Einsamkeit etc. ist mir der Unterschied zwi- schen dem, was ein Autor diktirt, und dem, was er selbst aufschreibt, sehr aufgefallen. Beym ersten fließt manches Wort zu viel ein, und es werden Lückenbüßer eingemischt, die die Nachrevision nicht immer wegschafft. Von leiblich blinden Schriftstellern ist daher Präcision des Ausdrucks selten zu erwarten, auch nicht zu fordern, so hab ich auch irgend- wo gelesen, daß sich die selbstgeschrieb- nen Briefe der Sevigne an ihre Tochter sehr gut von denen, die sie an selbige diktirt, sollen unterscheiden lassen.
Jn der Vorrede zu den Anno 1809. er- schienenen Lettres et pensees du Prince de Ligne hat die Frau von Stael den Unterschied zwischen dem stil parle (Con- versation) und dem Bücherstil auseinander- gesetzt, wo sie sagt, ein Buch habe immer etwas von einem Schema, das den Autor in einige Entfernung vom Leser stelle. Der Göttingsche Recensent (vermuthlich Bran- des) sagt darüber (Jn Anz. No. 104. von 1809.): "Aus dieser im Ganzen richtigen "Ansicht folgt für uns zweyerley: erstlich, "daß, die Autoren leicht pedantisch oder un- "wahr werden, die Autorschaft ganz beson-
Einſamkeit ꝛc. iſt mir der Unterſchied zwi- ſchen dem, was ein Autor diktirt, und dem, was er ſelbſt aufſchreibt, ſehr aufgefallen. Beym erſten fließt manches Wort zu viel ein, und es werden Luͤckenbuͤßer eingemiſcht, die die Nachreviſion nicht immer wegſchafft. Von leiblich blinden Schriftſtellern iſt daher Praͤciſion des Ausdrucks ſelten zu erwarten, auch nicht zu fordern, ſo hab ich auch irgend- wo geleſen, daß ſich die ſelbſtgeſchrieb- nen Briefe der Sevigne an ihre Tochter ſehr gut von denen, die ſie an ſelbige diktirt, ſollen unterſcheiden laſſen.
Jn der Vorrede zu den Anno 1809. er- ſchienenen Lettres et penſèes du Prince de Ligne hat die Frau von Stael den Unterſchied zwiſchen dem ſtil parlé (Con- verſation) und dem Buͤcherſtil auseinander- geſetzt, wo ſie ſagt, ein Buch habe immer etwas von einem Schema, das den Autor in einige Entfernung vom Leſer ſtelle. Der Goͤttingſche Recenſent (vermuthlich Bran- des) ſagt daruͤber (Jn Anz. No. 104. von 1809.): „Aus dieſer im Ganzen richtigen „Anſicht folgt fuͤr uns zweyerley: erſtlich, „daß, die Autoren leicht pedantiſch oder un- „wahr werden, die Autorſchaft ganz beſon-
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Einſamkeit ꝛc. iſt mir der Unterſchied zwi-
ſchen dem, was ein Autor diktirt, und dem,
was er ſelbſt aufſchreibt, ſehr aufgefallen.
Beym erſten fließt manches Wort zu viel
ein, und es werden Luͤckenbuͤßer eingemiſcht,
die die Nachreviſion nicht immer wegſchafft.
Von leiblich blinden Schriftſtellern iſt daher
Praͤciſion des Ausdrucks ſelten zu erwarten,
auch nicht zu fordern, ſo hab ich auch irgend-
wo geleſen, daß ſich die ſelbſtgeſchrieb-
nen Briefe der Sevigne an ihre Tochter
ſehr gut von denen, die ſie an ſelbige diktirt,
ſollen unterſcheiden laſſen.
Jn der Vorrede zu den Anno 1809. er-
ſchienenen Lettres et penſèes du Prince de
Ligne hat die Frau von Stael den
Unterſchied zwiſchen dem ſtil parlé (Con-
verſation) und dem Buͤcherſtil auseinander-
geſetzt, wo ſie ſagt, ein Buch habe immer
etwas von einem Schema, das den Autor
in einige Entfernung vom Leſer ſtelle. Der
Goͤttingſche Recenſent (vermuthlich Bran-
des) ſagt daruͤber (Jn Anz. No. 104. von
1809.): „Aus dieſer im Ganzen richtigen
„Anſicht folgt fuͤr uns zweyerley: erſtlich,
„daß, die Autoren leicht pedantiſch oder un-
„wahr werden, die Autorſchaft ganz beſon-
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Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823, S. 181. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823/198>, abgerufen am 22.11.2024.
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