wenig gekrümmt haben, wenigstens sagte es das Publikum, und sein Nachlaß scheint es bestätiget zu haben. Der dort angetroffene Mitgast war der Kriegsrath Deutsch -- mit dessen Seele die meinige auf einem ein- zigen Spaziergange in Potsdam, wo er da- mals wohnte und im Schulfache arbeitete, so vertraut wurde, als ob wir jahrelang auf Einer Schulbank gesessen hätten. Auch setzten wir, als er nach dem Tode seiner Gattin, die viel gesunden Verstand und Weltkenntniß mit unübertrefflicher Offenheit verband, sich von seinem Landgute getrennt und in Königsberg niedergelassen hatte, diese Freundschaft fleißig fort, bis er während des französischen Krieges abermals auf das Land zu seinem Sohne in eine Verborgenheit zog, die ich an einem Manne von seinen Eigen- schaften nicht gut heißen kann, so sehr ihm die Ruhe wohlthun mag; denn das bekannte bene vixit, qui bene latuit kann wohl in manchen Fällen wahr seyn, enthält aber keine Entbindung (Dispensation) vom öffent- lichen Handeln unter Menschen, so lange man Kräfte und Gelegenheit dazu besitzt.
Schon im ersten Jahr meines Privat- lebens war mein Schwiegervater gestorben,
N 2
wenig gekruͤmmt haben, wenigſtens ſagte es das Publikum, und ſein Nachlaß ſcheint es beſtaͤtiget zu haben. Der dort angetroffene Mitgaſt war der Kriegsrath Deutſch — mit deſſen Seele die meinige auf einem ein- zigen Spaziergange in Potsdam, wo er da- mals wohnte und im Schulfache arbeitete, ſo vertraut wurde, als ob wir jahrelang auf Einer Schulbank geſeſſen haͤtten. Auch ſetzten wir, als er nach dem Tode ſeiner Gattin, die viel geſunden Verſtand und Weltkenntniß mit unuͤbertrefflicher Offenheit verband, ſich von ſeinem Landgute getrennt und in Koͤnigsberg niedergelaſſen hatte, dieſe Freundſchaft fleißig fort, bis er waͤhrend des franzoͤſiſchen Krieges abermals auf das Land zu ſeinem Sohne in eine Verborgenheit zog, die ich an einem Manne von ſeinen Eigen- ſchaften nicht gut heißen kann, ſo ſehr ihm die Ruhe wohlthun mag; denn das bekannte bene vixit, qui bene latuit kann wohl in manchen Faͤllen wahr ſeyn, enthaͤlt aber keine Entbindung (Diſpenſation) vom oͤffent- lichen Handeln unter Menſchen, ſo lange man Kraͤfte und Gelegenheit dazu beſitzt.
Schon im erſten Jahr meines Privat- lebens war mein Schwiegervater geſtorben,
N 2
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0212"n="195"/>
wenig gekruͤmmt haben, wenigſtens ſagte es<lb/>
das Publikum, und ſein Nachlaß ſcheint es<lb/>
beſtaͤtiget zu haben. Der dort angetroffene<lb/>
Mitgaſt war der Kriegsrath <hirendition="#g">Deutſch</hi>—<lb/>
mit deſſen Seele die meinige auf einem ein-<lb/>
zigen Spaziergange in Potsdam, wo er da-<lb/>
mals wohnte und im Schulfache arbeitete,<lb/>ſo vertraut wurde, als ob wir jahrelang<lb/>
auf Einer Schulbank geſeſſen haͤtten. Auch<lb/>ſetzten wir, als er nach dem Tode ſeiner<lb/>
Gattin, die viel geſunden Verſtand und<lb/>
Weltkenntniß mit unuͤbertrefflicher Offenheit<lb/>
verband, ſich von ſeinem Landgute getrennt<lb/>
und in Koͤnigsberg niedergelaſſen hatte, dieſe<lb/>
Freundſchaft fleißig fort, bis er waͤhrend des<lb/>
franzoͤſiſchen Krieges abermals auf das Land<lb/>
zu ſeinem Sohne in eine Verborgenheit zog,<lb/>
die ich an einem Manne von ſeinen Eigen-<lb/>ſchaften nicht gut heißen kann, ſo ſehr <hirendition="#g">ihm</hi><lb/>
die Ruhe wohlthun mag; denn das bekannte<lb/><hirendition="#aq">bene vixit, qui bene latuit</hi> kann wohl in<lb/>
manchen Faͤllen wahr ſeyn, enthaͤlt aber<lb/>
keine Entbindung (Diſpenſation) vom oͤffent-<lb/>
lichen Handeln unter Menſchen, ſo lange<lb/>
man Kraͤfte und Gelegenheit dazu beſitzt.</p><lb/><p>Schon im erſten Jahr meines Privat-<lb/>
lebens war mein Schwiegervater geſtorben,<lb/><fwplace="bottom"type="sig">N 2</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[195/0212]
wenig gekruͤmmt haben, wenigſtens ſagte es
das Publikum, und ſein Nachlaß ſcheint es
beſtaͤtiget zu haben. Der dort angetroffene
Mitgaſt war der Kriegsrath Deutſch —
mit deſſen Seele die meinige auf einem ein-
zigen Spaziergange in Potsdam, wo er da-
mals wohnte und im Schulfache arbeitete,
ſo vertraut wurde, als ob wir jahrelang
auf Einer Schulbank geſeſſen haͤtten. Auch
ſetzten wir, als er nach dem Tode ſeiner
Gattin, die viel geſunden Verſtand und
Weltkenntniß mit unuͤbertrefflicher Offenheit
verband, ſich von ſeinem Landgute getrennt
und in Koͤnigsberg niedergelaſſen hatte, dieſe
Freundſchaft fleißig fort, bis er waͤhrend des
franzoͤſiſchen Krieges abermals auf das Land
zu ſeinem Sohne in eine Verborgenheit zog,
die ich an einem Manne von ſeinen Eigen-
ſchaften nicht gut heißen kann, ſo ſehr ihm
die Ruhe wohlthun mag; denn das bekannte
bene vixit, qui bene latuit kann wohl in
manchen Faͤllen wahr ſeyn, enthaͤlt aber
keine Entbindung (Diſpenſation) vom oͤffent-
lichen Handeln unter Menſchen, ſo lange
man Kraͤfte und Gelegenheit dazu beſitzt.
Schon im erſten Jahr meines Privat-
lebens war mein Schwiegervater geſtorben,
N 2
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823, S. 195. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823/212>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.