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Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823.

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dem ein höchst biedrer und auspruchloser, ge-
gen mich freundschaftlich gesinnter Mann
war. Auch unterhielt ich wöchentlich einen
Briefwechsel mit der Anno 1809. als Witt-
we in Glatz gestorbnen Generalin v. F. --
damaligen Geheimenräthin V. -- Diese
außerordentlich gebildete feinsinnige Frau,
die über den Büchern ihre Wirthschaft nicht
versäumte, beschäftigte sich und mich durch
diese Correspondenz recht nützlich und ange-
nehm, welches letztre auch eine andre Ma-
rienwerdersche Dame zu werden suchte, es
aber nicht ward, obgleich sie ihrem ersten
Mann den Folardschen Polyb und andere
Kriegsbücher vorlas; denn sie riß in den über
ihre Bellonenatur geworfnen, aber nur ge-
liehenen, Grazienschleyer durch ihre Ahnen-
sucht, Wirthschaftskargheit so große Löcher,
daß jene nur desto sichtbarer wurde, und der
unweibliche Heroismus und Stolz, den ihr
Lese-Putz- und Umgangsgeschmack beur-
kundete, und der sie in jüngern Jahren je-
nes löbliche Ziel zu erreichen gehindert hatte,
hat sie auch bey grauen Haaren und in einer
zweyten Ehe davon entfernt gehalten.

Eine Nebenarbeit machte mir der ver-
storbne Generalmajor Graf Bork, der eine

dem ein hoͤchſt biedrer und auſpruchloſer, ge-
gen mich freundſchaftlich geſinnter Mann
war. Auch unterhielt ich woͤchentlich einen
Briefwechſel mit der Anno 1809. als Witt-
we in Glatz geſtorbnen Generalin v. F. —
damaligen Geheimenraͤthin V. — Dieſe
außerordentlich gebildete feinſinnige Frau,
die uͤber den Buͤchern ihre Wirthſchaft nicht
verſaͤumte, beſchaͤftigte ſich und mich durch
dieſe Correſpondenz recht nuͤtzlich und ange-
nehm, welches letztre auch eine andre Ma-
rienwerderſche Dame zu werden ſuchte, es
aber nicht ward, obgleich ſie ihrem erſten
Mann den Folardſchen Polyb und andere
Kriegsbuͤcher vorlas; denn ſie riß in den uͤber
ihre Bellonenatur geworfnen, aber nur ge-
liehenen, Grazienſchleyer durch ihre Ahnen-
ſucht, Wirthſchaftskargheit ſo große Loͤcher,
daß jene nur deſto ſichtbarer wurde, und der
unweibliche Heroismus und Stolz, den ihr
Leſe-Putz- und Umgangsgeſchmack beur-
kundete, und der ſie in juͤngern Jahren je-
nes loͤbliche Ziel zu erreichen gehindert hatte,
hat ſie auch bey grauen Haaren und in einer
zweyten Ehe davon entfernt gehalten.

Eine Nebenarbeit machte mir der ver-
ſtorbne Generalmajor Graf Bork, der eine

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[173/0190] dem ein hoͤchſt biedrer und auſpruchloſer, ge- gen mich freundſchaftlich geſinnter Mann war. Auch unterhielt ich woͤchentlich einen Briefwechſel mit der Anno 1809. als Witt- we in Glatz geſtorbnen Generalin v. F. — damaligen Geheimenraͤthin V. — Dieſe außerordentlich gebildete feinſinnige Frau, die uͤber den Buͤchern ihre Wirthſchaft nicht verſaͤumte, beſchaͤftigte ſich und mich durch dieſe Correſpondenz recht nuͤtzlich und ange- nehm, welches letztre auch eine andre Ma- rienwerderſche Dame zu werden ſuchte, es aber nicht ward, obgleich ſie ihrem erſten Mann den Folardſchen Polyb und andere Kriegsbuͤcher vorlas; denn ſie riß in den uͤber ihre Bellonenatur geworfnen, aber nur ge- liehenen, Grazienſchleyer durch ihre Ahnen- ſucht, Wirthſchaftskargheit ſo große Loͤcher, daß jene nur deſto ſichtbarer wurde, und der unweibliche Heroismus und Stolz, den ihr Leſe-Putz- und Umgangsgeſchmack beur- kundete, und der ſie in juͤngern Jahren je- nes loͤbliche Ziel zu erreichen gehindert hatte, hat ſie auch bey grauen Haaren und in einer zweyten Ehe davon entfernt gehalten. Eine Nebenarbeit machte mir der ver- ſtorbne Generalmajor Graf Bork, der eine

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Zitationshilfe: Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823, S. 173. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823/190>, abgerufen am 27.11.2024.