Kamor, die gewaltigen Mauern der Boghartenfirst und Sigels Alp und Maarwiese, auf deren Zinnen wie Moos auf den Dächern wür- ziger Graswuchs grünt, dann der Hüter des Seegeheimnisses, der "alte Mann" mit runzelgefurchter Steinstirn und weißumschneitem Haupt: des hohen Säntis Kanzler und Busenfreund.
Ihr Berge des Herrn, benedeiet den Herrn! sprach der Wanders- mann, ergriffen von der Wucht des Eindrucks. Viel hundert Berg- schwalben flatterten aus den Spalten des Gesteins. Ihr Flug soll gute Vorbedeutung sein.
Er that etliche Schritte vorwärts. Da war die Felswand mächtig zerklüftet, eine doppelte Höhle that sich auf, aus rohem Schaft zusam- mengefügt stand ein schmucklos Kreuz dabei, Tannenstämme an der einen Höhlenwand zum Blockhaus geschichtet und nach Art der damals üblichen Kriegsgerüste oder Belagerungsthürme mit zusammengefügtem Flechtwerk überdacht, deuteten auf menschliches Anwesen. Kein Laut unterbrach die Stille.
Der Fremde kniete vor dem Kreuz nieder und betete lang.
Es war Ekkehard, -- der Ort wo er betete, das Wildkirchlein.
Unversehrt war er auf seinem Bergrutsch, als ihn Praxedis befreit, in die Tiefe gefahren; der andere Morgen fand ihn erschöpft beim alten Moengal in Radolfzelle. "Ach, daß ich in der Wüste ein Hütt- lein der Wandersleute haben könnte, so wollte ich mein Volk verlassen und mich von ihnen absondern, denn sie sind Lügner und treulos all- zusammen" sprach er mit den Worten des Propheten,252) nachdem er dem Leutpriester sein Leid geklagt.
Da wies ihm der Alte den Säntis.
Hast Recht, sprach Moengal. Der heilige Gallus hat's ebenso gemacht. "In der Einsamkeit will ich verharren und auf den warten, der meine Seele gesund machen soll":253) er wär' vielleicht kein Heiliger geworden, wenn er anders gesagt und gethan hätte. Verbeiß deinen Schmerz. Wenn der Adler siech wird und seine Augen dunkeln und seine Federn zergehen wollen, steigt er himmelan, so weit ihn seine Schwingen tragen.254) Sonnennähe verjüngt. Thue deßgleichen. Ich weiß dir ein gut Plätzlein zum Gesunden.
Er beschrieb ihm den Weg.
Kamor, die gewaltigen Mauern der Boghartenfirſt und Sigels Alp und Maarwieſe, auf deren Zinnen wie Moos auf den Dächern wür- ziger Graswuchs grünt, dann der Hüter des Seegeheimniſſes, der „alte Mann“ mit runzelgefurchter Steinſtirn und weißumſchneitem Haupt: des hohen Säntis Kanzler und Buſenfreund.
Ihr Berge des Herrn, benedeiet den Herrn! ſprach der Wanders- mann, ergriffen von der Wucht des Eindrucks. Viel hundert Berg- ſchwalben flatterten aus den Spalten des Geſteins. Ihr Flug ſoll gute Vorbedeutung ſein.
Er that etliche Schritte vorwärts. Da war die Felswand mächtig zerklüftet, eine doppelte Höhle that ſich auf, aus rohem Schaft zuſam- mengefügt ſtand ein ſchmucklos Kreuz dabei, Tannenſtämme an der einen Höhlenwand zum Blockhaus geſchichtet und nach Art der damals üblichen Kriegsgerüſte oder Belagerungsthürme mit zuſammengefügtem Flechtwerk überdacht, deuteten auf menſchliches Anweſen. Kein Laut unterbrach die Stille.
Der Fremde kniete vor dem Kreuz nieder und betete lang.
Es war Ekkehard, — der Ort wo er betete, das Wildkirchlein.
Unverſehrt war er auf ſeinem Bergrutſch, als ihn Praxedis befreit, in die Tiefe gefahren; der andere Morgen fand ihn erſchöpft beim alten Moengal in Radolfzelle. „Ach, daß ich in der Wüſte ein Hütt- lein der Wandersleute haben könnte, ſo wollte ich mein Volk verlaſſen und mich von ihnen abſondern, denn ſie ſind Lügner und treulos all- zuſammen“ ſprach er mit den Worten des Propheten,252) nachdem er dem Leutprieſter ſein Leid geklagt.
Da wies ihm der Alte den Säntis.
Haſt Recht, ſprach Moengal. Der heilige Gallus hat's ebenſo gemacht. „In der Einſamkeit will ich verharren und auf den warten, der meine Seele geſund machen ſoll“:253) er wär' vielleicht kein Heiliger geworden, wenn er anders geſagt und gethan hätte. Verbeiß deinen Schmerz. Wenn der Adler ſiech wird und ſeine Augen dunkeln und ſeine Federn zergehen wollen, ſteigt er himmelan, ſo weit ihn ſeine Schwingen tragen.254) Sonnennähe verjüngt. Thue deßgleichen. Ich weiß dir ein gut Plätzlein zum Geſunden.
Er beſchrieb ihm den Weg.
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Kamor, die gewaltigen Mauern der Boghartenfirſt und Sigels Alp
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Mann“ mit runzelgefurchter Steinſtirn und weißumſchneitem Haupt:
des hohen Säntis Kanzler und Buſenfreund.
Ihr Berge des Herrn, benedeiet den Herrn! ſprach der Wanders-
mann, ergriffen von der Wucht des Eindrucks. Viel hundert Berg-
ſchwalben flatterten aus den Spalten des Geſteins. Ihr Flug ſoll
gute Vorbedeutung ſein.
Er that etliche Schritte vorwärts. Da war die Felswand mächtig
zerklüftet, eine doppelte Höhle that ſich auf, aus rohem Schaft zuſam-
mengefügt ſtand ein ſchmucklos Kreuz dabei, Tannenſtämme an der
einen Höhlenwand zum Blockhaus geſchichtet und nach Art der damals
üblichen Kriegsgerüſte oder Belagerungsthürme mit zuſammengefügtem
Flechtwerk überdacht, deuteten auf menſchliches Anweſen. Kein Laut
unterbrach die Stille.
Der Fremde kniete vor dem Kreuz nieder und betete lang.
Es war Ekkehard, — der Ort wo er betete, das Wildkirchlein.
Unverſehrt war er auf ſeinem Bergrutſch, als ihn Praxedis befreit,
in die Tiefe gefahren; der andere Morgen fand ihn erſchöpft beim
alten Moengal in Radolfzelle. „Ach, daß ich in der Wüſte ein Hütt-
lein der Wandersleute haben könnte, ſo wollte ich mein Volk verlaſſen
und mich von ihnen abſondern, denn ſie ſind Lügner und treulos all-
zuſammen“ ſprach er mit den Worten des Propheten,
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nachdem er
dem Leutprieſter ſein Leid geklagt.
Da wies ihm der Alte den Säntis.
Haſt Recht, ſprach Moengal. Der heilige Gallus hat's ebenſo
gemacht. „In der Einſamkeit will ich verharren und auf den warten,
der meine Seele geſund machen ſoll“:
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er wär' vielleicht kein Heiliger
geworden, wenn er anders geſagt und gethan hätte. Verbeiß deinen
Schmerz. Wenn der Adler ſiech wird und ſeine Augen dunkeln und
ſeine Federn zergehen wollen, ſteigt er himmelan, ſo weit ihn ſeine
Schwingen tragen.
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Sonnennähe verjüngt. Thue deßgleichen. Ich
weiß dir ein gut Plätzlein zum Geſunden.
Er beſchrieb ihm den Weg.
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Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 319. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/341>, abgerufen am 22.11.2024.
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