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Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855.

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Ekkehard hatte sich auf eine Anrede besonnen und gedachte mit
Anwendung tadellosen Lateins die sonderbare Freiheit zu rechtfertigen,
aber wie sie stolz und gebietend vor ihm stand, versagte ihm die Stimme
und die Rede blieb, wo sie entstanden -- in seinen Gedanken. Aber
er war unverzagten Muthes und umfaßte mit starkem Arm die Her-
zogin, die schmiegte sich vergnüglich an ihren Träger, und lehnte den
rechten Arm auf seine Schulter. Fröhlich schritt er unter seiner Bürde
über die Schwelle, die kein Frauenfuß berühren durfte, der Abt ihm
zur Seite, Kämmerer und Dienstmannen folgten, hoch schwangen die
dienenden Knaben ihre Weihrauchfässer, und die Mönche wandelten in
gedoppelter Reihe, wie sie gekommen, hinterdrein, die letzten Strophen
ihres Loblieds singend.

Es war ein wundersam Bild, wie es vor und nachmals in des
Klosters Geschichte nicht wieder vorkam, und ließen sich von Freunden
unnützer Worte an den Mönch, der die Herzogin trug, ersprieß-
liche Bemerkungen anknüpfen über das Verhältniß der Kirche zum
Staat in damaligen Zeiten und dessen Aenderung in der Gegen-
wart ...

Die Naturverständigen sagen, daß durch Annäherung belebender
Körper unsichtbar wirkende Kräfte thätig werden, ausströmen, in ein-
ander übergehen und seltsamliche Beziehungen herstellen. Das mochte
sich auch an der Herzogin und dem Pörtner bewähren; dieweil sie sich
in seinen Armen wiegte, gedachte sie leise: "Fürwahr, noch Keinem hat
Sanct Benedicts Capuze anmuthiger gesessen, als diesem",31) und wie
er im kühlen Klostergang seine Bürde mit schüchternem Anstand ab-
setzte, fiel ihm Nichts auf, als daß ihm die Strecke vom Thor bis
hierher noch niemals so kurz vorgekommen.

Ich bin Euch wohl schwer gefallen? sprach die Herzogin.

Hohe Herrin, Ihr mögt kecklich sagen, wie da geschrieben steht:
mein Joch ist sanft und meine Bürde ist leicht, war seine Erwie-
derung.

Ich hätte nicht gedacht, sprach sie darauf, daß Ihr die Worte der
Schrift zu einer Schmeichelrede anwendet. Wie heißet Ihr?

Er antwortete: Sie nennen mich Ekkehard.

Ekkehard, ich danke Euch! sagte die Herzogin mit anmuthvoller
Handbewegung.

Ekkehard hatte ſich auf eine Anrede beſonnen und gedachte mit
Anwendung tadelloſen Lateins die ſonderbare Freiheit zu rechtfertigen,
aber wie ſie ſtolz und gebietend vor ihm ſtand, verſagte ihm die Stimme
und die Rede blieb, wo ſie entſtanden — in ſeinen Gedanken. Aber
er war unverzagten Muthes und umfaßte mit ſtarkem Arm die Her-
zogin, die ſchmiegte ſich vergnüglich an ihren Träger, und lehnte den
rechten Arm auf ſeine Schulter. Fröhlich ſchritt er unter ſeiner Bürde
über die Schwelle, die kein Frauenfuß berühren durfte, der Abt ihm
zur Seite, Kämmerer und Dienſtmannen folgten, hoch ſchwangen die
dienenden Knaben ihre Weihrauchfäſſer, und die Mönche wandelten in
gedoppelter Reihe, wie ſie gekommen, hinterdrein, die letzten Strophen
ihres Loblieds ſingend.

Es war ein wunderſam Bild, wie es vor und nachmals in des
Kloſters Geſchichte nicht wieder vorkam, und ließen ſich von Freunden
unnützer Worte an den Mönch, der die Herzogin trug, erſprieß-
liche Bemerkungen anknüpfen über das Verhältniß der Kirche zum
Staat in damaligen Zeiten und deſſen Aenderung in der Gegen-
wart ...

Die Naturverſtändigen ſagen, daß durch Annäherung belebender
Körper unſichtbar wirkende Kräfte thätig werden, ausſtrömen, in ein-
ander übergehen und ſeltſamliche Beziehungen herſtellen. Das mochte
ſich auch an der Herzogin und dem Pörtner bewähren; dieweil ſie ſich
in ſeinen Armen wiegte, gedachte ſie leiſe: „Fürwahr, noch Keinem hat
Sanct Benedicts Capuze anmuthiger geſeſſen, als dieſem“,31) und wie
er im kühlen Kloſtergang ſeine Bürde mit ſchüchternem Anſtand ab-
ſetzte, fiel ihm Nichts auf, als daß ihm die Strecke vom Thor bis
hierher noch niemals ſo kurz vorgekommen.

Ich bin Euch wohl ſchwer gefallen? ſprach die Herzogin.

Hohe Herrin, Ihr mögt kecklich ſagen, wie da geſchrieben ſteht:
mein Joch iſt ſanft und meine Bürde iſt leicht, war ſeine Erwie-
derung.

Ich hätte nicht gedacht, ſprach ſie darauf, daß Ihr die Worte der
Schrift zu einer Schmeichelrede anwendet. Wie heißet Ihr?

Er antwortete: Sie nennen mich Ekkehard.

Ekkehard, ich danke Euch! ſagte die Herzogin mit anmuthvoller
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[20/0042] Ekkehard hatte ſich auf eine Anrede beſonnen und gedachte mit Anwendung tadelloſen Lateins die ſonderbare Freiheit zu rechtfertigen, aber wie ſie ſtolz und gebietend vor ihm ſtand, verſagte ihm die Stimme und die Rede blieb, wo ſie entſtanden — in ſeinen Gedanken. Aber er war unverzagten Muthes und umfaßte mit ſtarkem Arm die Her- zogin, die ſchmiegte ſich vergnüglich an ihren Träger, und lehnte den rechten Arm auf ſeine Schulter. Fröhlich ſchritt er unter ſeiner Bürde über die Schwelle, die kein Frauenfuß berühren durfte, der Abt ihm zur Seite, Kämmerer und Dienſtmannen folgten, hoch ſchwangen die dienenden Knaben ihre Weihrauchfäſſer, und die Mönche wandelten in gedoppelter Reihe, wie ſie gekommen, hinterdrein, die letzten Strophen ihres Loblieds ſingend. Es war ein wunderſam Bild, wie es vor und nachmals in des Kloſters Geſchichte nicht wieder vorkam, und ließen ſich von Freunden unnützer Worte an den Mönch, der die Herzogin trug, erſprieß- liche Bemerkungen anknüpfen über das Verhältniß der Kirche zum Staat in damaligen Zeiten und deſſen Aenderung in der Gegen- wart ... Die Naturverſtändigen ſagen, daß durch Annäherung belebender Körper unſichtbar wirkende Kräfte thätig werden, ausſtrömen, in ein- ander übergehen und ſeltſamliche Beziehungen herſtellen. Das mochte ſich auch an der Herzogin und dem Pörtner bewähren; dieweil ſie ſich in ſeinen Armen wiegte, gedachte ſie leiſe: „Fürwahr, noch Keinem hat Sanct Benedicts Capuze anmuthiger geſeſſen, als dieſem“, ³¹⁾ und wie er im kühlen Kloſtergang ſeine Bürde mit ſchüchternem Anſtand ab- ſetzte, fiel ihm Nichts auf, als daß ihm die Strecke vom Thor bis hierher noch niemals ſo kurz vorgekommen. Ich bin Euch wohl ſchwer gefallen? ſprach die Herzogin. Hohe Herrin, Ihr mögt kecklich ſagen, wie da geſchrieben ſteht: mein Joch iſt ſanft und meine Bürde iſt leicht, war ſeine Erwie- derung. Ich hätte nicht gedacht, ſprach ſie darauf, daß Ihr die Worte der Schrift zu einer Schmeichelrede anwendet. Wie heißet Ihr? Er antwortete: Sie nennen mich Ekkehard. Ekkehard, ich danke Euch! ſagte die Herzogin mit anmuthvoller Handbewegung.

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Zitationshilfe: Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/42>, abgerufen am 24.11.2024.