und 1811. und durch Zusendungen ihres, 1815. gedruckten sehr interessanten und in einem der Weiblichkeit trefflich zusprechenden, vom vorredenden Herrn Hofrath Böttiger vielleicht nicht gehörig aufgefaßten, Ton ge- schriebnen Tagebuchs einer Reise durch Deutsch- land und Jtalien, von ihr erhielt, waren mir daher sehr angenehm und rührend, auch verdank' ich ihrem guten Zeugniß die schrift- liche Bekanntschaft mit Herrn Tiedge, dem Verfasser der von mir sehr geschätzten Urania.
Die Schwärmerey scheint ein geistiger Bandwurm zu seyn, dem das Wegschaffen vieler Ellen die Wachskraft zu neuen nicht benimmt. Vom leiblichen unterscheidet er sich dadurch, daß er andern manchmal lästig wird, dem aber, der ihn hat, keine Schmer- zen macht, ja sogar oft seine Freuden ihm erhöht und sie durch eigne Krümmungen und Windungen vermehrt. Eine mäßige Portion Schwärmerey im Herzen verbreitet vielfältig einen angenehmen Schimmer über die ganze Existenz und veranlaßt eine eigne Exaltation, deren der Dichter gar nicht ent- behren, und die auch der Prosaiker sehr be- nutzen kann.
und 1811. und durch Zuſendungen ihres, 1815. gedruckten ſehr intereſſanten und in einem der Weiblichkeit trefflich zuſprechenden, vom vorredenden Herrn Hofrath Boͤttiger vielleicht nicht gehoͤrig aufgefaßten, Ton ge- ſchriebnen Tagebuchs einer Reiſe durch Deutſch- land und Jtalien, von ihr erhielt, waren mir daher ſehr angenehm und ruͤhrend, auch verdank’ ich ihrem guten Zeugniß die ſchrift- liche Bekanntſchaft mit Herrn Tiedge, dem Verfaſſer der von mir ſehr geſchaͤtzten Urania.
Die Schwaͤrmerey ſcheint ein geiſtiger Bandwurm zu ſeyn, dem das Wegſchaffen vieler Ellen die Wachskraft zu neuen nicht benimmt. Vom leiblichen unterſcheidet er ſich dadurch, daß er andern manchmal laͤſtig wird, dem aber, der ihn hat, keine Schmer- zen macht, ja ſogar oft ſeine Freuden ihm erhoͤht und ſie durch eigne Kruͤmmungen und Windungen vermehrt. Eine maͤßige Portion Schwaͤrmerey im Herzen verbreitet vielfaͤltig einen angenehmen Schimmer uͤber die ganze Exiſtenz und veranlaßt eine eigne Exaltation, deren der Dichter gar nicht ent- behren, und die auch der Proſaiker ſehr be- nutzen kann.
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0239"n="222"/>
und 1811. und durch Zuſendungen ihres,<lb/>
1815. gedruckten ſehr intereſſanten und in<lb/>
einem der Weiblichkeit trefflich zuſprechenden,<lb/>
vom vorredenden Herrn Hofrath Boͤttiger<lb/>
vielleicht nicht gehoͤrig aufgefaßten, Ton ge-<lb/>ſchriebnen Tagebuchs einer Reiſe durch Deutſch-<lb/>
land und Jtalien, von ihr erhielt, waren<lb/>
mir daher ſehr angenehm und ruͤhrend, auch<lb/>
verdank’ ich ihrem guten Zeugniß die ſchrift-<lb/>
liche Bekanntſchaft mit Herrn <hirendition="#g">Tiedge,</hi><lb/>
dem Verfaſſer der von mir ſehr geſchaͤtzten<lb/><hirendition="#g">Urania</hi>.</p><lb/><p>Die Schwaͤrmerey ſcheint ein geiſtiger<lb/>
Bandwurm zu ſeyn, dem das Wegſchaffen<lb/>
vieler Ellen die Wachskraft zu neuen nicht<lb/>
benimmt. Vom leiblichen unterſcheidet er<lb/>ſich dadurch, daß er andern manchmal laͤſtig<lb/>
wird, dem aber, der ihn hat, keine Schmer-<lb/>
zen macht, ja ſogar oft ſeine Freuden ihm<lb/>
erhoͤht und ſie durch eigne Kruͤmmungen<lb/>
und Windungen vermehrt. Eine maͤßige<lb/>
Portion Schwaͤrmerey im Herzen verbreitet<lb/>
vielfaͤltig einen angenehmen Schimmer uͤber<lb/>
die ganze Exiſtenz und veranlaßt eine eigne<lb/>
Exaltation, deren der Dichter gar nicht ent-<lb/>
behren, und die auch der Proſaiker ſehr be-<lb/>
nutzen kann.</p><lb/></div></body></text></TEI>
[222/0239]
und 1811. und durch Zuſendungen ihres,
1815. gedruckten ſehr intereſſanten und in
einem der Weiblichkeit trefflich zuſprechenden,
vom vorredenden Herrn Hofrath Boͤttiger
vielleicht nicht gehoͤrig aufgefaßten, Ton ge-
ſchriebnen Tagebuchs einer Reiſe durch Deutſch-
land und Jtalien, von ihr erhielt, waren
mir daher ſehr angenehm und ruͤhrend, auch
verdank’ ich ihrem guten Zeugniß die ſchrift-
liche Bekanntſchaft mit Herrn Tiedge,
dem Verfaſſer der von mir ſehr geſchaͤtzten
Urania.
Die Schwaͤrmerey ſcheint ein geiſtiger
Bandwurm zu ſeyn, dem das Wegſchaffen
vieler Ellen die Wachskraft zu neuen nicht
benimmt. Vom leiblichen unterſcheidet er
ſich dadurch, daß er andern manchmal laͤſtig
wird, dem aber, der ihn hat, keine Schmer-
zen macht, ja ſogar oft ſeine Freuden ihm
erhoͤht und ſie durch eigne Kruͤmmungen
und Windungen vermehrt. Eine maͤßige
Portion Schwaͤrmerey im Herzen verbreitet
vielfaͤltig einen angenehmen Schimmer uͤber
die ganze Exiſtenz und veranlaßt eine eigne
Exaltation, deren der Dichter gar nicht ent-
behren, und die auch der Proſaiker ſehr be-
nutzen kann.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823, S. 222. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823/239>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.