fällt mir hier ein kleiner Zug von ihm bey, der in den vielen: Ueber Jmanuel Kant nicht steht; um ihn nicht zu vergessen, setz' ich ihn her, wohin er weder der Zeit noch dem Ort nach gehört. Bey einem Be- such, etwa ein Jahr vor seinem Tode, konnte er im Gespräch das rechte Wort zur Erwiederung nicht finden, als ich nun ein- helfen wollte, ergriff er meine Hand mit den Worten: "Nein, nein, Freund, helfen sie mir nicht, mein Kopf muß selbst damit heraus" er wandte darauf die Ausdrücke so lange, bis er die ganz richtigen fand, die er mit einem recht zufriedenem "sehen sie wohl, Freund" begleitete.
Schon im ersten Jahr meiner städtschen Niederlassung starb Hippel, mit dem ich über alles, was Staat und Haus anging, viel und ohne Rückhalt zu reden gewohnt war; der Minister gewordne Oberpräsident von Schrötter, den ich beynah täglich sah, zog mit seiner ganzen Familie nach Berlin, und es entstand ein schmerzhafter Riß in meiner Umgangsglückseligkeit, den mein lieber Deutsch nicht heilen konnte, weil sein Temperament ihn hindert, so rasch und gewandt theilnehmend zu seyn, wie
faͤllt mir hier ein kleiner Zug von ihm bey, der in den vielen: Ueber Jmanuel Kant nicht ſteht; um ihn nicht zu vergeſſen, ſetz’ ich ihn her, wohin er weder der Zeit noch dem Ort nach gehoͤrt. Bey einem Be- ſuch, etwa ein Jahr vor ſeinem Tode, konnte er im Geſpraͤch das rechte Wort zur Erwiederung nicht finden, als ich nun ein- helfen wollte, ergriff er meine Hand mit den Worten: „Nein, nein, Freund, helfen ſie mir nicht, mein Kopf muß ſelbſt damit heraus“ er wandte darauf die Ausdruͤcke ſo lange, bis er die ganz richtigen fand, die er mit einem recht zufriedenem „ſehen ſie wohl, Freund“ begleitete.
Schon im erſten Jahr meiner ſtaͤdtſchen Niederlaſſung ſtarb Hippel, mit dem ich uͤber alles, was Staat und Haus anging, viel und ohne Ruͤckhalt zu reden gewohnt war; der Miniſter gewordne Oberpraͤſident von Schroͤtter, den ich beynah taͤglich ſah, zog mit ſeiner ganzen Familie nach Berlin, und es entſtand ein ſchmerzhafter Riß in meiner Umgangsgluͤckſeligkeit, den mein lieber Deutſch nicht heilen konnte, weil ſein Temperament ihn hindert, ſo raſch und gewandt theilnehmend zu ſeyn, wie
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faͤllt mir hier ein kleiner Zug von ihm bey,
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Kant nicht ſteht; um ihn nicht zu vergeſſen,
ſetz’ ich ihn her, wohin er weder der Zeit
noch dem Ort nach gehoͤrt. Bey einem Be-
ſuch, etwa ein Jahr vor ſeinem Tode,
konnte er im Geſpraͤch das rechte Wort zur
Erwiederung nicht finden, als ich nun ein-
helfen wollte, ergriff er meine Hand mit
den Worten: „Nein, nein, Freund, helfen
ſie mir nicht, mein Kopf muß ſelbſt damit
heraus“ er wandte darauf die Ausdruͤcke
ſo lange, bis er die ganz richtigen fand, die
er mit einem recht zufriedenem „ſehen ſie
wohl, Freund“ begleitete.
Schon im erſten Jahr meiner ſtaͤdtſchen
Niederlaſſung ſtarb Hippel, mit dem ich
uͤber alles, was Staat und Haus anging,
viel und ohne Ruͤckhalt zu reden gewohnt
war; der Miniſter gewordne Oberpraͤſident
von Schroͤtter, den ich beynah taͤglich
ſah, zog mit ſeiner ganzen Familie nach
Berlin, und es entſtand ein ſchmerzhafter
Riß in meiner Umgangsgluͤckſeligkeit, den
mein lieber Deutſch nicht heilen konnte,
weil ſein Temperament ihn hindert, ſo raſch
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Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823, S. 239. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823/256>, abgerufen am 23.11.2024.
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