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Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855.

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gewitters, der an ferner Bergwand zu neuem Dröhnen sich zu-
sammenrafft.

Eine riesige Felsplatte war bei der Höhle niedergestürzt, schmel-
zendes Schneewasser hatte sie im Frühling losgenagt, sie sah aus wie
die Decke eines Grabmals. Dort saß er oft, er nannte sie still-
schweigend das Grab seiner Liebe; oft kam's ihm vor, als ruhe die
Herzogin und er selber in kühlem Schlaf der Todten darunter, und
er saß drauf und schaute über die tannumsäumten grünen Rücken nach
dem Bodensee hinüber und träumte. Es war ihm nicht gut, daß er
den See von seiner Klause erschauen konnte, wunde Rückerinnerung
durchschmerzte sein Inneres. Oft wollt' er zornig aufbrausen, oft
bog er sich abendlich um die Ecke seines Felsens in der Richtung des
Untersee's und hauchte Grüße hinaus.262) Wem galten sie?

Der Traum der Nacht war wirr und bewegt. Er sah sich wieder
in der Burgkapelle und die ewige Lampe schwebte über der Herzogin
Haupt wie damals, und wie er auf seine Gebieterin zustürzen wollte,
hatte sie das Antlitz der Waldfrau und lachte ihm höhnisch in's Ge-
sicht; und wenn er frühmorgens von seinem Streulager aufsprang,
hörte er sein eigen Herz pochen und das Wort Frau Hadwig's: O
Schulmeister, warum bist du kein Kriegsmann worden? verfolgte ihn,
bis die Sonne hoch am Himmel stand oder der Anblick Benedicta's
es verscheuchte.

Oft warf er sich in's kurze schwellende Gras am Abhang und
überdachte die letzten Monate; in läuternder Schärfe der Alpenluft
prägten sich Gestalten und Ereignisse klar vor seinem Denken, es pei-
nigte ihn das Gefühl, daß er sich zag und scheu und thöricht benom-
men und nicht einmal die Aufgabe gelöst, eine Geschichte zu erzählen,
wie Herr Spazzo und Praxedis. Ekkehard, du bist lächerlich gewor-
den, sprach er höhnisch leise zu sich selber und vermeinte dabei, er
müsse an den Felswänden sein Gehirn anrennen.

Melancholisch Gemüth zehrt lang an erlittener Beschädigung, und
vergißt in seinem Brüten, daß tadelhafte That nur durch nachfolgende
bessere im Gemüth der Menschen verwischt wird.

Darum war Ekkehard noch nicht reif für die klärenden Wonnen
der Einsamkeit. Der haftende Eindruck vergangenen Leids that eine
seltsame Wirkung; wenn er in seiner Höhlenstille saß, glaubte er

gewitters, der an ferner Bergwand zu neuem Dröhnen ſich zu-
ſammenrafft.

Eine rieſige Felsplatte war bei der Höhle niedergeſtürzt, ſchmel-
zendes Schneewaſſer hatte ſie im Frühling losgenagt, ſie ſah aus wie
die Decke eines Grabmals. Dort ſaß er oft, er nannte ſie ſtill-
ſchweigend das Grab ſeiner Liebe; oft kam's ihm vor, als ruhe die
Herzogin und er ſelber in kühlem Schlaf der Todten darunter, und
er ſaß drauf und ſchaute über die tannumſäumten grünen Rücken nach
dem Bodenſee hinüber und träumte. Es war ihm nicht gut, daß er
den See von ſeiner Klauſe erſchauen konnte, wunde Rückerinnerung
durchſchmerzte ſein Inneres. Oft wollt' er zornig aufbrauſen, oft
bog er ſich abendlich um die Ecke ſeines Felſens in der Richtung des
Unterſee's und hauchte Grüße hinaus.262) Wem galten ſie?

Der Traum der Nacht war wirr und bewegt. Er ſah ſich wieder
in der Burgkapelle und die ewige Lampe ſchwebte über der Herzogin
Haupt wie damals, und wie er auf ſeine Gebieterin zuſtürzen wollte,
hatte ſie das Antlitz der Waldfrau und lachte ihm höhniſch in's Ge-
ſicht; und wenn er frühmorgens von ſeinem Streulager aufſprang,
hörte er ſein eigen Herz pochen und das Wort Frau Hadwig's: O
Schulmeiſter, warum biſt du kein Kriegsmann worden? verfolgte ihn,
bis die Sonne hoch am Himmel ſtand oder der Anblick Benedicta's
es verſcheuchte.

Oft warf er ſich in's kurze ſchwellende Gras am Abhang und
überdachte die letzten Monate; in läuternder Schärfe der Alpenluft
prägten ſich Geſtalten und Ereigniſſe klar vor ſeinem Denken, es pei-
nigte ihn das Gefühl, daß er ſich zag und ſcheu und thöricht benom-
men und nicht einmal die Aufgabe gelöst, eine Geſchichte zu erzählen,
wie Herr Spazzo und Praxedis. Ekkehard, du biſt lächerlich gewor-
den, ſprach er höhniſch leiſe zu ſich ſelber und vermeinte dabei, er
müſſe an den Felswänden ſein Gehirn anrennen.

Melancholiſch Gemüth zehrt lang an erlittener Beſchädigung, und
vergißt in ſeinem Brüten, daß tadelhafte That nur durch nachfolgende
beſſere im Gemüth der Menſchen verwiſcht wird.

Darum war Ekkehard noch nicht reif für die klärenden Wonnen
der Einſamkeit. Der haftende Eindruck vergangenen Leids that eine
ſeltſame Wirkung; wenn er in ſeiner Höhlenſtille ſaß, glaubte er

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[327/0349] gewitters, der an ferner Bergwand zu neuem Dröhnen ſich zu- ſammenrafft. Eine rieſige Felsplatte war bei der Höhle niedergeſtürzt, ſchmel- zendes Schneewaſſer hatte ſie im Frühling losgenagt, ſie ſah aus wie die Decke eines Grabmals. Dort ſaß er oft, er nannte ſie ſtill- ſchweigend das Grab ſeiner Liebe; oft kam's ihm vor, als ruhe die Herzogin und er ſelber in kühlem Schlaf der Todten darunter, und er ſaß drauf und ſchaute über die tannumſäumten grünen Rücken nach dem Bodenſee hinüber und träumte. Es war ihm nicht gut, daß er den See von ſeiner Klauſe erſchauen konnte, wunde Rückerinnerung durchſchmerzte ſein Inneres. Oft wollt' er zornig aufbrauſen, oft bog er ſich abendlich um die Ecke ſeines Felſens in der Richtung des Unterſee's und hauchte Grüße hinaus. ²⁶²⁾ Wem galten ſie? Der Traum der Nacht war wirr und bewegt. Er ſah ſich wieder in der Burgkapelle und die ewige Lampe ſchwebte über der Herzogin Haupt wie damals, und wie er auf ſeine Gebieterin zuſtürzen wollte, hatte ſie das Antlitz der Waldfrau und lachte ihm höhniſch in's Ge- ſicht; und wenn er frühmorgens von ſeinem Streulager aufſprang, hörte er ſein eigen Herz pochen und das Wort Frau Hadwig's: O Schulmeiſter, warum biſt du kein Kriegsmann worden? verfolgte ihn, bis die Sonne hoch am Himmel ſtand oder der Anblick Benedicta's es verſcheuchte. Oft warf er ſich in's kurze ſchwellende Gras am Abhang und überdachte die letzten Monate; in läuternder Schärfe der Alpenluft prägten ſich Geſtalten und Ereigniſſe klar vor ſeinem Denken, es pei- nigte ihn das Gefühl, daß er ſich zag und ſcheu und thöricht benom- men und nicht einmal die Aufgabe gelöst, eine Geſchichte zu erzählen, wie Herr Spazzo und Praxedis. Ekkehard, du biſt lächerlich gewor- den, ſprach er höhniſch leiſe zu ſich ſelber und vermeinte dabei, er müſſe an den Felswänden ſein Gehirn anrennen. Melancholiſch Gemüth zehrt lang an erlittener Beſchädigung, und vergißt in ſeinem Brüten, daß tadelhafte That nur durch nachfolgende beſſere im Gemüth der Menſchen verwiſcht wird. Darum war Ekkehard noch nicht reif für die klärenden Wonnen der Einſamkeit. Der haftende Eindruck vergangenen Leids that eine ſeltſame Wirkung; wenn er in ſeiner Höhlenſtille ſaß, glaubte er

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Zitationshilfe: Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 327. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/349>, abgerufen am 25.11.2024.