Eigenstes bleibt Dritten meist unbeachtet, auch wenn's offen zu Tag liegt, in der Ueberlieferung schwindet's ganz. Als Ekkehard ins Kloster trat, war der Bruder Marcellus schon nach der verlassenen Zelle Radolf's als Pfarrherr abgegangen. Etliche zierlich geschriebene Urkunden, Cicero's Buch von den Pflichten, und ein lateinischer Pris- cianus mit irischer Schrift zwischen den Zeilen erhielten sein Andenken. Viel verehrt lebte sein Name noch an der innern Klosterschule, er war der tüchtigsten Lehrer einer gewesen, tadellos sein Wandel. Seither war er in Sanct Gallen verschollen. Darum hatte sich Ekkehard statt des Waidmanns im See einen ernsten, hagern, blassen Gelehrten erwartet.
Das Gestad von Radolf's Zelle war erreicht; eine dünne, nur auf einer Seite geprägte Silbermünze stellte den Fährmann zufrieden. 107) Sie gingen ans Land. Wenig Häuser und schmucklose Fischerhütten standen um das Grabkirchlein, das Radolf's Gebeine birgt.
Wir sind an Moengals Pfarrhaus, sprach der Alte, tretet ein. Ihr werdet hoffentlich dem Bischof zu Konstanz keinen Bericht von meinem Hauswesen erstatten, wie jener Decan von Rheinau, der behauptete, er habe bei mir Krüge und Trinkhörner von einer jedem Zeitalter verhaßten Größe erschauen müssen.108)
Sie traten in eine holzgetäfelte Halle. Hirschgeweih und Auer- ochsenhörner hingen über dem Eingang, Jagdspieße, Leimruthen, Fisch- garne lehnten in malerischer Unordnung an den Wänden, an das umgestürzte Fäßlein im Winkel schmiegte sich der Würfelbecher: wäre es nicht des Leutpriesters Behausung gewesen, so hätte füglich auch der Förster des kaiserlichen Bannwaldes hier wohnen können.
In Kurzem stund ein Krug säuerlichen Weines auf dem Eichentisch, auch Brod und Butter lieferte die Vorrathskammer. Dann kam der Leut- priester aus der Küche zurück, hielt sein Gewand wie eine gefüllte Schürze und schüttete einen Platzregen von geräucherten Gangfischen vor seinen Gast. Heu quod anseres fugasti, antvogelosque et horotumblum! Weh, daß du mir die Wildgänse verscheucht, und die Enten sammt der Rohrdommel!109) sprach er, aber wenn Einer nur die Wahl zwischen Gangfisch und gar Nichts hat, greift er immer noch zum erstern.
Glieder derselben Genossenschaft sind schnell befreundet. Ein leb- haft Gespräch erhob sich beim Imbiß. Aber der Alte hatte mehr zu
Eigenſtes bleibt Dritten meiſt unbeachtet, auch wenn's offen zu Tag liegt, in der Ueberlieferung ſchwindet's ganz. Als Ekkehard ins Kloſter trat, war der Bruder Marcellus ſchon nach der verlaſſenen Zelle Radolf's als Pfarrherr abgegangen. Etliche zierlich geſchriebene Urkunden, Cicero's Buch von den Pflichten, und ein lateiniſcher Pris- cianus mit iriſcher Schrift zwiſchen den Zeilen erhielten ſein Andenken. Viel verehrt lebte ſein Name noch an der innern Kloſterſchule, er war der tüchtigſten Lehrer einer geweſen, tadellos ſein Wandel. Seither war er in Sanct Gallen verſchollen. Darum hatte ſich Ekkehard ſtatt des Waidmanns im See einen ernſten, hagern, blaſſen Gelehrten erwartet.
Das Geſtad von Radolf's Zelle war erreicht; eine dünne, nur auf einer Seite geprägte Silbermünze ſtellte den Fährmann zufrieden. 107) Sie gingen ans Land. Wenig Häuſer und ſchmuckloſe Fiſcherhütten ſtanden um das Grabkirchlein, das Radolf's Gebeine birgt.
Wir ſind an Moengals Pfarrhaus, ſprach der Alte, tretet ein. Ihr werdet hoffentlich dem Biſchof zu Konſtanz keinen Bericht von meinem Hausweſen erſtatten, wie jener Decan von Rheinau, der behauptete, er habe bei mir Krüge und Trinkhörner von einer jedem Zeitalter verhaßten Größe erſchauen müſſen.108)
Sie traten in eine holzgetäfelte Halle. Hirſchgeweih und Auer- ochſenhörner hingen über dem Eingang, Jagdſpieße, Leimruthen, Fiſch- garne lehnten in maleriſcher Unordnung an den Wänden, an das umgeſtürzte Fäßlein im Winkel ſchmiegte ſich der Würfelbecher: wäre es nicht des Leutprieſters Behauſung geweſen, ſo hätte füglich auch der Förſter des kaiſerlichen Bannwaldes hier wohnen können.
In Kurzem ſtund ein Krug ſäuerlichen Weines auf dem Eichentiſch, auch Brod und Butter lieferte die Vorrathskammer. Dann kam der Leut- prieſter aus der Küche zurück, hielt ſein Gewand wie eine gefüllte Schürze und ſchüttete einen Platzregen von geräucherten Gangfiſchen vor ſeinen Gaſt. Heu quod anseres fugasti, antvogelosque et horotumblum! Weh, daß du mir die Wildgänſe verſcheucht, und die Enten ſammt der Rohrdommel!109) ſprach er, aber wenn Einer nur die Wahl zwiſchen Gangfiſch und gar Nichts hat, greift er immer noch zum erſtern.
Glieder derſelben Genoſſenſchaft ſind ſchnell befreundet. Ein leb- haft Geſpräch erhob ſich beim Imbiß. Aber der Alte hatte mehr zu
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Eigenſtes bleibt Dritten meiſt unbeachtet, auch wenn's offen zu Tag
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Kloſter trat, war der Bruder Marcellus ſchon nach der verlaſſenen
Zelle Radolf's als Pfarrherr abgegangen. Etliche zierlich geſchriebene
Urkunden, Cicero's Buch von den Pflichten, und ein lateiniſcher Pris-
cianus mit iriſcher Schrift zwiſchen den Zeilen erhielten ſein Andenken.
Viel verehrt lebte ſein Name noch an der innern Kloſterſchule, er war
der tüchtigſten Lehrer einer geweſen, tadellos ſein Wandel. Seither
war er in Sanct Gallen verſchollen. Darum hatte ſich Ekkehard ſtatt
des Waidmanns im See einen ernſten, hagern, blaſſen Gelehrten erwartet.
Das Geſtad von Radolf's Zelle war erreicht; eine dünne, nur auf
einer Seite geprägte Silbermünze ſtellte den Fährmann zufrieden.
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Sie gingen ans Land. Wenig Häuſer und ſchmuckloſe Fiſcherhütten
ſtanden um das Grabkirchlein, das Radolf's Gebeine birgt.
Wir ſind an Moengals Pfarrhaus, ſprach der Alte, tretet ein. Ihr
werdet hoffentlich dem Biſchof zu Konſtanz keinen Bericht von meinem
Hausweſen erſtatten, wie jener Decan von Rheinau, der behauptete,
er habe bei mir Krüge und Trinkhörner von einer jedem Zeitalter
verhaßten Größe erſchauen müſſen.
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Sie traten in eine holzgetäfelte Halle. Hirſchgeweih und Auer-
ochſenhörner hingen über dem Eingang, Jagdſpieße, Leimruthen, Fiſch-
garne lehnten in maleriſcher Unordnung an den Wänden, an das
umgeſtürzte Fäßlein im Winkel ſchmiegte ſich der Würfelbecher: wäre
es nicht des Leutprieſters Behauſung geweſen, ſo hätte füglich auch
der Förſter des kaiſerlichen Bannwaldes hier wohnen können.
In Kurzem ſtund ein Krug ſäuerlichen Weines auf dem Eichentiſch, auch
Brod und Butter lieferte die Vorrathskammer. Dann kam der Leut-
prieſter aus der Küche zurück, hielt ſein Gewand wie eine gefüllte
Schürze und ſchüttete einen Platzregen von geräucherten Gangfiſchen
vor ſeinen Gaſt. Heu quod anseres fugasti, antvogelosque et
horotumblum! Weh, daß du mir die Wildgänſe verſcheucht, und
die Enten ſammt der Rohrdommel!
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ſprach er, aber wenn Einer
nur die Wahl zwiſchen Gangfiſch und gar Nichts hat, greift er immer
noch zum erſtern.
Glieder derſelben Genoſſenſchaft ſind ſchnell befreundet. Ein leb-
haft Geſpräch erhob ſich beim Imbiß. Aber der Alte hatte mehr zu
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Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/92>, abgerufen am 27.11.2024.
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