Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823.Hippel es war. Der sehr scharfsichtige, auch schaft- *) Da ich in der Folge, als er mein Freund ge-
worden, vielfältig gefunden habe, daß Herr v. A. mit Geschmack und Gemüthlichkeit wirklich schöne Dichter und Prosaisten trefflich vorliest, so muß in seinem fundo animae ein poetischer Keim lie- gen, den nur seine ausgebildete Geschäftsklugheit und vielleicht manchmal zu weitgehende Umsichtig- keit nicht zum sichtbaren Grünen und farbigem Blühen kommen läßt; denn sicher ist, daß man ein Dichter seyn kann, ohne Verse machen zu können, indessen möcht' ich doch nicht vom Raphael mit andern behaupten, er würde ein Mahler gewesen seyn, wenn er auch keine Hände gehabt hätte; das zum Mahlen nothwendige Dichtungs- vermögen, die Jdee zur Transfiguration konnte er wohl auch ohne Finger haben, und den an- dern ein Gemälde diktiren -- so daß er ein Ho- mer hätte werden können, aber kein Raphael. Hippel es war. Der ſehr ſcharfſichtige, auch ſchaft- *) Da ich in der Folge, als er mein Freund ge-
worden, vielfaͤltig gefunden habe, daß Herr v. A. mit Geſchmack und Gemuͤthlichkeit wirklich ſchoͤne Dichter und Proſaiſten trefflich vorlieſt, ſo muß in ſeinem fundo animae ein poetiſcher Keim lie- gen, den nur ſeine ausgebildete Geſchaͤftsklugheit und vielleicht manchmal zu weitgehende Umſichtig- keit nicht zum ſichtbaren Gruͤnen und farbigem Bluͤhen kommen laͤßt; denn ſicher iſt, daß man ein Dichter ſeyn kann, ohne Verſe machen zu koͤnnen, indeſſen moͤcht’ ich doch nicht vom Raphael mit andern behaupten, er wuͤrde ein Mahler geweſen ſeyn, wenn er auch keine Haͤnde gehabt haͤtte; das zum Mahlen nothwendige Dichtungs- vermoͤgen, die Jdee zur Transfiguration konnte er wohl auch ohne Finger haben, und den an- dern ein Gemaͤlde diktiren — ſo daß er ein Ho- mer haͤtte werden koͤnnen, aber kein Raphael. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0257" n="240"/> Hippel es war. Der ſehr ſcharfſichtige, auch<lb/> wiſſenſchaftlich gebildete geheime Staatsrath<lb/> und Oberpraͤſident und jetzige Landhofmeiſter<lb/> von <hi rendition="#g">Auerswald</hi> war eine zu neue Be-<lb/> kanntſchaft, und ſeinem Huͤmoͤr war zu we-<lb/> nig beygemiſcht von Poeſie, <note place="foot" n="*)">Da ich in der Folge, als er mein <hi rendition="#g">Freund</hi> ge-<lb/> worden, vielfaͤltig gefunden habe, daß Herr v. A.<lb/> mit Geſchmack und Gemuͤthlichkeit wirklich ſchoͤne<lb/> Dichter und Proſaiſten trefflich vorlieſt, ſo muß<lb/> in ſeinem <hi rendition="#aq">fundo animae</hi> ein poetiſcher Keim lie-<lb/> gen, den nur ſeine ausgebildete Geſchaͤftsklugheit<lb/> und vielleicht manchmal zu weitgehende Umſichtig-<lb/> keit nicht zum ſichtbaren Gruͤnen und farbigem<lb/> Bluͤhen kommen laͤßt; denn ſicher iſt, daß man<lb/> ein Dichter ſeyn kann, ohne Verſe machen zu<lb/> koͤnnen, indeſſen moͤcht’ ich doch nicht vom Raphael<lb/> mit andern behaupten, er wuͤrde ein <hi rendition="#g">Mahler</hi><lb/> geweſen ſeyn, wenn er auch keine Haͤnde gehabt<lb/> haͤtte; das zum Mahlen nothwendige Dichtungs-<lb/> vermoͤgen, die Jdee zur Transfiguration konnte<lb/> er wohl auch ohne Finger haben, und den an-<lb/> dern ein Gemaͤlde diktiren — ſo daß er ein <hi rendition="#g">Ho-<lb/> mer</hi> haͤtte werden koͤnnen, aber kein <hi rendition="#g">Raphael.</hi></note> von welcher<lb/> der mehrentheils viel ſtoͤrriſcher und unbieg-<lb/> ſamer ausſehende Miniſter von Schroͤtter<lb/> weit mehr beſitzt, und die einen zur Aus-<lb/> laſſung uͤber und zur Theilnahme an Lebens-<lb/> kleinigkeiten, die ich den Vorſpann geſell-<lb/> <fw place="bottom" type="catch">ſchaft-</fw><lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [240/0257]
Hippel es war. Der ſehr ſcharfſichtige, auch
wiſſenſchaftlich gebildete geheime Staatsrath
und Oberpraͤſident und jetzige Landhofmeiſter
von Auerswald war eine zu neue Be-
kanntſchaft, und ſeinem Huͤmoͤr war zu we-
nig beygemiſcht von Poeſie, *) von welcher
der mehrentheils viel ſtoͤrriſcher und unbieg-
ſamer ausſehende Miniſter von Schroͤtter
weit mehr beſitzt, und die einen zur Aus-
laſſung uͤber und zur Theilnahme an Lebens-
kleinigkeiten, die ich den Vorſpann geſell-
ſchaft-
*) Da ich in der Folge, als er mein Freund ge-
worden, vielfaͤltig gefunden habe, daß Herr v. A.
mit Geſchmack und Gemuͤthlichkeit wirklich ſchoͤne
Dichter und Proſaiſten trefflich vorlieſt, ſo muß
in ſeinem fundo animae ein poetiſcher Keim lie-
gen, den nur ſeine ausgebildete Geſchaͤftsklugheit
und vielleicht manchmal zu weitgehende Umſichtig-
keit nicht zum ſichtbaren Gruͤnen und farbigem
Bluͤhen kommen laͤßt; denn ſicher iſt, daß man
ein Dichter ſeyn kann, ohne Verſe machen zu
koͤnnen, indeſſen moͤcht’ ich doch nicht vom Raphael
mit andern behaupten, er wuͤrde ein Mahler
geweſen ſeyn, wenn er auch keine Haͤnde gehabt
haͤtte; das zum Mahlen nothwendige Dichtungs-
vermoͤgen, die Jdee zur Transfiguration konnte
er wohl auch ohne Finger haben, und den an-
dern ein Gemaͤlde diktiren — ſo daß er ein Ho-
mer haͤtte werden koͤnnen, aber kein Raphael.
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