Burghof. Der Brunnen plätscherte hell. Ekkehard beugte sich über's Rohr und trank einen langen Schluck des kühlen Wassers.250) Alles vorbei! sprach er. Jetzt bergab!
Es war eine stürmische Nacht. Den Thorweg könnt Ihr nicht hinunter, die Brücke ist aufgezogen, sprach Praxedis, aber zwischen den Felsen an der Morgenseite ist's möglich, unser Hirtenknab' hat den Weg auch schon versucht.
Sie gingen in das Gärtlein. Ein Windstoß fuhr rauschend durch die Wipfel des Ahorn. Ekkehard wußte kaum, wie ihm geschah; er schwang sich auf die Brustwehr, steil und zackig senkten sich die Kling- steinfelsen in die Tiefe, dunkler Abgrund gähnte zu ihm herauf, am düstern Himmel jagten sich die Wolken, es waren unheimliche plumpe Massen, fratzenhaft als wenn zwei Bären einen geflügelten Drachen verfolgten ... dann verschwammen die Gebilde ineinander, der Wind peitschte sie zu dem matt in der Ferne schimmernden Bodensee. In dunklem Umriß lag die Landschaft.
Gesegnet sei Euer Weg! sprach Praxedis.
Ekkehard saß starr auf der niedern Mauerzinne, er zog seine Hand nicht von der der Griechin, wehmüthiger Dank durchwogte sein aus- gestürmt Herz. Da schmiegte sich ihre Wange an die seine, auf seinen Lippen zitterte ein Kuß, eine Thräne perlte drauf nieder. Sanft wand sich Praxedis von ihm.
Vergesset nicht, sprach sie, daß Ihr noch eine Geschichte schuldig seid. Mög' Euch Gott bald wieder zu diesem Gartenplatz geleiten, daß wir sie aus Eurem Munde vernehmen.
Jetzt ließ sich Ekkehard nieder; noch einmal winkte er mit der Hand, dann schwand er aus ihren Augen. Die Stille der Nacht unterbrach ein Dröhnen und Klingen am Gefelse, die Griechin schaute hinab: eine Felsplatte hatte sich losgelöst und stürzte schmetternd zu Thal, eine zweite folgte langsameren Falles, oben auf der zweiten saß Ekkehard und lenkte sie wie ein Reiter sein Roß, so ging's den schiefen Berghang hinunter in's Dunkel der Nacht ... Fahr wohl!
Sie bekreuzte sich und ging zurück, lächelnd in aller Betrübniß. Der Klosterbruder schlief noch immer. Im Vorbeigehen sah Praxedis den Aschenkorb im Hofe stehen, den griff sie, schlich in Ekkehard's
Burghof. Der Brunnen plätſcherte hell. Ekkehard beugte ſich über's Rohr und trank einen langen Schluck des kühlen Waſſers.250) Alles vorbei! ſprach er. Jetzt bergab!
Es war eine ſtürmiſche Nacht. Den Thorweg könnt Ihr nicht hinunter, die Brücke iſt aufgezogen, ſprach Praxedis, aber zwiſchen den Felſen an der Morgenſeite iſt's möglich, unſer Hirtenknab' hat den Weg auch ſchon verſucht.
Sie gingen in das Gärtlein. Ein Windſtoß fuhr rauſchend durch die Wipfel des Ahorn. Ekkehard wußte kaum, wie ihm geſchah; er ſchwang ſich auf die Bruſtwehr, ſteil und zackig ſenkten ſich die Kling- ſteinfelſen in die Tiefe, dunkler Abgrund gähnte zu ihm herauf, am düſtern Himmel jagten ſich die Wolken, es waren unheimliche plumpe Maſſen, fratzenhaft als wenn zwei Bären einen geflügelten Drachen verfolgten ... dann verſchwammen die Gebilde ineinander, der Wind peitſchte ſie zu dem matt in der Ferne ſchimmernden Bodenſee. In dunklem Umriß lag die Landſchaft.
Geſegnet ſei Euer Weg! ſprach Praxedis.
Ekkehard ſaß ſtarr auf der niedern Mauerzinne, er zog ſeine Hand nicht von der der Griechin, wehmüthiger Dank durchwogte ſein aus- geſtürmt Herz. Da ſchmiegte ſich ihre Wange an die ſeine, auf ſeinen Lippen zitterte ein Kuß, eine Thräne perlte drauf nieder. Sanft wand ſich Praxedis von ihm.
Vergeſſet nicht, ſprach ſie, daß Ihr noch eine Geſchichte ſchuldig ſeid. Mög' Euch Gott bald wieder zu dieſem Gartenplatz geleiten, daß wir ſie aus Eurem Munde vernehmen.
Jetzt ließ ſich Ekkehard nieder; noch einmal winkte er mit der Hand, dann ſchwand er aus ihren Augen. Die Stille der Nacht unterbrach ein Dröhnen und Klingen am Gefelſe, die Griechin ſchaute hinab: eine Felsplatte hatte ſich losgelöst und ſtürzte ſchmetternd zu Thal, eine zweite folgte langſameren Falles, oben auf der zweiten ſaß Ekkehard und lenkte ſie wie ein Reiter ſein Roß, ſo ging's den ſchiefen Berghang hinunter in's Dunkel der Nacht ... Fahr wohl!
Sie bekreuzte ſich und ging zurück, lächelnd in aller Betrübniß. Der Kloſterbruder ſchlief noch immer. Im Vorbeigehen ſah Praxedis den Aſchenkorb im Hofe ſtehen, den griff ſie, ſchlich in Ekkehard's
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0338"n="316"/>
Burghof. Der Brunnen plätſcherte hell. Ekkehard beugte ſich über's<lb/>
Rohr und trank einen langen Schluck des kühlen Waſſers.<notexml:id="ed250"next="#edt250"place="end"n="250)"/> Alles<lb/>
vorbei! ſprach er. Jetzt bergab!</p><lb/><p>Es war eine ſtürmiſche Nacht. Den Thorweg könnt Ihr nicht<lb/>
hinunter, die Brücke iſt aufgezogen, ſprach Praxedis, aber zwiſchen<lb/>
den Felſen an der Morgenſeite iſt's möglich, unſer Hirtenknab' hat<lb/>
den Weg auch ſchon verſucht.</p><lb/><p>Sie gingen in das Gärtlein. Ein Windſtoß fuhr rauſchend durch<lb/>
die Wipfel des Ahorn. Ekkehard wußte kaum, wie ihm geſchah; er<lb/>ſchwang ſich auf die Bruſtwehr, ſteil und zackig ſenkten ſich die Kling-<lb/>ſteinfelſen in die Tiefe, dunkler Abgrund gähnte zu ihm herauf, am<lb/>
düſtern Himmel jagten ſich die Wolken, es waren unheimliche plumpe<lb/>
Maſſen, fratzenhaft als wenn zwei Bären einen geflügelten Drachen<lb/>
verfolgten ... dann verſchwammen die Gebilde ineinander, der Wind<lb/>
peitſchte ſie zu dem matt in der Ferne ſchimmernden Bodenſee. In<lb/>
dunklem Umriß lag die Landſchaft.</p><lb/><p>Geſegnet ſei Euer Weg! ſprach Praxedis.</p><lb/><p>Ekkehard ſaß ſtarr auf der niedern Mauerzinne, er zog ſeine<lb/>
Hand nicht von der der Griechin, wehmüthiger Dank durchwogte ſein aus-<lb/>
geſtürmt Herz. Da ſchmiegte ſich ihre Wange an die ſeine, auf ſeinen<lb/>
Lippen zitterte ein Kuß, eine Thräne perlte drauf nieder. Sanft<lb/>
wand ſich Praxedis von ihm.</p><lb/><p>Vergeſſet nicht, ſprach ſie, daß Ihr noch eine Geſchichte ſchuldig<lb/>ſeid. Mög' Euch Gott bald wieder zu dieſem Gartenplatz geleiten,<lb/>
daß wir ſie aus Eurem Munde vernehmen.</p><lb/><p>Jetzt ließ ſich Ekkehard nieder; noch einmal winkte er mit der<lb/>
Hand, dann ſchwand er aus ihren Augen. Die Stille der Nacht<lb/>
unterbrach ein Dröhnen und Klingen am Gefelſe, die Griechin ſchaute<lb/>
hinab: eine Felsplatte hatte ſich losgelöst und ſtürzte ſchmetternd zu<lb/>
Thal, eine zweite folgte langſameren Falles, oben auf der zweiten ſaß<lb/>
Ekkehard und lenkte ſie wie ein Reiter ſein Roß, ſo ging's den<lb/>ſchiefen Berghang hinunter in's Dunkel der Nacht ... Fahr wohl!</p><lb/><p>Sie bekreuzte ſich und ging zurück, lächelnd in aller Betrübniß.<lb/>
Der Kloſterbruder ſchlief noch immer. Im Vorbeigehen ſah Praxedis<lb/>
den Aſchenkorb im Hofe ſtehen, den griff ſie, ſchlich in Ekkehard's<lb/></p></div></body></text></TEI>
[316/0338]
Burghof. Der Brunnen plätſcherte hell. Ekkehard beugte ſich über's
Rohr und trank einen langen Schluck des kühlen Waſſers.
²⁵⁰⁾
Alles
vorbei! ſprach er. Jetzt bergab!
Es war eine ſtürmiſche Nacht. Den Thorweg könnt Ihr nicht
hinunter, die Brücke iſt aufgezogen, ſprach Praxedis, aber zwiſchen
den Felſen an der Morgenſeite iſt's möglich, unſer Hirtenknab' hat
den Weg auch ſchon verſucht.
Sie gingen in das Gärtlein. Ein Windſtoß fuhr rauſchend durch
die Wipfel des Ahorn. Ekkehard wußte kaum, wie ihm geſchah; er
ſchwang ſich auf die Bruſtwehr, ſteil und zackig ſenkten ſich die Kling-
ſteinfelſen in die Tiefe, dunkler Abgrund gähnte zu ihm herauf, am
düſtern Himmel jagten ſich die Wolken, es waren unheimliche plumpe
Maſſen, fratzenhaft als wenn zwei Bären einen geflügelten Drachen
verfolgten ... dann verſchwammen die Gebilde ineinander, der Wind
peitſchte ſie zu dem matt in der Ferne ſchimmernden Bodenſee. In
dunklem Umriß lag die Landſchaft.
Geſegnet ſei Euer Weg! ſprach Praxedis.
Ekkehard ſaß ſtarr auf der niedern Mauerzinne, er zog ſeine
Hand nicht von der der Griechin, wehmüthiger Dank durchwogte ſein aus-
geſtürmt Herz. Da ſchmiegte ſich ihre Wange an die ſeine, auf ſeinen
Lippen zitterte ein Kuß, eine Thräne perlte drauf nieder. Sanft
wand ſich Praxedis von ihm.
Vergeſſet nicht, ſprach ſie, daß Ihr noch eine Geſchichte ſchuldig
ſeid. Mög' Euch Gott bald wieder zu dieſem Gartenplatz geleiten,
daß wir ſie aus Eurem Munde vernehmen.
Jetzt ließ ſich Ekkehard nieder; noch einmal winkte er mit der
Hand, dann ſchwand er aus ihren Augen. Die Stille der Nacht
unterbrach ein Dröhnen und Klingen am Gefelſe, die Griechin ſchaute
hinab: eine Felsplatte hatte ſich losgelöst und ſtürzte ſchmetternd zu
Thal, eine zweite folgte langſameren Falles, oben auf der zweiten ſaß
Ekkehard und lenkte ſie wie ein Reiter ſein Roß, ſo ging's den
ſchiefen Berghang hinunter in's Dunkel der Nacht ... Fahr wohl!
Sie bekreuzte ſich und ging zurück, lächelnd in aller Betrübniß.
Der Kloſterbruder ſchlief noch immer. Im Vorbeigehen ſah Praxedis
den Aſchenkorb im Hofe ſtehen, den griff ſie, ſchlich in Ekkehard's
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 316. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/338>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.