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Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855.

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Hinunter, -- und morgen fort, in's Weite. Gebt mir Eure
Hand, ich komme auf den hohen Twiel.

Schlimm, sprach der Blinde, sehr schlimm!

Warum, Vater Thieto?

Frauendienst ist ein schlimm Ding für den, der gerecht bleiben
will, Hofdienst noch schlimmer -- was ist Frauen- und Hofdienst
zugleich?

Es ist mein Schicksal, sprach Ekkehard.

Sanct Gallus behüte und schirme Euch, sagte Thieto. Ich will
für Euch beten. Gebt mir meinen Stab.

Ekkehard wollte ihm seinen Arm bieten, den lehnte er ab; er erhob
sich und schritt zu einer Nische in der Wand, dort stund ein schmuck-
los Fläschlein. Er nahm's herab und gab's ihm:

'S ist Wasser aus dem Jordan, das ich selber einst geschöpft.
Wenn Euch der Staub der Welt überflogen hat und Eure Augen
trüb werden wollen, so läutert Euch damit. Meinen hilft's nicht
mehr. Fahret wohl!

Am Abend desselben Tages ging Ekkehard auf den Berg, an den
sich das Kloster anlehnt. Seit langer Zeit war das sein Lieblings-
gang. In den Fischweihern, die dort zu Spendung klösterlicher Fasten-
speise künstlich angelegt sind, spiegelten sich die Tannen; ein leiser
Luftzug kräuselte die Wellen, die Fische tummelten sich. Lächelnd ging
er vorüber: Wann werd' ich wohl wieder einen von euch verzehren?

Im Tannwald oben auf dem Freudenberg war's feierlich still. Da
hielt er an. Ein weites Rundbild that sich auf.

Zu Füßen lag das Kloster mit all seinen Gebäuden und Ring-
mauern; hier sprang der wohlbekannte Springquell im Hofe, dort
blühten die Herbstblumen im Garten -- dort in langer Reihe die
Fenster der Klosterzellen, er kannte jedwede und sah auch die seinige:
"Behüt dich Gott, stilles Gelaß!"

Der Ort, wo Tage strebsamer Jugend verlebt wurden, wirkt wie
Magnetstein auf's Herz; es braucht so wenig, um angezogen zu sein,
nur der ist arm, dem das große Treiben der Welt nicht Zeit ver-
gönnt, sich örtlich und geistig an einem stillen Platz nieder zu lassen.

Ekkehard hob sein Auge. Hoch aus der Ferne, wie reiche Zukunft,
glänzte des Bodensee's Spiegel herüber, in verschwommenen Duft war

Hinunter, — und morgen fort, in's Weite. Gebt mir Eure
Hand, ich komme auf den hohen Twiel.

Schlimm, ſprach der Blinde, ſehr ſchlimm!

Warum, Vater Thieto?

Frauendienſt iſt ein ſchlimm Ding für den, der gerecht bleiben
will, Hofdienſt noch ſchlimmer — was iſt Frauen- und Hofdienſt
zugleich?

Es iſt mein Schickſal, ſprach Ekkehard.

Sanct Gallus behüte und ſchirme Euch, ſagte Thieto. Ich will
für Euch beten. Gebt mir meinen Stab.

Ekkehard wollte ihm ſeinen Arm bieten, den lehnte er ab; er erhob
ſich und ſchritt zu einer Niſche in der Wand, dort ſtund ein ſchmuck-
los Fläſchlein. Er nahm's herab und gab's ihm:

'S iſt Waſſer aus dem Jordan, das ich ſelber einſt geſchöpft.
Wenn Euch der Staub der Welt überflogen hat und Eure Augen
trüb werden wollen, ſo läutert Euch damit. Meinen hilft's nicht
mehr. Fahret wohl!

Am Abend deſſelben Tages ging Ekkehard auf den Berg, an den
ſich das Kloſter anlehnt. Seit langer Zeit war das ſein Lieblings-
gang. In den Fiſchweihern, die dort zu Spendung klöſterlicher Faſten-
ſpeiſe künſtlich angelegt ſind, ſpiegelten ſich die Tannen; ein leiſer
Luftzug kräuſelte die Wellen, die Fiſche tummelten ſich. Lächelnd ging
er vorüber: Wann werd' ich wohl wieder einen von euch verzehren?

Im Tannwald oben auf dem Freudenberg war's feierlich ſtill. Da
hielt er an. Ein weites Rundbild that ſich auf.

Zu Füßen lag das Kloſter mit all ſeinen Gebäuden und Ring-
mauern; hier ſprang der wohlbekannte Springquell im Hofe, dort
blühten die Herbſtblumen im Garten — dort in langer Reihe die
Fenſter der Kloſterzellen, er kannte jedwede und ſah auch die ſeinige:
„Behüt dich Gott, ſtilles Gelaß!“

Der Ort, wo Tage ſtrebſamer Jugend verlebt wurden, wirkt wie
Magnetſtein auf's Herz; es braucht ſo wenig, um angezogen zu ſein,
nur der iſt arm, dem das große Treiben der Welt nicht Zeit ver-
gönnt, ſich örtlich und geiſtig an einem ſtillen Platz nieder zu laſſen.

Ekkehard hob ſein Auge. Hoch aus der Ferne, wie reiche Zukunft,
glänzte des Bodenſee's Spiegel herüber, in verſchwommenen Duft war

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[57/0079] Hinunter, — und morgen fort, in's Weite. Gebt mir Eure Hand, ich komme auf den hohen Twiel. Schlimm, ſprach der Blinde, ſehr ſchlimm! Warum, Vater Thieto? Frauendienſt iſt ein ſchlimm Ding für den, der gerecht bleiben will, Hofdienſt noch ſchlimmer — was iſt Frauen- und Hofdienſt zugleich? Es iſt mein Schickſal, ſprach Ekkehard. Sanct Gallus behüte und ſchirme Euch, ſagte Thieto. Ich will für Euch beten. Gebt mir meinen Stab. Ekkehard wollte ihm ſeinen Arm bieten, den lehnte er ab; er erhob ſich und ſchritt zu einer Niſche in der Wand, dort ſtund ein ſchmuck- los Fläſchlein. Er nahm's herab und gab's ihm: 'S iſt Waſſer aus dem Jordan, das ich ſelber einſt geſchöpft. Wenn Euch der Staub der Welt überflogen hat und Eure Augen trüb werden wollen, ſo läutert Euch damit. Meinen hilft's nicht mehr. Fahret wohl! Am Abend deſſelben Tages ging Ekkehard auf den Berg, an den ſich das Kloſter anlehnt. Seit langer Zeit war das ſein Lieblings- gang. In den Fiſchweihern, die dort zu Spendung klöſterlicher Faſten- ſpeiſe künſtlich angelegt ſind, ſpiegelten ſich die Tannen; ein leiſer Luftzug kräuſelte die Wellen, die Fiſche tummelten ſich. Lächelnd ging er vorüber: Wann werd' ich wohl wieder einen von euch verzehren? Im Tannwald oben auf dem Freudenberg war's feierlich ſtill. Da hielt er an. Ein weites Rundbild that ſich auf. Zu Füßen lag das Kloſter mit all ſeinen Gebäuden und Ring- mauern; hier ſprang der wohlbekannte Springquell im Hofe, dort blühten die Herbſtblumen im Garten — dort in langer Reihe die Fenſter der Kloſterzellen, er kannte jedwede und ſah auch die ſeinige: „Behüt dich Gott, ſtilles Gelaß!“ Der Ort, wo Tage ſtrebſamer Jugend verlebt wurden, wirkt wie Magnetſtein auf's Herz; es braucht ſo wenig, um angezogen zu ſein, nur der iſt arm, dem das große Treiben der Welt nicht Zeit ver- gönnt, ſich örtlich und geiſtig an einem ſtillen Platz nieder zu laſſen. Ekkehard hob ſein Auge. Hoch aus der Ferne, wie reiche Zukunft, glänzte des Bodenſee's Spiegel herüber, in verſchwommenen Duft war

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Zitationshilfe: Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/79>, abgerufen am 27.11.2024.