kuͤnftige Leben nie nachgruͤble, ſo iſt
doch der Gedanke daran jedesmal ein Wind-
ſtoß auf die Aeolsharfe meines Lebens, zwar
keine Melodie, aber doch eine Harmonie
wie im Somnio Scipionis, wodurch das
Einſchlummern befoͤrdert wird.

Mit einer faſt an Gefuͤhlsmangel graͤn-
zenden Jnmichgekehrtheit ertrag ich alle
Menſchen, bin aber in der Wahl ihrer zu

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0375" n="358"/>
einer &#x017F;ehr anziehenden Lektu&#x0364;re, noch mehr<lb/>
aber von einer lebhaften Unterredung hu&#x0364;-<lb/>
ten, beydes bringt mich ums baldige Ein-<lb/>
&#x017F;chlafen, das ich fu&#x0364;r eine große Glu&#x0364;ck&#x017F;elig-<lb/>
keit halte, und de&#x017F;&#x017F;en Auf&#x017F;chub ich mir nie<lb/>
durch Nach&#x017F;chlafen des Morgens habe er-<lb/>
&#x017F;etzen ko&#x0364;nnen. Hippel ließ &#x017F;ich von &#x017F;einem<lb/>
Bedienten von halb 10 bis 10 die Zeitun-<lb/>
gen vorle&#x017F;en und pflegte zu &#x017F;agen: die&#x017F;e<lb/>
Vorle&#x017F;erey lehrt mich &#x017F;o trefflich das Ein-<lb/>
&#x017F;chlafen, daß ich es vollkommen kann, &#x017F;o<lb/>
bald ich ins Bett komme.</p><lb/>
        <p>Der Eintritt in <hi rendition="#g">mein</hi> Bett, an das<lb/>
ich eine ganz be&#x017F;ondre Anha&#x0364;nglichkeit habe,<lb/>
hat &#x017F;eit langer Zeit &#x017F;chon etwas feyerliches<lb/>
fu&#x0364;r mich, und ge&#x017F;chieht nie ohne einen Ge-<lb/>
danken an den Tod. Ob ich gleich u&#x0364;ber<lb/>
das ku&#x0364;nftige Leben nie nachgru&#x0364;ble, &#x017F;o i&#x017F;t<lb/>
doch der Gedanke daran jedesmal ein Wind-<lb/>
&#x017F;toß auf die Aeolsharfe meines Lebens, zwar<lb/>
keine Melodie, aber doch eine Harmonie<lb/>
wie im <hi rendition="#aq">Somnio Scipionis,</hi> wodurch das<lb/>
Ein&#x017F;chlummern befo&#x0364;rdert wird.</p><lb/>
        <p>Mit einer fa&#x017F;t an Gefu&#x0364;hlsmangel gra&#x0364;n-<lb/>
zenden Jnmichgekehrtheit ertrag ich alle<lb/>
Men&#x017F;chen, bin aber in der Wahl ihrer zu<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[358/0375] einer ſehr anziehenden Lektuͤre, noch mehr aber von einer lebhaften Unterredung huͤ- ten, beydes bringt mich ums baldige Ein- ſchlafen, das ich fuͤr eine große Gluͤckſelig- keit halte, und deſſen Aufſchub ich mir nie durch Nachſchlafen des Morgens habe er- ſetzen koͤnnen. Hippel ließ ſich von ſeinem Bedienten von halb 10 bis 10 die Zeitun- gen vorleſen und pflegte zu ſagen: dieſe Vorleſerey lehrt mich ſo trefflich das Ein- ſchlafen, daß ich es vollkommen kann, ſo bald ich ins Bett komme. Der Eintritt in mein Bett, an das ich eine ganz beſondre Anhaͤnglichkeit habe, hat ſeit langer Zeit ſchon etwas feyerliches fuͤr mich, und geſchieht nie ohne einen Ge- danken an den Tod. Ob ich gleich uͤber das kuͤnftige Leben nie nachgruͤble, ſo iſt doch der Gedanke daran jedesmal ein Wind- ſtoß auf die Aeolsharfe meines Lebens, zwar keine Melodie, aber doch eine Harmonie wie im Somnio Scipionis, wodurch das Einſchlummern befoͤrdert wird. Mit einer faſt an Gefuͤhlsmangel graͤn- zenden Jnmichgekehrtheit ertrag ich alle Menſchen, bin aber in der Wahl ihrer zu

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823/375
Zitationshilfe: Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823, S. 358. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823/375>, abgerufen am 25.11.2024.