sonnigen Gras erschnappt. War's ein Geschenk für die Lebensrettung, war's Ausdruck anderweiter Anwandlungen, wer weiß es? Ekkehard hatte freilich mitgeholfen, die sterblichen Reste des Ehgemahls der Verwittibten zu verzehren; -- ob dadurch ein Stück Neigung auf ihn übergelenkt werden konnte? -- wir kennen die Gesetze der Wahlver- wandtschaft zu wenig. Die Bärin setzte sich schüchtern vor der Höhle nieder und schaute unbeweglich hinein. Da ward Ekkehard gerührt, er schob ihr, immer den Speer in der Faust, ein hölzern Schüsselein mit Honig in die Nähe, aber sie schüttelte gekränkt das Haupt, der Blick aus ihren kleinen Augen, denen das Augenlid fehlte, war traurig erheiternd, so daß Ekkehard seine Harfe von der Wand holte und anfing den Reigen zu spielen, den sich Benedicta von ihm erbeten. Das labte der Verlassenen Gemüth, sie erhob sich und ging aufrecht in rhytmischer Grazie, bald vorwärts bald zurück, und Ekkehard spielte schneller und stürmischer, aber da blickte sie verschämt zur Erde; zu tanzen gestattete ihr dreißigjähriges Bärengewissen nimmer, sie streckte sich wieder wie zuvor vor der Höhle, als wollte sie das Lob verdienen, das der Verfasser des Hymnus zu Ehren des heiligen Gall einst den Bären gezollt, da er sie Thiere von bewundernswerther Bescheidenheit nannte.277)
Wir passen zu einand, rief Ekkehard, du hast dein Liebstes im Schnee verloren, ich im Sturm, -- ich will dir noch Eines harfen. Er spielte eine wehmüthige Weise, deß war sie wohl zufrieden und brummte beifällig; er aber immer seiner Dichtung gedenkend, sprach: Ich hab' mich heut' eine lange Zeit auf den Namen besonnen für die Hunnenkönigin, in deren Obhut jung Hiltgund zu stehen kam, itzt weiß ich ihn: sie soll Ospirin heißen, die "göttliche Bärin!"278) Verstehst du mich?
Die Bärin sah ihn an als wäre sie einverstanden, da griff Ekke- hard seine Pergamentblätter und fügte den Namen ein. Das Be- dürfniß, einer lebenden Seele die Schöpfung seines Geistes mitzutheilen, war schon lange rege in ihm: hier in der ungeheuern Bergwelt, dachte er, mag auch eine Bärin die Stelle einnehmen, zu der sonst ein ge- lehrtes Haupt erforderlich wäre, und er trat an sein Blockhaus und auf den Speer gestemmt las er der Bärin die Anfänge des Waltari- lieds, und las mit lauter Stimme und begeistert, und sie lauschte mit löblicher Ausdauer.
ſonnigen Gras erſchnappt. War's ein Geſchenk für die Lebensrettung, war's Ausdruck anderweiter Anwandlungen, wer weiß es? Ekkehard hatte freilich mitgeholfen, die ſterblichen Reſte des Ehgemahls der Verwittibten zu verzehren; — ob dadurch ein Stück Neigung auf ihn übergelenkt werden konnte? — wir kennen die Geſetze der Wahlver- wandtſchaft zu wenig. Die Bärin ſetzte ſich ſchüchtern vor der Höhle nieder und ſchaute unbeweglich hinein. Da ward Ekkehard gerührt, er ſchob ihr, immer den Speer in der Fauſt, ein hölzern Schüſſelein mit Honig in die Nähe, aber ſie ſchüttelte gekränkt das Haupt, der Blick aus ihren kleinen Augen, denen das Augenlid fehlte, war traurig erheiternd, ſo daß Ekkehard ſeine Harfe von der Wand holte und anfing den Reigen zu ſpielen, den ſich Benedicta von ihm erbeten. Das labte der Verlaſſenen Gemüth, ſie erhob ſich und ging aufrecht in rhytmiſcher Grazie, bald vorwärts bald zurück, und Ekkehard ſpielte ſchneller und ſtürmiſcher, aber da blickte ſie verſchämt zur Erde; zu tanzen geſtattete ihr dreißigjähriges Bärengewiſſen nimmer, ſie ſtreckte ſich wieder wie zuvor vor der Höhle, als wollte ſie das Lob verdienen, das der Verfaſſer des Hymnus zu Ehren des heiligen Gall einſt den Bären gezollt, da er ſie Thiere von bewundernswerther Beſcheidenheit nannte.277)
Wir paſſen zu einand, rief Ekkehard, du haſt dein Liebſtes im Schnee verloren, ich im Sturm, — ich will dir noch Eines harfen. Er ſpielte eine wehmüthige Weiſe, deß war ſie wohl zufrieden und brummte beifällig; er aber immer ſeiner Dichtung gedenkend, ſprach: Ich hab' mich heut' eine lange Zeit auf den Namen beſonnen für die Hunnenkönigin, in deren Obhut jung Hiltgund zu ſtehen kam, itzt weiß ich ihn: ſie ſoll Ospirin heißen, die „göttliche Bärin!“278) Verſtehſt du mich?
Die Bärin ſah ihn an als wäre ſie einverſtanden, da griff Ekke- hard ſeine Pergamentblätter und fügte den Namen ein. Das Be- dürfniß, einer lebenden Seele die Schöpfung ſeines Geiſtes mitzutheilen, war ſchon lange rege in ihm: hier in der ungeheuern Bergwelt, dachte er, mag auch eine Bärin die Stelle einnehmen, zu der ſonſt ein ge- lehrtes Haupt erforderlich wäre, und er trat an ſein Blockhaus und auf den Speer geſtemmt las er der Bärin die Anfänge des Waltari- lieds, und las mit lauter Stimme und begeiſtert, und ſie lauſchte mit löblicher Ausdauer.
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ſonnigen Gras erſchnappt. War's ein Geſchenk für die Lebensrettung,
war's Ausdruck anderweiter Anwandlungen, wer weiß es? Ekkehard
hatte freilich mitgeholfen, die ſterblichen Reſte des Ehgemahls der
Verwittibten zu verzehren; — ob dadurch ein Stück Neigung auf ihn
übergelenkt werden konnte? — wir kennen die Geſetze der Wahlver-
wandtſchaft zu wenig. Die Bärin ſetzte ſich ſchüchtern vor der Höhle
nieder und ſchaute unbeweglich hinein. Da ward Ekkehard gerührt,
er ſchob ihr, immer den Speer in der Fauſt, ein hölzern Schüſſelein
mit Honig in die Nähe, aber ſie ſchüttelte gekränkt das Haupt, der
Blick aus ihren kleinen Augen, denen das Augenlid fehlte, war traurig
erheiternd, ſo daß Ekkehard ſeine Harfe von der Wand holte und
anfing den Reigen zu ſpielen, den ſich Benedicta von ihm erbeten.
Das labte der Verlaſſenen Gemüth, ſie erhob ſich und ging aufrecht
in rhytmiſcher Grazie, bald vorwärts bald zurück, und Ekkehard ſpielte
ſchneller und ſtürmiſcher, aber da blickte ſie verſchämt zur Erde; zu
tanzen geſtattete ihr dreißigjähriges Bärengewiſſen nimmer, ſie ſtreckte
ſich wieder wie zuvor vor der Höhle, als wollte ſie das Lob verdienen,
das der Verfaſſer des Hymnus zu Ehren des heiligen Gall einſt den Bären
gezollt, da er ſie Thiere von bewundernswerther Beſcheidenheit nannte.
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Wir paſſen zu einand, rief Ekkehard, du haſt dein Liebſtes im
Schnee verloren, ich im Sturm, — ich will dir noch Eines harfen.
Er ſpielte eine wehmüthige Weiſe, deß war ſie wohl zufrieden und
brummte beifällig; er aber immer ſeiner Dichtung gedenkend, ſprach:
Ich hab' mich heut' eine lange Zeit auf den Namen beſonnen für die
Hunnenkönigin, in deren Obhut jung Hiltgund zu ſtehen kam, itzt
weiß ich ihn: ſie ſoll Ospirin heißen, die „göttliche Bärin!“
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Verſtehſt du mich?
Die Bärin ſah ihn an als wäre ſie einverſtanden, da griff Ekke-
hard ſeine Pergamentblätter und fügte den Namen ein. Das Be-
dürfniß, einer lebenden Seele die Schöpfung ſeines Geiſtes mitzutheilen,
war ſchon lange rege in ihm: hier in der ungeheuern Bergwelt, dachte
er, mag auch eine Bärin die Stelle einnehmen, zu der ſonſt ein ge-
lehrtes Haupt erforderlich wäre, und er trat an ſein Blockhaus und
auf den Speer geſtemmt las er der Bärin die Anfänge des Waltari-
lieds, und las mit lauter Stimme und begeiſtert, und ſie lauſchte mit
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Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 346. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/368>, abgerufen am 24.11.2024.
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