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Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823.

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mir so behaglich, daß die Vergleiche, die
ich zwischen ihr und den Prachtgezelten ei-
nes Großveziers anstellte, immer zu ihrem
Vortheil ausfielen. Jn selbiger versuchte
ich es auch, aus der virgilischen Geschichte
des Nysus und Euryalus ein Gedicht
im Geschmack des Kleistischen Cissides und
Paches zu machen, das in der Folge ich
weiß nicht wohin gekommen ist, und keine
Anwandelung zum Wiederholen dieser Ar-
beit nachgelassen hat. Das Wohnen in ei-
ner solchen unterirdischen Stätte ist gewiß
nur dem Schreck erregend, der sie sich, sitzend
in einer schön aufgeschmückten hellen Stube
denkt, keinesweges aber dem, der in einer
Erdkluft wirklich hauset und in ihr Schutz
gegen Wind und Wetter zu einer Zeit fin-
det, in der es an aller Gelegenheit man-
gelt, sich in tapezierte großfenstrige Zimmer
einzunisten. Mir selbst ist beym Anblick ei-
nes großen schönen Gebäudes nie der Wunsch,
in selbigem leben und sterben zu können,
eingefallen, desto öftrer aber bey einer dich-
ten festen Bauernhütte, besonders in einem
Walde von Buchen. *)

*) "Wenn der Mensch mit beobachtendem Geiste
"die Natur wie das Leben betrachtet, so ist die

mir ſo behaglich, daß die Vergleiche, die
ich zwiſchen ihr und den Prachtgezelten ei-
nes Großveziers anſtellte, immer zu ihrem
Vortheil ausfielen. Jn ſelbiger verſuchte
ich es auch, aus der virgiliſchen Geſchichte
des Nyſus und Euryalus ein Gedicht
im Geſchmack des Kleiſtiſchen Ciſſides und
Paches zu machen, das in der Folge ich
weiß nicht wohin gekommen iſt, und keine
Anwandelung zum Wiederholen dieſer Ar-
beit nachgelaſſen hat. Das Wohnen in ei-
ner ſolchen unterirdiſchen Staͤtte iſt gewiß
nur dem Schreck erregend, der ſie ſich, ſitzend
in einer ſchoͤn aufgeſchmuͤckten hellen Stube
denkt, keinesweges aber dem, der in einer
Erdkluft wirklich hauſet und in ihr Schutz
gegen Wind und Wetter zu einer Zeit fin-
det, in der es an aller Gelegenheit man-
gelt, ſich in tapezierte großfenſtrige Zimmer
einzuniſten. Mir ſelbſt iſt beym Anblick ei-
nes großen ſchoͤnen Gebaͤudes nie der Wunſch,
in ſelbigem leben und ſterben zu koͤnnen,
eingefallen, deſto oͤftrer aber bey einer dich-
ten feſten Bauernhuͤtte, beſonders in einem
Walde von Buchen. *)

*) „Wenn der Menſch mit beobachtendem Geiſte
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[104/0121] mir ſo behaglich, daß die Vergleiche, die ich zwiſchen ihr und den Prachtgezelten ei- nes Großveziers anſtellte, immer zu ihrem Vortheil ausfielen. Jn ſelbiger verſuchte ich es auch, aus der virgiliſchen Geſchichte des Nyſus und Euryalus ein Gedicht im Geſchmack des Kleiſtiſchen Ciſſides und Paches zu machen, das in der Folge ich weiß nicht wohin gekommen iſt, und keine Anwandelung zum Wiederholen dieſer Ar- beit nachgelaſſen hat. Das Wohnen in ei- ner ſolchen unterirdiſchen Staͤtte iſt gewiß nur dem Schreck erregend, der ſie ſich, ſitzend in einer ſchoͤn aufgeſchmuͤckten hellen Stube denkt, keinesweges aber dem, der in einer Erdkluft wirklich hauſet und in ihr Schutz gegen Wind und Wetter zu einer Zeit fin- det, in der es an aller Gelegenheit man- gelt, ſich in tapezierte großfenſtrige Zimmer einzuniſten. Mir ſelbſt iſt beym Anblick ei- nes großen ſchoͤnen Gebaͤudes nie der Wunſch, in ſelbigem leben und ſterben zu koͤnnen, eingefallen, deſto oͤftrer aber bey einer dich- ten feſten Bauernhuͤtte, beſonders in einem Walde von Buchen. *) *) „Wenn der Menſch mit beobachtendem Geiſte „die Natur wie das Leben betrachtet, ſo iſt die

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Zitationshilfe: Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823, S. 104. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823/121>, abgerufen am 27.11.2024.