fiel ich gleich mit ihm ins Lustige und neck- te ihn mit seinen mancherley Sonderbarkei- ten; waren wir aber ganz allein, selbst er- wärmt vom Champagnerpunsch, so kam uns nie Lachen in den Sinn, weil wir dann immer über Dienstsachen oder über Natur und Kunst der Menschen sprachen. Ueber- haupt bin ich im Tete a Tete zum Ernst geneigt, und sag ich dabey etwas zum La- chen, so gehört es mehr zum bittern Sal- zen, als zum Honig.
Gehaßt hab ich meines Wissens keinen, und ob ich gleich Vergessen und Vergeben durchaus nicht zu paaren verstehe, oder ver- mag, *) so bin ich doch immer stolz oder gutmüthig genug gewesen, im Hülfsfall kei- nem ein Versehen gegen mich anzurechnen. Jn meiner frühsten Jugend hatte eine viel ältere Cousine mich in Abwesenheit meiner Eltern, kindischer Streiche wegen, an den Ofenfuß gebunden, und ich behielt seit die- ser Bestrafung, die mir ungerecht geschienen,
eine
*) Lehmann läßt in seiner Beschreibung von Grau- bündten die Velteliner sagen: pardonar le in- iurie e da christiano, ma obliar le da bestia.
fiel ich gleich mit ihm ins Luſtige und neck- te ihn mit ſeinen mancherley Sonderbarkei- ten; waren wir aber ganz allein, ſelbſt er- waͤrmt vom Champagnerpunſch, ſo kam uns nie Lachen in den Sinn, weil wir dann immer uͤber Dienſtſachen oder uͤber Natur und Kunſt der Menſchen ſprachen. Ueber- haupt bin ich im Tete a Tete zum Ernſt geneigt, und ſag ich dabey etwas zum La- chen, ſo gehoͤrt es mehr zum bittern Sal- zen, als zum Honig.
Gehaßt hab ich meines Wiſſens keinen, und ob ich gleich Vergeſſen und Vergeben durchaus nicht zu paaren verſtehe, oder ver- mag, *) ſo bin ich doch immer ſtolz oder gutmuͤthig genug geweſen, im Huͤlfsfall kei- nem ein Verſehen gegen mich anzurechnen. Jn meiner fruͤhſten Jugend hatte eine viel aͤltere Couſine mich in Abweſenheit meiner Eltern, kindiſcher Streiche wegen, an den Ofenfuß gebunden, und ich behielt ſeit die- ſer Beſtrafung, die mir ungerecht geſchienen,
eine
*) Lehmann laͤßt in ſeiner Beſchreibung von Grau- buͤndten die Velteliner ſagen: pardonar le in- iurie é da chriſtiano, ma obliar le da beſtia.
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fiel ich gleich mit ihm ins Luſtige und neck-
te ihn mit ſeinen mancherley Sonderbarkei-
ten; waren wir aber ganz allein, ſelbſt er-
waͤrmt vom Champagnerpunſch, ſo kam uns
nie Lachen in den Sinn, weil wir dann
immer uͤber Dienſtſachen oder uͤber Natur
und Kunſt der Menſchen ſprachen. Ueber-
haupt bin ich im Tete a Tete zum Ernſt
geneigt, und ſag ich dabey etwas zum La-
chen, ſo gehoͤrt es mehr zum bittern Sal-
zen, als zum Honig.
Gehaßt hab ich meines Wiſſens keinen,
und ob ich gleich Vergeſſen und Vergeben
durchaus nicht zu paaren verſtehe, oder ver-
mag, *) ſo bin ich doch immer ſtolz oder
gutmuͤthig genug geweſen, im Huͤlfsfall kei-
nem ein Verſehen gegen mich anzurechnen.
Jn meiner fruͤhſten Jugend hatte eine viel
aͤltere Couſine mich in Abweſenheit meiner
Eltern, kindiſcher Streiche wegen, an den
Ofenfuß gebunden, und ich behielt ſeit die-
ſer Beſtrafung, die mir ungerecht geſchienen,
eine
*) Lehmann laͤßt in ſeiner Beſchreibung von Grau-
buͤndten die Velteliner ſagen: pardonar le in-
iurie é da chriſtiano, ma obliar le da
beſtia.
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Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823, S. 352. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823/369>, abgerufen am 24.11.2024.
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