hatte die niedrigen Fichtenstämme geknickt wie Strohhalme, drei mäch- tige Blöcke, die gleich Schildwachen in's Thal hinabschauen, hemmten den Sturz, dort hatte sich der wandernde Schnee zürnend aufgebäumt, weniges war auch über diese Schranke weggesaust, der Kern, zerbröckelt von der Wucht des Anpralls, lag in trümmerhafter Masse gethürmt. Der Senn legte sein Ohr an die Schneedecke, dann trat er etliche Schritte hinein, stieß den Bergstock ein und rief: Hier graben wir!
Und sie gruben eine gute Weile, und gruben einen Schacht, also, daß sie tief drinnen standen und über ihren Häuptern die Schnee- mauer sich erhub, und bliesen oftmals in die Hände bei der kalten Arbeit. Da jodelte der Senn hell auf und Ekkehard that einen Schrei -- ein schwarzer Fleck kam zum Vorschein, der Senn sprang zum Beil, noch etliche Schaufelstöße, da hob sich's in zottiger Schwerfällig- keit und richtete sich brummend auf und reckte seine Vordertatzen weit empor gen Himmel, wie Einer, der sich schweren Schlaf aus den Gliedern bannen will, und stieg langsam zu dem Fels und setzte sich drauf.
Es war eine mächtige Bärin, die auf nächtlichem Gang zu den Forellen des Seealpsees sammt ihrem Ehgemal dort überschüttet wor- den. Aber der Bär rührte sich nimmer, der war an ihrer Seite er- stickt und lag in kühlem Todesschlaf, einen trotzigen Zug um die Schnauze, als wär' er mit einem Fluch auf allzufrühen Schneefall vom süßen Dasein geschieden.
Der Senn wollte mit seinem Beil wider die Bärin ausziehen, aber Ekkehard hielt ihn zurück und sprach: lasset ihr das Leben, wir haben genug an dem da! und sie zogen ihn herfür und mochten ihn kaum selbander von der Stelle bringen. Die Bärin saß auf ihrem Stein und schaute betrübt herunter und brummte und warf einen feuchten Blick auf Ekkehard, als habe sie ihn verstanden. Dann stieg sie hernieder, aber nicht wie zum Angriff; die Männer banden Fich- tengezweig zu einer Schlinge zusammen, die Beute fortzuschleifen, sie traten zurück, Beil und Speer geschwungen, die Bärenwittib aber beugte sich über den todten Ehegespons und biß ihm das rechte Ohr ab und fraß es auf zu ewigem Angedenken an glückliches Ehemals, dann wandte sie sich gegen Ekkehard, auf den Hinterfüßen einherwandelnd. Er erschrack, als drohe ihm eine Umarmung, da schlug er ein Kreuz und
hatte die niedrigen Fichtenſtämme geknickt wie Strohhalme, drei mäch- tige Blöcke, die gleich Schildwachen in's Thal hinabſchauen, hemmten den Sturz, dort hatte ſich der wandernde Schnee zürnend aufgebäumt, weniges war auch über dieſe Schranke weggeſaust, der Kern, zerbröckelt von der Wucht des Anpralls, lag in trümmerhafter Maſſe gethürmt. Der Senn legte ſein Ohr an die Schneedecke, dann trat er etliche Schritte hinein, ſtieß den Bergſtock ein und rief: Hier graben wir!
Und ſie gruben eine gute Weile, und gruben einen Schacht, alſo, daß ſie tief drinnen ſtanden und über ihren Häuptern die Schnee- mauer ſich erhub, und blieſen oftmals in die Hände bei der kalten Arbeit. Da jodelte der Senn hell auf und Ekkehard that einen Schrei — ein ſchwarzer Fleck kam zum Vorſchein, der Senn ſprang zum Beil, noch etliche Schaufelſtöße, da hob ſich's in zottiger Schwerfällig- keit und richtete ſich brummend auf und reckte ſeine Vordertatzen weit empor gen Himmel, wie Einer, der ſich ſchweren Schlaf aus den Gliedern bannen will, und ſtieg langſam zu dem Fels und ſetzte ſich drauf.
Es war eine mächtige Bärin, die auf nächtlichem Gang zu den Forellen des Seealpſees ſammt ihrem Ehgemal dort überſchüttet wor- den. Aber der Bär rührte ſich nimmer, der war an ihrer Seite er- ſtickt und lag in kühlem Todesſchlaf, einen trotzigen Zug um die Schnauze, als wär' er mit einem Fluch auf allzufrühen Schneefall vom ſüßen Daſein geſchieden.
Der Senn wollte mit ſeinem Beil wider die Bärin ausziehen, aber Ekkehard hielt ihn zurück und ſprach: laſſet ihr das Leben, wir haben genug an dem da! und ſie zogen ihn herfür und mochten ihn kaum ſelbander von der Stelle bringen. Die Bärin ſaß auf ihrem Stein und ſchaute betrübt herunter und brummte und warf einen feuchten Blick auf Ekkehard, als habe ſie ihn verſtanden. Dann ſtieg ſie hernieder, aber nicht wie zum Angriff; die Männer banden Fich- tengezweig zu einer Schlinge zuſammen, die Beute fortzuſchleifen, ſie traten zurück, Beil und Speer geſchwungen, die Bärenwittib aber beugte ſich über den todten Ehegeſpons und biß ihm das rechte Ohr ab und fraß es auf zu ewigem Angedenken an glückliches Ehemals, dann wandte ſie ſich gegen Ekkehard, auf den Hinterfüßen einherwandelnd. Er erſchrack, als drohe ihm eine Umarmung, da ſchlug er ein Kreuz und
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hatte die niedrigen Fichtenſtämme geknickt wie Strohhalme, drei mäch-
tige Blöcke, die gleich Schildwachen in's Thal hinabſchauen, hemmten
den Sturz, dort hatte ſich der wandernde Schnee zürnend aufgebäumt,
weniges war auch über dieſe Schranke weggeſaust, der Kern, zerbröckelt
von der Wucht des Anpralls, lag in trümmerhafter Maſſe gethürmt.
Der Senn legte ſein Ohr an die Schneedecke, dann trat er etliche
Schritte hinein, ſtieß den Bergſtock ein und rief: Hier graben wir!
Und ſie gruben eine gute Weile, und gruben einen Schacht, alſo,
daß ſie tief drinnen ſtanden und über ihren Häuptern die Schnee-
mauer ſich erhub, und blieſen oftmals in die Hände bei der kalten
Arbeit. Da jodelte der Senn hell auf und Ekkehard that einen Schrei
— ein ſchwarzer Fleck kam zum Vorſchein, der Senn ſprang zum
Beil, noch etliche Schaufelſtöße, da hob ſich's in zottiger Schwerfällig-
keit und richtete ſich brummend auf und reckte ſeine Vordertatzen weit
empor gen Himmel, wie Einer, der ſich ſchweren Schlaf aus den
Gliedern bannen will, und ſtieg langſam zu dem Fels und ſetzte ſich
drauf.
Es war eine mächtige Bärin, die auf nächtlichem Gang zu den
Forellen des Seealpſees ſammt ihrem Ehgemal dort überſchüttet wor-
den. Aber der Bär rührte ſich nimmer, der war an ihrer Seite er-
ſtickt und lag in kühlem Todesſchlaf, einen trotzigen Zug um die
Schnauze, als wär' er mit einem Fluch auf allzufrühen Schneefall
vom ſüßen Daſein geſchieden.
Der Senn wollte mit ſeinem Beil wider die Bärin ausziehen,
aber Ekkehard hielt ihn zurück und ſprach: laſſet ihr das Leben, wir
haben genug an dem da! und ſie zogen ihn herfür und mochten ihn
kaum ſelbander von der Stelle bringen. Die Bärin ſaß auf ihrem
Stein und ſchaute betrübt herunter und brummte und warf einen
feuchten Blick auf Ekkehard, als habe ſie ihn verſtanden. Dann ſtieg
ſie hernieder, aber nicht wie zum Angriff; die Männer banden Fich-
tengezweig zu einer Schlinge zuſammen, die Beute fortzuſchleifen, ſie
traten zurück, Beil und Speer geſchwungen, die Bärenwittib aber beugte
ſich über den todten Ehegeſpons und biß ihm das rechte Ohr ab und
fraß es auf zu ewigem Angedenken an glückliches Ehemals, dann wandte
ſie ſich gegen Ekkehard, auf den Hinterfüßen einherwandelnd. Er
erſchrack, als drohe ihm eine Umarmung, da ſchlug er ein Kreuz und
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Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 336. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/358>, abgerufen am 23.11.2024.
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