Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823.

Bild:
<< vorherige Seite

fiel ich gleich mit ihm ins Lustige und neck-
te ihn mit seinen mancherley Sonderbarkei-
ten; waren wir aber ganz allein, selbst er-
wärmt vom Champagnerpunsch, so kam uns
nie Lachen in den Sinn, weil wir dann
immer über Dienstsachen oder über Natur
und Kunst der Menschen sprachen. Ueber-
haupt bin ich im Tete a Tete zum Ernst
geneigt, und sag ich dabey etwas zum La-
chen, so gehört es mehr zum bittern Sal-
zen, als zum Honig.

Gehaßt hab ich meines Wissens keinen,
und ob ich gleich Vergessen und Vergeben
durchaus nicht zu paaren verstehe, oder ver-
mag, *) so bin ich doch immer stolz oder
gutmüthig genug gewesen, im Hülfsfall kei-
nem ein Versehen gegen mich anzurechnen.
Jn meiner frühsten Jugend hatte eine viel
ältere Cousine mich in Abwesenheit meiner
Eltern, kindischer Streiche wegen, an den
Ofenfuß gebunden, und ich behielt seit die-
ser Bestrafung, die mir ungerecht geschienen,

eine
*) Lehmann läßt in seiner Beschreibung von Grau-
bündten die Velteliner sagen: pardonar le in-
iurie e da christiano, ma obliar le da
bestia.

fiel ich gleich mit ihm ins Luſtige und neck-
te ihn mit ſeinen mancherley Sonderbarkei-
ten; waren wir aber ganz allein, ſelbſt er-
waͤrmt vom Champagnerpunſch, ſo kam uns
nie Lachen in den Sinn, weil wir dann
immer uͤber Dienſtſachen oder uͤber Natur
und Kunſt der Menſchen ſprachen. Ueber-
haupt bin ich im Tete a Tete zum Ernſt
geneigt, und ſag ich dabey etwas zum La-
chen, ſo gehoͤrt es mehr zum bittern Sal-
zen, als zum Honig.

Gehaßt hab ich meines Wiſſens keinen,
und ob ich gleich Vergeſſen und Vergeben
durchaus nicht zu paaren verſtehe, oder ver-
mag, *) ſo bin ich doch immer ſtolz oder
gutmuͤthig genug geweſen, im Huͤlfsfall kei-
nem ein Verſehen gegen mich anzurechnen.
Jn meiner fruͤhſten Jugend hatte eine viel
aͤltere Couſine mich in Abweſenheit meiner
Eltern, kindiſcher Streiche wegen, an den
Ofenfuß gebunden, und ich behielt ſeit die-
ſer Beſtrafung, die mir ungerecht geſchienen,

eine
*) Lehmann laͤßt in ſeiner Beſchreibung von Grau-
buͤndten die Velteliner ſagen: pardonar le in-
iurie é da chriſtiano, ma obliar le da
beſtia.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0369" n="352"/>
fiel ich gleich mit ihm ins Lu&#x017F;tige und neck-<lb/>
te ihn mit &#x017F;einen mancherley Sonderbarkei-<lb/>
ten; waren wir aber ganz allein, &#x017F;elb&#x017F;t er-<lb/>
wa&#x0364;rmt vom Champagnerpun&#x017F;ch, &#x017F;o kam uns<lb/>
nie Lachen in den Sinn, weil wir dann<lb/>
immer u&#x0364;ber Dien&#x017F;t&#x017F;achen oder u&#x0364;ber Natur<lb/>
und Kun&#x017F;t der Men&#x017F;chen &#x017F;prachen. Ueber-<lb/>
haupt bin ich im Tete a Tete zum Ern&#x017F;t<lb/>
geneigt, und &#x017F;ag ich dabey etwas zum La-<lb/>
chen, &#x017F;o geho&#x0364;rt es mehr zum bittern Sal-<lb/>
zen, als zum Honig.</p><lb/>
        <p>Gehaßt hab ich meines Wi&#x017F;&#x017F;ens keinen,<lb/>
und ob ich gleich Verge&#x017F;&#x017F;en und Vergeben<lb/>
durchaus nicht zu paaren ver&#x017F;tehe, oder ver-<lb/>
mag, <note place="foot" n="*)">Lehmann la&#x0364;ßt in &#x017F;einer Be&#x017F;chreibung von Grau-<lb/>
bu&#x0364;ndten die Velteliner &#x017F;agen: <hi rendition="#aq">pardonar le in-<lb/>
iurie é da chri&#x017F;tiano, ma obliar le da<lb/>
be&#x017F;tia.</hi></note> &#x017F;o bin ich doch immer &#x017F;tolz oder<lb/>
gutmu&#x0364;thig genug gewe&#x017F;en, im Hu&#x0364;lfsfall kei-<lb/>
nem ein Ver&#x017F;ehen gegen mich anzurechnen.<lb/>
Jn meiner fru&#x0364;h&#x017F;ten Jugend hatte eine viel<lb/>
a&#x0364;ltere Cou&#x017F;ine mich in Abwe&#x017F;enheit meiner<lb/>
Eltern, kindi&#x017F;cher Streiche wegen, an den<lb/>
Ofenfuß gebunden, und ich behielt &#x017F;eit die-<lb/>
&#x017F;er Be&#x017F;trafung, die mir ungerecht ge&#x017F;chienen,<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">eine</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[352/0369] fiel ich gleich mit ihm ins Luſtige und neck- te ihn mit ſeinen mancherley Sonderbarkei- ten; waren wir aber ganz allein, ſelbſt er- waͤrmt vom Champagnerpunſch, ſo kam uns nie Lachen in den Sinn, weil wir dann immer uͤber Dienſtſachen oder uͤber Natur und Kunſt der Menſchen ſprachen. Ueber- haupt bin ich im Tete a Tete zum Ernſt geneigt, und ſag ich dabey etwas zum La- chen, ſo gehoͤrt es mehr zum bittern Sal- zen, als zum Honig. Gehaßt hab ich meines Wiſſens keinen, und ob ich gleich Vergeſſen und Vergeben durchaus nicht zu paaren verſtehe, oder ver- mag, *) ſo bin ich doch immer ſtolz oder gutmuͤthig genug geweſen, im Huͤlfsfall kei- nem ein Verſehen gegen mich anzurechnen. Jn meiner fruͤhſten Jugend hatte eine viel aͤltere Couſine mich in Abweſenheit meiner Eltern, kindiſcher Streiche wegen, an den Ofenfuß gebunden, und ich behielt ſeit die- ſer Beſtrafung, die mir ungerecht geſchienen, eine *) Lehmann laͤßt in ſeiner Beſchreibung von Grau- buͤndten die Velteliner ſagen: pardonar le in- iurie é da chriſtiano, ma obliar le da beſtia.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823/369
Zitationshilfe: Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823, S. 352. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823/369>, abgerufen am 24.11.2024.