Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855.141)
Knochen stückweis herabfallen. Würden die Bewohner des Hauses den todten Hund wegzuschaffen oder durch eine andere Thüre einzugehen versuchen, so sollen sie auch des bereits empfangenen halben Wehrgelds verlustig gehen und jeden weitern Anspruch verlieren." Dieser aus hohem Alterthum stammenden Verfügung liegt das Motiv zu Grund, den Verwandten, die den vom Eigenthümer des Thiers nicht verschul- deten Todesfall allzu geldgierig auszubeuten suchen, eine gewisse Schmach anzuhängen und sie dadurch abzuhalten, die äußerste, nach dem damaligen Strafgesetz allerdings formell zustehende Entschädigung zu beanspruchen. Aehnliches kennt das altnordische Recht. s. Grimm Rechtsalterthümer p.665. 142) Die Heilkunde unserer Tage wendet diese und ähnliche Mittel nicht mehr an. Sie beruhten zum Theil auf der Ansicht, daß die Krankheiten dem Einfluß der Dämonen zuzuschreiben. Vieles übrigens, was in jener Zeit officiell verordnet wurde, findet sich im Kreis der s. g. sympathetischen Mittel noch vor, die in ununterbrochener Ueber- lieferung von den Bauersmännern, Schäfern und Schmieden, die heutzutag noch trotzig daran glauben, bis in fernes Heidenthum hinauf reichen. Daß eine ähnliche Kur, wie die zuletzt erwähnte, von gutem Erfolg begleitet war, meldet der fränkische Geschichtschreiber Gregor von Tours in seiner Schrift über die Wunder des heiligen Martinus aus eigener Erfahrung. "Im zweiten Monat nach seiner Ordination als Bischof erkrankte er an der Ruhr so heftig, daß man an seinem Leben verzweifelte. Da alle Arzneien fruchtlos geblieben waren, ließ er sich Staub vom Grabe des Heiligen bringen, nahm ihn in einem Trank um die dritte Tagesstunde und wurde davon auf der Stelle so geheilt, daß er um die sechste zur Mahlzeit ging." Löbell, Gregor von Tours und seine Zeit p. 277. Manches Interessante in Betreff ehemaliger Heilkunde würde wohl ein sachverständiger Arzt in dem tractatus insignis medicinalis der sanctgallischen Handschrift 105 vorfinden. 143) .. nihil fame improbrius et sacrius! 144) Wenigstens zählt noch G. Schwab in seinem Werk über den Bodensee unter "den Merkwürdigkeiten von Sipplingen" sub Nro. 3 141)
Knochen ſtückweis herabfallen. Würden die Bewohner des Hauſes den todten Hund wegzuſchaffen oder durch eine andere Thüre einzugehen verſuchen, ſo ſollen ſie auch des bereits empfangenen halben Wehrgelds verluſtig gehen und jeden weitern Anſpruch verlieren.“ Dieſer aus hohem Alterthum ſtammenden Verfügung liegt das Motiv zu Grund, den Verwandten, die den vom Eigenthümer des Thiers nicht verſchul- deten Todesfall allzu geldgierig auszubeuten ſuchen, eine gewiſſe Schmach anzuhängen und ſie dadurch abzuhalten, die äußerſte, nach dem damaligen Strafgeſetz allerdings formell zuſtehende Entſchädigung zu beanſpruchen. Aehnliches kennt das altnordiſche Recht. ſ. Grimm Rechtsalterthümer p.665. 142) Die Heilkunde unſerer Tage wendet dieſe und ähnliche Mittel nicht mehr an. Sie beruhten zum Theil auf der Anſicht, daß die Krankheiten dem Einfluß der Dämonen zuzuſchreiben. Vieles übrigens, was in jener Zeit officiell verordnet wurde, findet ſich im Kreis der ſ. g. ſympathetiſchen Mittel noch vor, die in ununterbrochener Ueber- lieferung von den Bauersmännern, Schäfern und Schmieden, die heutzutag noch trotzig daran glauben, bis in fernes Heidenthum hinauf reichen. Daß eine ähnliche Kur, wie die zuletzt erwähnte, von gutem Erfolg begleitet war, meldet der fränkiſche Geſchichtſchreiber Gregor von Tours in ſeiner Schrift über die Wunder des heiligen Martinus aus eigener Erfahrung. „Im zweiten Monat nach ſeiner Ordination als Biſchof erkrankte er an der Ruhr ſo heftig, daß man an ſeinem Leben verzweifelte. Da alle Arzneien fruchtlos geblieben waren, ließ er ſich Staub vom Grabe des Heiligen bringen, nahm ihn in einem Trank um die dritte Tagesſtunde und wurde davon auf der Stelle ſo geheilt, daß er um die ſechste zur Mahlzeit ging.“ Löbell, Gregor von Tours und ſeine Zeit p. 277. Manches Intereſſante in Betreff ehemaliger Heilkunde würde wohl ein ſachverſtändiger Arzt in dem tractatus insignis medicinalis der ſanctgalliſchen Handſchrift 105 vorfinden. 143) .. nihil fame improbrius et sacrius! 144) Wenigſtens zählt noch G. Schwab in ſeinem Werk über den Bodenſee unter „den Merkwürdigkeiten von Sipplingen“ sub Nro. 3 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <note xml:id="edt141" prev="#ed141" place="end" n="141)"> <p><pb facs="#f0461" n="439"/> Knochen ſtückweis herabfallen. Würden die Bewohner des Hauſes den<lb/> todten Hund wegzuſchaffen oder durch eine andere Thüre einzugehen<lb/> verſuchen, ſo ſollen ſie auch des bereits empfangenen halben Wehrgelds<lb/> verluſtig gehen und jeden weitern Anſpruch verlieren.“ Dieſer aus<lb/> hohem Alterthum ſtammenden Verfügung liegt das Motiv zu Grund,<lb/> den Verwandten, die den vom Eigenthümer des Thiers nicht verſchul-<lb/> deten Todesfall allzu geldgierig auszubeuten ſuchen, eine gewiſſe<lb/> Schmach anzuhängen und ſie dadurch abzuhalten, die äußerſte, nach<lb/> dem damaligen Strafgeſetz allerdings formell zuſtehende Entſchädigung<lb/> zu beanſpruchen. Aehnliches kennt das altnordiſche Recht. ſ. Grimm<lb/> Rechtsalterthümer <hi rendition="#aq">p.665.</hi></p> </note><lb/> <note xml:id="edt142" prev="#ed142" place="end" n="142)"> <p>Die Heilkunde unſerer Tage wendet dieſe und ähnliche Mittel<lb/> nicht mehr an. Sie beruhten zum Theil auf der Anſicht, daß die<lb/> Krankheiten dem Einfluß der Dämonen zuzuſchreiben. Vieles übrigens,<lb/> was in jener Zeit officiell verordnet wurde, findet ſich im Kreis der<lb/> ſ. g. ſympathetiſchen Mittel noch vor, die in ununterbrochener Ueber-<lb/> lieferung von den Bauersmännern, Schäfern und Schmieden, die<lb/> heutzutag noch trotzig daran glauben, bis in fernes Heidenthum hinauf<lb/> reichen. Daß eine ähnliche Kur, wie die zuletzt erwähnte, von gutem<lb/> Erfolg begleitet war, meldet der fränkiſche Geſchichtſchreiber Gregor<lb/> von Tours in ſeiner Schrift über die Wunder des heiligen Martinus<lb/> aus eigener Erfahrung. „Im zweiten Monat nach ſeiner Ordination<lb/> als Biſchof erkrankte er an der Ruhr ſo heftig, daß man an ſeinem<lb/> Leben verzweifelte. Da alle Arzneien fruchtlos geblieben waren, ließ<lb/> er ſich Staub vom Grabe des Heiligen bringen, nahm ihn in einem<lb/> Trank um die dritte Tagesſtunde und wurde davon auf der Stelle<lb/> ſo geheilt, daß er um die ſechste zur Mahlzeit ging.“ Löbell, Gregor<lb/> von Tours und ſeine Zeit <hi rendition="#aq">p. 277.</hi></p><lb/> <p>Manches Intereſſante in Betreff ehemaliger Heilkunde würde wohl<lb/> ein ſachverſtändiger Arzt in dem <hi rendition="#aq">tractatus insignis medicinalis</hi> der<lb/> ſanctgalliſchen Handſchrift 105 vorfinden.</p> </note><lb/> <note xml:id="edt143" prev="#ed143" place="end" n="143)"> <hi rendition="#aq">.. nihil fame improbrius et sacrius!</hi> </note><lb/> <note xml:id="edt144" prev="#ed144" place="end" n="144)">Wenigſtens zählt noch G. Schwab in ſeinem Werk über den<lb/> Bodenſee unter „den Merkwürdigkeiten von Sipplingen“ <hi rendition="#aq">sub</hi> Nro. 3<lb/></note> </div> </body> </text> </TEI> [439/0461]
¹⁴¹⁾ Knochen ſtückweis herabfallen. Würden die Bewohner des Hauſes den
todten Hund wegzuſchaffen oder durch eine andere Thüre einzugehen
verſuchen, ſo ſollen ſie auch des bereits empfangenen halben Wehrgelds
verluſtig gehen und jeden weitern Anſpruch verlieren.“ Dieſer aus
hohem Alterthum ſtammenden Verfügung liegt das Motiv zu Grund,
den Verwandten, die den vom Eigenthümer des Thiers nicht verſchul-
deten Todesfall allzu geldgierig auszubeuten ſuchen, eine gewiſſe
Schmach anzuhängen und ſie dadurch abzuhalten, die äußerſte, nach
dem damaligen Strafgeſetz allerdings formell zuſtehende Entſchädigung
zu beanſpruchen. Aehnliches kennt das altnordiſche Recht. ſ. Grimm
Rechtsalterthümer p.665.
¹⁴²⁾ Die Heilkunde unſerer Tage wendet dieſe und ähnliche Mittel
nicht mehr an. Sie beruhten zum Theil auf der Anſicht, daß die
Krankheiten dem Einfluß der Dämonen zuzuſchreiben. Vieles übrigens,
was in jener Zeit officiell verordnet wurde, findet ſich im Kreis der
ſ. g. ſympathetiſchen Mittel noch vor, die in ununterbrochener Ueber-
lieferung von den Bauersmännern, Schäfern und Schmieden, die
heutzutag noch trotzig daran glauben, bis in fernes Heidenthum hinauf
reichen. Daß eine ähnliche Kur, wie die zuletzt erwähnte, von gutem
Erfolg begleitet war, meldet der fränkiſche Geſchichtſchreiber Gregor
von Tours in ſeiner Schrift über die Wunder des heiligen Martinus
aus eigener Erfahrung. „Im zweiten Monat nach ſeiner Ordination
als Biſchof erkrankte er an der Ruhr ſo heftig, daß man an ſeinem
Leben verzweifelte. Da alle Arzneien fruchtlos geblieben waren, ließ
er ſich Staub vom Grabe des Heiligen bringen, nahm ihn in einem
Trank um die dritte Tagesſtunde und wurde davon auf der Stelle
ſo geheilt, daß er um die ſechste zur Mahlzeit ging.“ Löbell, Gregor
von Tours und ſeine Zeit p. 277.
Manches Intereſſante in Betreff ehemaliger Heilkunde würde wohl
ein ſachverſtändiger Arzt in dem tractatus insignis medicinalis der
ſanctgalliſchen Handſchrift 105 vorfinden.
¹⁴³⁾ .. nihil fame improbrius et sacrius!
¹⁴⁴⁾ Wenigſtens zählt noch G. Schwab in ſeinem Werk über den
Bodenſee unter „den Merkwürdigkeiten von Sipplingen“ sub Nro. 3
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