Aber viel Sitzen ist schädlich dem Menschen und viel Wissen macht überflüssige Arbeit. Manchen Abend hab ich gegrübelt wie ein Bohr- wurm, und disputirt wie eine Elster, Nichts war unergründlich: wo das Haupt Johannis des Täufers begraben liege, und in welcher Sprache die Schlange zu Adam gesprochen -- Alles klar erörtert, nur daran war ich nicht zu denken gerathen, daß der Mensch auch Knochen und Fleisch und Blut mit sich in die Welt bekommen. Hoiho, Confrater, da kamen böse Stunden, mögen sie Euch erspart bleiben, der Kopf ward schwer, die Hände unruhig, am Schreibtisch kein Bleiben, in der Kirche kein Knieen -- fort! hieß es, nur fort und hinaus! Dem alten Thieto sagt ich dereinst, ich habe eine Ent- deckung gemacht. Was für eine? Daß es jenseits unserer Mauern frische Luft gebe ... Da versagten sie mir den Ausgang, aber manche Nacht bin ich heimlich auf den Glockenthurm gestiegen111) und hab hinausgeschaut und die Fledermäuse beneidet, die in Tannenwald hinüber flogen ... Confrater, dagegen hilft kein Fasten und kein Beten, was im Menschen steckt, muß heraus.
Der vorige Abt hat billige Einsicht genommen und mich auf Jahresfrist hierher geschickt, aber der Bruder Marcellus kam nimmer heim. Wie ich hier im Schweiß meines Angesichtes den Tannbaum fällte und den Nachen zimmerte und den Strichvogel aus den Lüften herunterholte, da ist mir ein Licht aufgegangen, was gesund sein heißt -- Fischfang und Waidwerk beizen die unnützen Mücken aus dem Kopf -- so stehe ich seit dreißig Jahren der Zelle Radolfi vor, rusticitate quadam imbutus, einer gewissen Verbauerung ausgesetzt, was verficht's? Ich bin gleich der Kropfgans in der Wüste, gleich der Eule die in Trümmern nistet, sagt der Psalmist, aber frisch und stark, und der alte Moengal gedenkt sobald noch nicht ein stummer Mann zu werden und weiß, daß er wenigstens vor einem Unglück sicher sein darf ...
Was meint Ihr für ein Unglück? frug Ekkehard.
Daß ihm Sanct Petrus dereinst den himmlischen Thorschlüssel vor die Stirn schlägt und spricht: hinaus mit dir, der du unnütz und eitel Philosophie getrieben!
Ekkehard ließ sich auf Moengal's Herzensergießungen nicht näher ein. Ihr habet wohl rauhen Dienst in Sorge der Seelen, sprach er, verstockte Herzen, Heidenthum und Ketzerei ..
Aber viel Sitzen iſt ſchädlich dem Menſchen und viel Wiſſen macht überflüſſige Arbeit. Manchen Abend hab ich gegrübelt wie ein Bohr- wurm, und disputirt wie eine Elſter, Nichts war unergründlich: wo das Haupt Johannis des Täufers begraben liege, und in welcher Sprache die Schlange zu Adam geſprochen — Alles klar erörtert, nur daran war ich nicht zu denken gerathen, daß der Menſch auch Knochen und Fleiſch und Blut mit ſich in die Welt bekommen. Hoiho, Confrater, da kamen böſe Stunden, mögen ſie Euch erſpart bleiben, der Kopf ward ſchwer, die Hände unruhig, am Schreibtiſch kein Bleiben, in der Kirche kein Knieen — fort! hieß es, nur fort und hinaus! Dem alten Thieto ſagt ich dereinſt, ich habe eine Ent- deckung gemacht. Was für eine? Daß es jenſeits unſerer Mauern friſche Luft gebe ... Da verſagten ſie mir den Ausgang, aber manche Nacht bin ich heimlich auf den Glockenthurm geſtiegen111) und hab hinausgeſchaut und die Fledermäuſe beneidet, die in Tannenwald hinüber flogen ... Confrater, dagegen hilft kein Faſten und kein Beten, was im Menſchen ſteckt, muß heraus.
Der vorige Abt hat billige Einſicht genommen und mich auf Jahresfriſt hierher geſchickt, aber der Bruder Marcellus kam nimmer heim. Wie ich hier im Schweiß meines Angeſichtes den Tannbaum fällte und den Nachen zimmerte und den Strichvogel aus den Lüften herunterholte, da iſt mir ein Licht aufgegangen, was geſund ſein heißt — Fiſchfang und Waidwerk beizen die unnützen Mücken aus dem Kopf — ſo ſtehe ich ſeit dreißig Jahren der Zelle Radolfi vor, rusticitate quadam imbutus, einer gewiſſen Verbauerung ausgeſetzt, was verficht's? Ich bin gleich der Kropfgans in der Wüſte, gleich der Eule die in Trümmern niſtet, ſagt der Pſalmiſt, aber friſch und ſtark, und der alte Moengal gedenkt ſobald noch nicht ein ſtummer Mann zu werden und weiß, daß er wenigſtens vor einem Unglück ſicher ſein darf ...
Was meint Ihr für ein Unglück? frug Ekkehard.
Daß ihm Sanct Petrus dereinſt den himmliſchen Thorſchlüſſel vor die Stirn ſchlägt und ſpricht: hinaus mit dir, der du unnütz und eitel Philoſophie getrieben!
Ekkehard ließ ſich auf Moengal's Herzensergießungen nicht näher ein. Ihr habet wohl rauhen Dienſt in Sorge der Seelen, ſprach er, verſtockte Herzen, Heidenthum und Ketzerei ..
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0094"n="72"/><p>Aber viel Sitzen iſt ſchädlich dem Menſchen und viel Wiſſen macht<lb/>
überflüſſige Arbeit. Manchen Abend hab ich gegrübelt wie ein Bohr-<lb/>
wurm, und disputirt wie eine Elſter, Nichts war unergründlich: wo<lb/>
das Haupt Johannis des Täufers begraben liege, und in welcher<lb/>
Sprache die Schlange zu Adam geſprochen — Alles klar erörtert,<lb/>
nur daran war ich nicht zu denken gerathen, daß der Menſch auch<lb/>
Knochen und Fleiſch und Blut mit ſich in die Welt bekommen.<lb/>
Hoiho, Confrater, da kamen böſe Stunden, mögen ſie Euch erſpart<lb/>
bleiben, der Kopf ward ſchwer, die Hände unruhig, am Schreibtiſch<lb/>
kein Bleiben, in der Kirche kein Knieen — fort! hieß es, nur fort<lb/>
und hinaus! Dem alten Thieto ſagt ich dereinſt, ich habe eine Ent-<lb/>
deckung gemacht. Was für eine? Daß es jenſeits unſerer Mauern<lb/>
friſche Luft gebe ... Da verſagten ſie mir den Ausgang, aber manche<lb/>
Nacht bin ich heimlich auf den Glockenthurm geſtiegen<notexml:id="ed111"next="#edt111"place="end"n="111)"/> und hab<lb/>
hinausgeſchaut und die Fledermäuſe beneidet, die in Tannenwald<lb/>
hinüber flogen ... Confrater, dagegen hilft kein Faſten und kein<lb/>
Beten, was im Menſchen ſteckt, muß heraus.</p><lb/><p>Der vorige Abt hat billige Einſicht genommen und mich auf<lb/>
Jahresfriſt hierher geſchickt, aber der Bruder Marcellus kam nimmer<lb/>
heim. Wie ich hier im Schweiß meines Angeſichtes den Tannbaum<lb/>
fällte und den Nachen zimmerte und den Strichvogel aus den Lüften<lb/>
herunterholte, da iſt mir ein Licht aufgegangen, was geſund ſein<lb/>
heißt — Fiſchfang und Waidwerk beizen die unnützen Mücken aus<lb/>
dem Kopf —ſo ſtehe ich ſeit dreißig Jahren der Zelle Radolfi vor,<lb/><hirendition="#aq">rusticitate quadam imbutus,</hi> einer gewiſſen Verbauerung ausgeſetzt,<lb/>
was verficht's? Ich bin gleich der Kropfgans in der Wüſte, gleich der<lb/>
Eule die in Trümmern niſtet, ſagt der Pſalmiſt, aber friſch und ſtark,<lb/>
und der alte Moengal gedenkt ſobald noch nicht ein ſtummer Mann zu<lb/>
werden und weiß, daß er wenigſtens vor einem Unglück ſicher ſein darf ...</p><lb/><p>Was meint Ihr für ein Unglück? frug Ekkehard.</p><lb/><p>Daß ihm Sanct Petrus dereinſt den himmliſchen Thorſchlüſſel vor<lb/>
die Stirn ſchlägt und ſpricht: hinaus mit dir, der du unnütz und<lb/>
eitel Philoſophie getrieben!</p><lb/><p>Ekkehard ließ ſich auf Moengal's Herzensergießungen nicht näher<lb/>
ein. Ihr habet wohl rauhen Dienſt in Sorge der Seelen, ſprach er,<lb/>
verſtockte Herzen, Heidenthum und Ketzerei ..</p><lb/></div></body></text></TEI>
[72/0094]
Aber viel Sitzen iſt ſchädlich dem Menſchen und viel Wiſſen macht
überflüſſige Arbeit. Manchen Abend hab ich gegrübelt wie ein Bohr-
wurm, und disputirt wie eine Elſter, Nichts war unergründlich: wo
das Haupt Johannis des Täufers begraben liege, und in welcher
Sprache die Schlange zu Adam geſprochen — Alles klar erörtert,
nur daran war ich nicht zu denken gerathen, daß der Menſch auch
Knochen und Fleiſch und Blut mit ſich in die Welt bekommen.
Hoiho, Confrater, da kamen böſe Stunden, mögen ſie Euch erſpart
bleiben, der Kopf ward ſchwer, die Hände unruhig, am Schreibtiſch
kein Bleiben, in der Kirche kein Knieen — fort! hieß es, nur fort
und hinaus! Dem alten Thieto ſagt ich dereinſt, ich habe eine Ent-
deckung gemacht. Was für eine? Daß es jenſeits unſerer Mauern
friſche Luft gebe ... Da verſagten ſie mir den Ausgang, aber manche
Nacht bin ich heimlich auf den Glockenthurm geſtiegen
¹¹¹⁾
und hab
hinausgeſchaut und die Fledermäuſe beneidet, die in Tannenwald
hinüber flogen ... Confrater, dagegen hilft kein Faſten und kein
Beten, was im Menſchen ſteckt, muß heraus.
Der vorige Abt hat billige Einſicht genommen und mich auf
Jahresfriſt hierher geſchickt, aber der Bruder Marcellus kam nimmer
heim. Wie ich hier im Schweiß meines Angeſichtes den Tannbaum
fällte und den Nachen zimmerte und den Strichvogel aus den Lüften
herunterholte, da iſt mir ein Licht aufgegangen, was geſund ſein
heißt — Fiſchfang und Waidwerk beizen die unnützen Mücken aus
dem Kopf — ſo ſtehe ich ſeit dreißig Jahren der Zelle Radolfi vor,
rusticitate quadam imbutus, einer gewiſſen Verbauerung ausgeſetzt,
was verficht's? Ich bin gleich der Kropfgans in der Wüſte, gleich der
Eule die in Trümmern niſtet, ſagt der Pſalmiſt, aber friſch und ſtark,
und der alte Moengal gedenkt ſobald noch nicht ein ſtummer Mann zu
werden und weiß, daß er wenigſtens vor einem Unglück ſicher ſein darf ...
Was meint Ihr für ein Unglück? frug Ekkehard.
Daß ihm Sanct Petrus dereinſt den himmliſchen Thorſchlüſſel vor
die Stirn ſchlägt und ſpricht: hinaus mit dir, der du unnütz und
eitel Philoſophie getrieben!
Ekkehard ließ ſich auf Moengal's Herzensergießungen nicht näher
ein. Ihr habet wohl rauhen Dienſt in Sorge der Seelen, ſprach er,
verſtockte Herzen, Heidenthum und Ketzerei ..
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/94>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.