nicht geben, wodurch der anfänglich gedul- dige Leser unwillig gemacht wird. Herder hätte manche Abhandlung gar nicht schrei- ben sollen, weil er theils über ihren Gegen- stand keinen wahren Aufschluß geben konn- te, theils nicht geben wollte. Solch Hinhalten von Seiten des Schriftstellers find ich ungerecht und undankbar; der Schaum des Champagners und die Stern- chen des Burgunders sind eine schöne Sache, aber der Durstige will trinken.
Diese meine individuelle Aeußerung über Herder hat mich indessen nicht gehindert, die Ergießungen über Herders sämmt- liche Werke im 4ten und 5ten Heft der Heidelbergschen Jahrbücher von 1812. schön und hinreißend geschrieben, vieles in ihnen wahr zu finden, und sie mit Vergnügen zu lesen, wenn gleich mein alter Kopf manch- mal dabey so schwindelte, wie beym Lesen von Baggesens Ersteigung des Strasburger Münsters. Wird mir aber Herr C. J. W -- u das Geständniß verzeihen, daß ich solche ly- rische Kritiken und Darstellungen nicht ge- eignet finde, viel zum richtigen Urtheil über einen Schriftsteller beytragen zu können, indem sie die Erwartungen dessen, der seine
nicht geben, wodurch der anfaͤnglich gedul- dige Leſer unwillig gemacht wird. Herder haͤtte manche Abhandlung gar nicht ſchrei- ben ſollen, weil er theils uͤber ihren Gegen- ſtand keinen wahren Aufſchluß geben konn- te, theils nicht geben wollte. Solch Hinhalten von Seiten des Schriftſtellers find ich ungerecht und undankbar; der Schaum des Champagners und die Stern- chen des Burgunders ſind eine ſchoͤne Sache, aber der Durſtige will trinken.
Dieſe meine individuelle Aeußerung uͤber Herder hat mich indeſſen nicht gehindert, die Ergießungen uͤber Herders ſaͤmmt- liche Werke im 4ten und 5ten Heft der Heidelbergſchen Jahrbuͤcher von 1812. ſchoͤn und hinreißend geſchrieben, vieles in ihnen wahr zu finden, und ſie mit Vergnuͤgen zu leſen, wenn gleich mein alter Kopf manch- mal dabey ſo ſchwindelte, wie beym Leſen von Baggeſens Erſteigung des Strasburger Muͤnſters. Wird mir aber Herr C. J. W — u das Geſtaͤndniß verzeihen, daß ich ſolche ly- riſche Kritiken und Darſtellungen nicht ge- eignet finde, viel zum richtigen Urtheil uͤber einen Schriftſteller beytragen zu koͤnnen, indem ſie die Erwartungen deſſen, der ſeine
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0154"n="137"/>
nicht geben, wodurch der anfaͤnglich gedul-<lb/>
dige Leſer unwillig gemacht wird. Herder<lb/>
haͤtte manche Abhandlung gar nicht ſchrei-<lb/>
ben ſollen, weil er theils uͤber ihren Gegen-<lb/>ſtand keinen wahren Aufſchluß geben <hirendition="#g">konn-<lb/>
te,</hi> theils nicht geben <hirendition="#g">wollte.</hi> Solch<lb/>
Hinhalten von Seiten des Schriftſtellers<lb/>
find ich ungerecht und undankbar; der<lb/>
Schaum des Champagners und die Stern-<lb/>
chen des Burgunders ſind eine ſchoͤne Sache,<lb/>
aber der Durſtige will trinken.</p><lb/><p>Dieſe meine individuelle Aeußerung uͤber<lb/>
Herder hat mich indeſſen nicht gehindert,<lb/>
die Ergießungen <hirendition="#g">uͤber Herders ſaͤmmt-<lb/>
liche Werke</hi> im 4ten und 5ten Heft der<lb/>
Heidelbergſchen Jahrbuͤcher von 1812. ſchoͤn<lb/>
und hinreißend geſchrieben, vieles in ihnen<lb/>
wahr zu finden, und ſie mit Vergnuͤgen zu<lb/>
leſen, wenn gleich mein alter Kopf manch-<lb/>
mal dabey ſo ſchwindelte, wie beym Leſen<lb/>
von Baggeſens Erſteigung des Strasburger<lb/>
Muͤnſters. Wird mir aber Herr C. J. W — u<lb/>
das Geſtaͤndniß verzeihen, daß ich ſolche ly-<lb/>
riſche Kritiken und Darſtellungen nicht ge-<lb/>
eignet finde, viel zum richtigen Urtheil uͤber<lb/>
einen Schriftſteller beytragen zu koͤnnen,<lb/>
indem ſie die Erwartungen deſſen, der ſeine<lb/></p></div></body></text></TEI>
[137/0154]
nicht geben, wodurch der anfaͤnglich gedul-
dige Leſer unwillig gemacht wird. Herder
haͤtte manche Abhandlung gar nicht ſchrei-
ben ſollen, weil er theils uͤber ihren Gegen-
ſtand keinen wahren Aufſchluß geben konn-
te, theils nicht geben wollte. Solch
Hinhalten von Seiten des Schriftſtellers
find ich ungerecht und undankbar; der
Schaum des Champagners und die Stern-
chen des Burgunders ſind eine ſchoͤne Sache,
aber der Durſtige will trinken.
Dieſe meine individuelle Aeußerung uͤber
Herder hat mich indeſſen nicht gehindert,
die Ergießungen uͤber Herders ſaͤmmt-
liche Werke im 4ten und 5ten Heft der
Heidelbergſchen Jahrbuͤcher von 1812. ſchoͤn
und hinreißend geſchrieben, vieles in ihnen
wahr zu finden, und ſie mit Vergnuͤgen zu
leſen, wenn gleich mein alter Kopf manch-
mal dabey ſo ſchwindelte, wie beym Leſen
von Baggeſens Erſteigung des Strasburger
Muͤnſters. Wird mir aber Herr C. J. W — u
das Geſtaͤndniß verzeihen, daß ich ſolche ly-
riſche Kritiken und Darſtellungen nicht ge-
eignet finde, viel zum richtigen Urtheil uͤber
einen Schriftſteller beytragen zu koͤnnen,
indem ſie die Erwartungen deſſen, der ſeine
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823/154>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.