Seid vernünftig, alter Freund, sprach Ekkehard und vergesset den Allmann. Ich will Euch ein gut Theil Eures Schillings geben, so Ihr mich übersetzet.
Was ich rede, sprach der Alte, soll sich nicht drehen lassen wie ein Ring am Finger. Ich fahre Keinen von euch. Mein Bub kann's thun, wenn er will.
Er pfiff durch die Finger, da kam sein Bub, ein hochstämmiger Ferge, der führte Ekkehard hinüber.
Wie sie das Schifflein angelegt, ging Ekkehard dem Kloster zu, das zwischen Obstbäumen und Rebhügeln versteckt in Mitten des Ei- landes aufgebaut steht. Es war die Zeit des Spätherbstes, Alt und Jung auf der Insel mit der Weinlese beschäftigt, da und dort hob sich die Capuze eines dienenden Bruders dunkel vom rothgelben Reb- laub ab. Auf der Hochwarte standen die Väter der Insel trupp- weise beisammen und ergötzten sich am Getrieb der traubensammelnden Leute; sie hatten unter Umtragung eines mächtigen Marmorgefäßes, das für einen Krug von der cananäischen Hochzeit galt, die Einseg- nung des neuen Weines95) abgehalten. Fröhlicher Zuruf und fernes Jauchzen klang aus den Rebbergen.
Unbemerkt kam Ekkehard zum Kloster, auf wenig Schritte war er ihm genaht, da erst ragte der schwerfällige Thurm mit seinen Vor- hallen, deren Rundbogen abwechselnd mit grauen und rothen Sand- steinquadern geschmückt sind, vor ihm auf.
Im Klosterhof Alles stumm und still. Ein großer Hund wedelte am fremden Gast hinauf ohne Laut zu geben, er bellte keine Kutte an; die Einwohner allesammt hatte der linde Herbsttag hinausgelockt.96)
Da trat Ekkehard in die gewölbte Fremdenstube am Eingang. Auch des Pförtners Gelaß neben an war leer. Offene Fässer stan- den ausgepflanzt, manche schon mit süßem Moste gefüllt. Hinter ihnen war ein steinern Bänklein an der Wand; Ekkehard war frisch aus- geschritten und die Seeluft hatte ihm zehrend ums Haupt geweht, da kam ein Zug des Schlummers mächtig über ihn, er lehnte den Wanderstab an den Arm, streckte sich ein weniges und nickte ein.
Derweil zog sich's mit langsamem Schritt in die kühle Stube, das war der ehrenwerthe Bruder Rudimann, des Klosters Kellermei- ster. Er trug ein steinern Krüglein in der Rechten und ging seines
Seid vernünftig, alter Freund, ſprach Ekkehard und vergeſſet den Allmann. Ich will Euch ein gut Theil Eures Schillings geben, ſo Ihr mich überſetzet.
Was ich rede, ſprach der Alte, ſoll ſich nicht drehen laſſen wie ein Ring am Finger. Ich fahre Keinen von euch. Mein Bub kann's thun, wenn er will.
Er pfiff durch die Finger, da kam ſein Bub, ein hochſtämmiger Ferge, der führte Ekkehard hinüber.
Wie ſie das Schifflein angelegt, ging Ekkehard dem Kloſter zu, das zwiſchen Obſtbäumen und Rebhügeln verſteckt in Mitten des Ei- landes aufgebaut ſteht. Es war die Zeit des Spätherbſtes, Alt und Jung auf der Inſel mit der Weinleſe beſchäftigt, da und dort hob ſich die Capuze eines dienenden Bruders dunkel vom rothgelben Reb- laub ab. Auf der Hochwarte ſtanden die Väter der Inſel trupp- weiſe beiſammen und ergötzten ſich am Getrieb der traubenſammelnden Leute; ſie hatten unter Umtragung eines mächtigen Marmorgefäßes, das für einen Krug von der cananäiſchen Hochzeit galt, die Einſeg- nung des neuen Weines95) abgehalten. Fröhlicher Zuruf und fernes Jauchzen klang aus den Rebbergen.
Unbemerkt kam Ekkehard zum Kloſter, auf wenig Schritte war er ihm genaht, da erſt ragte der ſchwerfällige Thurm mit ſeinen Vor- hallen, deren Rundbogen abwechſelnd mit grauen und rothen Sand- ſteinquadern geſchmückt ſind, vor ihm auf.
Im Kloſterhof Alles ſtumm und ſtill. Ein großer Hund wedelte am fremden Gaſt hinauf ohne Laut zu geben, er bellte keine Kutte an; die Einwohner alleſammt hatte der linde Herbſttag hinausgelockt.96)
Da trat Ekkehard in die gewölbte Fremdenſtube am Eingang. Auch des Pförtners Gelaß neben an war leer. Offene Fäſſer ſtan- den ausgepflanzt, manche ſchon mit ſüßem Moſte gefüllt. Hinter ihnen war ein ſteinern Bänklein an der Wand; Ekkehard war friſch aus- geſchritten und die Seeluft hatte ihm zehrend ums Haupt geweht, da kam ein Zug des Schlummers mächtig über ihn, er lehnte den Wanderſtab an den Arm, ſtreckte ſich ein weniges und nickte ein.
Derweil zog ſich's mit langſamem Schritt in die kühle Stube, das war der ehrenwerthe Bruder Rudimann, des Kloſters Kellermei- ſter. Er trug ein ſteinern Krüglein in der Rechten und ging ſeines
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Seid vernünftig, alter Freund, ſprach Ekkehard und vergeſſet den
Allmann. Ich will Euch ein gut Theil Eures Schillings geben, ſo
Ihr mich überſetzet.
Was ich rede, ſprach der Alte, ſoll ſich nicht drehen laſſen wie
ein Ring am Finger. Ich fahre Keinen von euch. Mein Bub kann's
thun, wenn er will.
Er pfiff durch die Finger, da kam ſein Bub, ein hochſtämmiger
Ferge, der führte Ekkehard hinüber.
Wie ſie das Schifflein angelegt, ging Ekkehard dem Kloſter zu,
das zwiſchen Obſtbäumen und Rebhügeln verſteckt in Mitten des Ei-
landes aufgebaut ſteht. Es war die Zeit des Spätherbſtes, Alt und
Jung auf der Inſel mit der Weinleſe beſchäftigt, da und dort hob
ſich die Capuze eines dienenden Bruders dunkel vom rothgelben Reb-
laub ab. Auf der Hochwarte ſtanden die Väter der Inſel trupp-
weiſe beiſammen und ergötzten ſich am Getrieb der traubenſammelnden
Leute; ſie hatten unter Umtragung eines mächtigen Marmorgefäßes,
das für einen Krug von der cananäiſchen Hochzeit galt, die Einſeg-
nung des neuen Weines
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abgehalten. Fröhlicher Zuruf und fernes
Jauchzen klang aus den Rebbergen.
Unbemerkt kam Ekkehard zum Kloſter, auf wenig Schritte war
er ihm genaht, da erſt ragte der ſchwerfällige Thurm mit ſeinen Vor-
hallen, deren Rundbogen abwechſelnd mit grauen und rothen Sand-
ſteinquadern geſchmückt ſind, vor ihm auf.
Im Kloſterhof Alles ſtumm und ſtill. Ein großer Hund wedelte
am fremden Gaſt hinauf ohne Laut zu geben, er bellte keine Kutte
an; die Einwohner alleſammt hatte der linde Herbſttag hinausgelockt.
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Da trat Ekkehard in die gewölbte Fremdenſtube am Eingang.
Auch des Pförtners Gelaß neben an war leer. Offene Fäſſer ſtan-
den ausgepflanzt, manche ſchon mit ſüßem Moſte gefüllt. Hinter ihnen
war ein ſteinern Bänklein an der Wand; Ekkehard war friſch aus-
geſchritten und die Seeluft hatte ihm zehrend ums Haupt geweht, da
kam ein Zug des Schlummers mächtig über ihn, er lehnte den
Wanderſtab an den Arm, ſtreckte ſich ein weniges und nickte ein.
Derweil zog ſich's mit langſamem Schritt in die kühle Stube,
das war der ehrenwerthe Bruder Rudimann, des Kloſters Kellermei-
ſter. Er trug ein ſteinern Krüglein in der Rechten und ging ſeines
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Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/84>, abgerufen am 23.11.2024.
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