Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823.

Bild:
<< vorherige Seite

fällt mir hier ein kleiner Zug von ihm bey,
der in den vielen: Ueber Jmanuel
Kant
nicht steht; um ihn nicht zu vergessen,
setz' ich ihn her, wohin er weder der Zeit
noch dem Ort nach gehört. Bey einem Be-
such, etwa ein Jahr vor seinem Tode,
konnte er im Gespräch das rechte Wort zur
Erwiederung nicht finden, als ich nun ein-
helfen wollte, ergriff er meine Hand mit
den Worten: "Nein, nein, Freund, helfen
sie mir nicht, mein Kopf muß selbst damit
heraus" er wandte darauf die Ausdrücke
so lange, bis er die ganz richtigen fand, die
er mit einem recht zufriedenem "sehen sie
wohl, Freund" begleitete.

Schon im ersten Jahr meiner städtschen
Niederlassung starb Hippel, mit dem ich
über alles, was Staat und Haus anging,
viel und ohne Rückhalt zu reden gewohnt
war; der Minister gewordne Oberpräsident
von Schrötter, den ich beynah täglich
sah, zog mit seiner ganzen Familie nach
Berlin, und es entstand ein schmerzhafter
Riß in meiner Umgangsglückseligkeit, den
mein lieber Deutsch nicht heilen konnte,
weil sein Temperament ihn hindert, so rasch
und gewandt theilnehmend zu seyn, wie

faͤllt mir hier ein kleiner Zug von ihm bey,
der in den vielen: Ueber Jmanuel
Kant
nicht ſteht; um ihn nicht zu vergeſſen,
ſetz’ ich ihn her, wohin er weder der Zeit
noch dem Ort nach gehoͤrt. Bey einem Be-
ſuch, etwa ein Jahr vor ſeinem Tode,
konnte er im Geſpraͤch das rechte Wort zur
Erwiederung nicht finden, als ich nun ein-
helfen wollte, ergriff er meine Hand mit
den Worten: „Nein, nein, Freund, helfen
ſie mir nicht, mein Kopf muß ſelbſt damit
heraus“ er wandte darauf die Ausdruͤcke
ſo lange, bis er die ganz richtigen fand, die
er mit einem recht zufriedenem „ſehen ſie
wohl, Freund“ begleitete.

Schon im erſten Jahr meiner ſtaͤdtſchen
Niederlaſſung ſtarb Hippel, mit dem ich
uͤber alles, was Staat und Haus anging,
viel und ohne Ruͤckhalt zu reden gewohnt
war; der Miniſter gewordne Oberpraͤſident
von Schroͤtter, den ich beynah taͤglich
ſah, zog mit ſeiner ganzen Familie nach
Berlin, und es entſtand ein ſchmerzhafter
Riß in meiner Umgangsgluͤckſeligkeit, den
mein lieber Deutſch nicht heilen konnte,
weil ſein Temperament ihn hindert, ſo raſch
und gewandt theilnehmend zu ſeyn, wie

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0256" n="239"/>
fa&#x0364;llt mir hier ein kleiner Zug von ihm bey,<lb/>
der in den vielen: <hi rendition="#g">Ueber Jmanuel<lb/>
Kant</hi> nicht &#x017F;teht; um ihn nicht zu verge&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
&#x017F;etz&#x2019; ich ihn her, wohin er weder der Zeit<lb/>
noch dem Ort nach geho&#x0364;rt. Bey einem Be-<lb/>
&#x017F;uch, etwa ein Jahr vor &#x017F;einem Tode,<lb/>
konnte er im Ge&#x017F;pra&#x0364;ch das rechte Wort zur<lb/>
Erwiederung nicht finden, als ich nun ein-<lb/>
helfen wollte, ergriff er meine Hand mit<lb/>
den Worten: &#x201E;Nein, nein, Freund, helfen<lb/>
&#x017F;ie mir nicht, mein Kopf muß &#x017F;elb&#x017F;t damit<lb/>
heraus&#x201C; er wandte darauf die Ausdru&#x0364;cke<lb/>
&#x017F;o lange, bis er die ganz richtigen fand, die<lb/>
er mit einem recht zufriedenem &#x201E;&#x017F;ehen &#x017F;ie<lb/>
wohl, Freund&#x201C; begleitete.</p><lb/>
        <p>Schon im er&#x017F;ten Jahr meiner &#x017F;ta&#x0364;dt&#x017F;chen<lb/>
Niederla&#x017F;&#x017F;ung &#x017F;tarb <hi rendition="#g">Hippel,</hi> mit dem ich<lb/>
u&#x0364;ber alles, was Staat und Haus anging,<lb/>
viel und ohne Ru&#x0364;ckhalt zu reden gewohnt<lb/>
war; der Mini&#x017F;ter gewordne Oberpra&#x0364;&#x017F;ident<lb/>
von <hi rendition="#g">Schro&#x0364;tter,</hi> den ich beynah ta&#x0364;glich<lb/>
&#x017F;ah, zog mit &#x017F;einer ganzen Familie nach<lb/>
Berlin, und es ent&#x017F;tand ein &#x017F;chmerzhafter<lb/>
Riß in meiner Umgangsglu&#x0364;ck&#x017F;eligkeit, den<lb/>
mein lieber <hi rendition="#g">Deut&#x017F;ch</hi> nicht heilen konnte,<lb/>
weil &#x017F;ein Temperament ihn hindert, &#x017F;o ra&#x017F;ch<lb/>
und gewandt theilnehmend zu &#x017F;eyn, wie<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[239/0256] faͤllt mir hier ein kleiner Zug von ihm bey, der in den vielen: Ueber Jmanuel Kant nicht ſteht; um ihn nicht zu vergeſſen, ſetz’ ich ihn her, wohin er weder der Zeit noch dem Ort nach gehoͤrt. Bey einem Be- ſuch, etwa ein Jahr vor ſeinem Tode, konnte er im Geſpraͤch das rechte Wort zur Erwiederung nicht finden, als ich nun ein- helfen wollte, ergriff er meine Hand mit den Worten: „Nein, nein, Freund, helfen ſie mir nicht, mein Kopf muß ſelbſt damit heraus“ er wandte darauf die Ausdruͤcke ſo lange, bis er die ganz richtigen fand, die er mit einem recht zufriedenem „ſehen ſie wohl, Freund“ begleitete. Schon im erſten Jahr meiner ſtaͤdtſchen Niederlaſſung ſtarb Hippel, mit dem ich uͤber alles, was Staat und Haus anging, viel und ohne Ruͤckhalt zu reden gewohnt war; der Miniſter gewordne Oberpraͤſident von Schroͤtter, den ich beynah taͤglich ſah, zog mit ſeiner ganzen Familie nach Berlin, und es entſtand ein ſchmerzhafter Riß in meiner Umgangsgluͤckſeligkeit, den mein lieber Deutſch nicht heilen konnte, weil ſein Temperament ihn hindert, ſo raſch und gewandt theilnehmend zu ſeyn, wie

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823/256
Zitationshilfe: Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823, S. 239. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823/256>, abgerufen am 23.11.2024.