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Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855.

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ihren Reigen anführen wie ein cynthischer Apollo.282) Und wie Herr
Spazzo kopfschüttelnd erwiederte: was geht das mich an? da sprach
der Abt: es ist Euer Ekkehard, aus der Klosterschule von Sanct
Gallen hat's die Fama zu uns getragen. Herr Spazzo hat lachend
dazu gesagt: wie kann der singen, der nicht einmal erzählen kann?

Die Herzogin war aufgestanden. Schweig! sprach sie, ich will nichts
davon wissen. Praxedis kannte das Zeichen ihrer Hand und ging be-
trübt von dannen.

Frau Hadwig's Herz aber dachte anders als ihre Zunge sprach.
Sie trat an des Gärtleins Mauerwehr und schaute hinüber nach den
helvetischen Bergen. Dämmerung war eingebrochen, schwerfällige lange
stahlgraue Wolkenstreifen standen unbeweglich über dem Abendroth,
wie darauf genagelt, das zitterte und flammte wehmüthig drunter vor.
Im Rinnen und Zerrinnen des letzten Tagesstrahls ward auch ihr
Denken weich. Ihr Auge blieb drüben auf dem Säntis haften, --
es war ihr als hätte sie eine Erscheinung, als thäte sich der Himmel
auf und seine Engel kämen durch die Lüfte gefahren und senkten sich
hernieder zu jenen Höhen und brächten einen Mann getragen im
wohlbekannten Mönchsgewand -- und der Mann war blaß und tod
und ein Lichtglanz, schön und lauter, umschwebte das luftige Geleit ...

Aber Ekkehard war nicht gestorben.

Ein zischender leiser Ton schreckte die Herzogin auf, ihr Auge
streifte an dem Felsabhang vorüber, über den einst der Gefangene
entronnen, eine dunkle Gestalt entschwand im Schatten, ein Pfeil kam
über Frau Hadwig's Haupt geflogen und sank langsam zu ihren Füßen
nieder.

Sie hob das wundersame Geschoß auf. Nicht Feindeshand hatte
es dem Bogen entschnellt, feine Blätter Pergamentes waren um den
Schaft gewunden, die Spitze umhüllt mit einem Kränzlein von Wie-
senblumen. Sie löste die Blätter und kannte die Schrift.

Es war das Waltarilied. Auf dem ersten Blatt stund mit blaß-
rothen Buchstaben geschrieben: Der Herzogin von Schwaben ein
Abschiedsgruß
! und dabei stund der Spruch des Apostel Jacobus:
Selig der Mann, der die Prüfung bestanden!

Da neigte die stolze Frau ihr Haupt und weinte bitterlich. --



ihren Reigen anführen wie ein cynthiſcher Apollo.282) Und wie Herr
Spazzo kopfſchüttelnd erwiederte: was geht das mich an? da ſprach
der Abt: es iſt Euer Ekkehard, aus der Kloſterſchule von Sanct
Gallen hat's die Fama zu uns getragen. Herr Spazzo hat lachend
dazu geſagt: wie kann der ſingen, der nicht einmal erzählen kann?

Die Herzogin war aufgeſtanden. Schweig! ſprach ſie, ich will nichts
davon wiſſen. Praxedis kannte das Zeichen ihrer Hand und ging be-
trübt von dannen.

Frau Hadwig's Herz aber dachte anders als ihre Zunge ſprach.
Sie trat an des Gärtleins Mauerwehr und ſchaute hinüber nach den
helvetiſchen Bergen. Dämmerung war eingebrochen, ſchwerfällige lange
ſtahlgraue Wolkenſtreifen ſtanden unbeweglich über dem Abendroth,
wie darauf genagelt, das zitterte und flammte wehmüthig drunter vor.
Im Rinnen und Zerrinnen des letzten Tagesſtrahls ward auch ihr
Denken weich. Ihr Auge blieb drüben auf dem Säntis haften, —
es war ihr als hätte ſie eine Erſcheinung, als thäte ſich der Himmel
auf und ſeine Engel kämen durch die Lüfte gefahren und ſenkten ſich
hernieder zu jenen Höhen und brächten einen Mann getragen im
wohlbekannten Mönchsgewand — und der Mann war blaß und tod
und ein Lichtglanz, ſchön und lauter, umſchwebte das luftige Geleit ...

Aber Ekkehard war nicht geſtorben.

Ein ziſchender leiſer Ton ſchreckte die Herzogin auf, ihr Auge
ſtreifte an dem Felsabhang vorüber, über den einſt der Gefangene
entronnen, eine dunkle Geſtalt entſchwand im Schatten, ein Pfeil kam
über Frau Hadwig's Haupt geflogen und ſank langſam zu ihren Füßen
nieder.

Sie hob das wunderſame Geſchoß auf. Nicht Feindeshand hatte
es dem Bogen entſchnellt, feine Blätter Pergamentes waren um den
Schaft gewunden, die Spitze umhüllt mit einem Kränzlein von Wie-
ſenblumen. Sie löste die Blätter und kannte die Schrift.

Es war das Waltarilied. Auf dem erſten Blatt ſtund mit blaß-
rothen Buchſtaben geſchrieben: Der Herzogin von Schwaben ein
Abſchiedsgruß
! und dabei ſtund der Spruch des Apoſtel Jacobus:
Selig der Mann, der die Prüfung beſtanden!

Da neigte die ſtolze Frau ihr Haupt und weinte bitterlich. —



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[407/0429] ihren Reigen anführen wie ein cynthiſcher Apollo. ²⁸²⁾ Und wie Herr Spazzo kopfſchüttelnd erwiederte: was geht das mich an? da ſprach der Abt: es iſt Euer Ekkehard, aus der Kloſterſchule von Sanct Gallen hat's die Fama zu uns getragen. Herr Spazzo hat lachend dazu geſagt: wie kann der ſingen, der nicht einmal erzählen kann? Die Herzogin war aufgeſtanden. Schweig! ſprach ſie, ich will nichts davon wiſſen. Praxedis kannte das Zeichen ihrer Hand und ging be- trübt von dannen. Frau Hadwig's Herz aber dachte anders als ihre Zunge ſprach. Sie trat an des Gärtleins Mauerwehr und ſchaute hinüber nach den helvetiſchen Bergen. Dämmerung war eingebrochen, ſchwerfällige lange ſtahlgraue Wolkenſtreifen ſtanden unbeweglich über dem Abendroth, wie darauf genagelt, das zitterte und flammte wehmüthig drunter vor. Im Rinnen und Zerrinnen des letzten Tagesſtrahls ward auch ihr Denken weich. Ihr Auge blieb drüben auf dem Säntis haften, — es war ihr als hätte ſie eine Erſcheinung, als thäte ſich der Himmel auf und ſeine Engel kämen durch die Lüfte gefahren und ſenkten ſich hernieder zu jenen Höhen und brächten einen Mann getragen im wohlbekannten Mönchsgewand — und der Mann war blaß und tod und ein Lichtglanz, ſchön und lauter, umſchwebte das luftige Geleit ... Aber Ekkehard war nicht geſtorben. Ein ziſchender leiſer Ton ſchreckte die Herzogin auf, ihr Auge ſtreifte an dem Felsabhang vorüber, über den einſt der Gefangene entronnen, eine dunkle Geſtalt entſchwand im Schatten, ein Pfeil kam über Frau Hadwig's Haupt geflogen und ſank langſam zu ihren Füßen nieder. Sie hob das wunderſame Geſchoß auf. Nicht Feindeshand hatte es dem Bogen entſchnellt, feine Blätter Pergamentes waren um den Schaft gewunden, die Spitze umhüllt mit einem Kränzlein von Wie- ſenblumen. Sie löste die Blätter und kannte die Schrift. Es war das Waltarilied. Auf dem erſten Blatt ſtund mit blaß- rothen Buchſtaben geſchrieben: Der Herzogin von Schwaben ein Abſchiedsgruß! und dabei ſtund der Spruch des Apoſtel Jacobus: Selig der Mann, der die Prüfung beſtanden! Da neigte die ſtolze Frau ihr Haupt und weinte bitterlich. —

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




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Zitationshilfe: Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 407. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/429>, abgerufen am 22.11.2024.