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Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855.

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Krank? sprach er -- es ist nur eine Vergeltung. Vor Jahr und
Tag am Pfingstfest, da es noch keinen hohen Twiel für mich gab, hab'
ich beim festlichen Umgang aus unserer Klosterkirche den Sarg des
heiligen Gallus getragen, da hat sich ein Weib vor mir niedergewor-
fen: steh' auf! hab' ich ihr zugerufen, aber sie blieb liegen im Staub,
schreit über mich, Priester, mit deinem Heilthum, daß ich gesunde!
sprach sie, und mein Fuß ging über sie hinweg.244) Sie hat am
Herzweh gelitten, die Frau. Jetzt ist's umgekehrt ...

Thränen unterbrachen seine Stimme. Er konnte nicht weiter spre-
chen. Er warf sich zu Frau Hadwig's Füßen und umschlang den Saum
ihres Gewandes. Der ganze Mensch zitterte.

Frau Hadwig wurde mild; mild gegen ihren Willen, als zucke es
vom Saum des Gewandes zu ihr herauf von unsäglichem Herzeleid.

Steht auf, sprach sie, und denkt an Anderes. Ihr seid uns noch eine
Geschichte schuldig. Verwindet's!

Da lachte Ekkehard in seinen Thränen.

Eine Geschichte, rief er -- o, eine Geschichte! Aber nicht erzählen ...
kommt, laßt sie uns thun, die Geschichte! Droben von des Thurmes
Zinnen schaut sich's so weit in die Lande und so tief hinunter, so
süß und tief und lockend, was hat die Herzogsburg uns zu halten?
Keiner braucht mehr zu zählen, als drei, der hinunter will ... und
wir schweben und gleiten in Tod, dann bin ich kein Mönch mehr und
darf den Arm schlingen um Euch --

Er schlug mit der Faust auf Herrn Burkard's Grab -- und der
da unten schläft, soll mir's nicht wehren! Wenn er kommt, der Alte:
ich laß' Euch nicht, und wir schweben wieder zum Thurm empor und
sitzen wo wir saßen, und lesen den Virgil zu Ende, und Ihr müßt
die Rose im Stirnband tragen, als wär' nichts geschehen ... Dem
Herzog schließen wir's Thor zu und über alle böse Zungen lachen wir,
und die Menschen sprechen dann, wenn sie am Winterofen sitzen: das
ist eine schöne Geschichte vom treuen Ekkehard, der hat den Kaiser
Ermanrich erschlagen, da er die Harlungen aufhing, und dann ist er
mit seinem weißen Stab vor Frau Venus Berg gesessen, viel hundert
Jahr, und hat gemeint, er wolle bis zum jüngsten Tag die Leute
warnen, die zum Berg wallen;245) aber hernachmals ist's ihm lang-
weilig worden und er ging durch und ward ein Mönch in Sanct

Krank? ſprach er — es iſt nur eine Vergeltung. Vor Jahr und
Tag am Pfingſtfeſt, da es noch keinen hohen Twiel für mich gab, hab'
ich beim feſtlichen Umgang aus unſerer Kloſterkirche den Sarg des
heiligen Gallus getragen, da hat ſich ein Weib vor mir niedergewor-
fen: ſteh' auf! hab' ich ihr zugerufen, aber ſie blieb liegen im Staub,
ſchreit über mich, Prieſter, mit deinem Heilthum, daß ich geſunde!
ſprach ſie, und mein Fuß ging über ſie hinweg.244) Sie hat am
Herzweh gelitten, die Frau. Jetzt iſt's umgekehrt ...

Thränen unterbrachen ſeine Stimme. Er konnte nicht weiter ſpre-
chen. Er warf ſich zu Frau Hadwig's Füßen und umſchlang den Saum
ihres Gewandes. Der ganze Menſch zitterte.

Frau Hadwig wurde mild; mild gegen ihren Willen, als zucke es
vom Saum des Gewandes zu ihr herauf von unſäglichem Herzeleid.

Steht auf, ſprach ſie, und denkt an Anderes. Ihr ſeid uns noch eine
Geſchichte ſchuldig. Verwindet's!

Da lachte Ekkehard in ſeinen Thränen.

Eine Geſchichte, rief er — o, eine Geſchichte! Aber nicht erzählen ...
kommt, laßt ſie uns thun, die Geſchichte! Droben von des Thurmes
Zinnen ſchaut ſich's ſo weit in die Lande und ſo tief hinunter, ſo
ſüß und tief und lockend, was hat die Herzogsburg uns zu halten?
Keiner braucht mehr zu zählen, als drei, der hinunter will ... und
wir ſchweben und gleiten in Tod, dann bin ich kein Mönch mehr und
darf den Arm ſchlingen um Euch —

Er ſchlug mit der Fauſt auf Herrn Burkard's Grab — und der
da unten ſchläft, ſoll mir's nicht wehren! Wenn er kommt, der Alte:
ich laß' Euch nicht, und wir ſchweben wieder zum Thurm empor und
ſitzen wo wir ſaßen, und leſen den Virgil zu Ende, und Ihr müßt
die Roſe im Stirnband tragen, als wär' nichts geſchehen ... Dem
Herzog ſchließen wir's Thor zu und über alle böſe Zungen lachen wir,
und die Menſchen ſprechen dann, wenn ſie am Winterofen ſitzen: das
iſt eine ſchöne Geſchichte vom treuen Ekkehard, der hat den Kaiſer
Ermanrich erſchlagen, da er die Harlungen aufhing, und dann iſt er
mit ſeinem weißen Stab vor Frau Venus Berg geſeſſen, viel hundert
Jahr, und hat gemeint, er wolle bis zum jüngſten Tag die Leute
warnen, die zum Berg wallen;245) aber hernachmals iſt's ihm lang-
weilig worden und er ging durch und ward ein Mönch in Sanct

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[306/0328] Krank? ſprach er — es iſt nur eine Vergeltung. Vor Jahr und Tag am Pfingſtfeſt, da es noch keinen hohen Twiel für mich gab, hab' ich beim feſtlichen Umgang aus unſerer Kloſterkirche den Sarg des heiligen Gallus getragen, da hat ſich ein Weib vor mir niedergewor- fen: ſteh' auf! hab' ich ihr zugerufen, aber ſie blieb liegen im Staub, ſchreit über mich, Prieſter, mit deinem Heilthum, daß ich geſunde! ſprach ſie, und mein Fuß ging über ſie hinweg. ²⁴⁴⁾ Sie hat am Herzweh gelitten, die Frau. Jetzt iſt's umgekehrt ... Thränen unterbrachen ſeine Stimme. Er konnte nicht weiter ſpre- chen. Er warf ſich zu Frau Hadwig's Füßen und umſchlang den Saum ihres Gewandes. Der ganze Menſch zitterte. Frau Hadwig wurde mild; mild gegen ihren Willen, als zucke es vom Saum des Gewandes zu ihr herauf von unſäglichem Herzeleid. Steht auf, ſprach ſie, und denkt an Anderes. Ihr ſeid uns noch eine Geſchichte ſchuldig. Verwindet's! Da lachte Ekkehard in ſeinen Thränen. Eine Geſchichte, rief er — o, eine Geſchichte! Aber nicht erzählen ... kommt, laßt ſie uns thun, die Geſchichte! Droben von des Thurmes Zinnen ſchaut ſich's ſo weit in die Lande und ſo tief hinunter, ſo ſüß und tief und lockend, was hat die Herzogsburg uns zu halten? Keiner braucht mehr zu zählen, als drei, der hinunter will ... und wir ſchweben und gleiten in Tod, dann bin ich kein Mönch mehr und darf den Arm ſchlingen um Euch — Er ſchlug mit der Fauſt auf Herrn Burkard's Grab — und der da unten ſchläft, ſoll mir's nicht wehren! Wenn er kommt, der Alte: ich laß' Euch nicht, und wir ſchweben wieder zum Thurm empor und ſitzen wo wir ſaßen, und leſen den Virgil zu Ende, und Ihr müßt die Roſe im Stirnband tragen, als wär' nichts geſchehen ... Dem Herzog ſchließen wir's Thor zu und über alle böſe Zungen lachen wir, und die Menſchen ſprechen dann, wenn ſie am Winterofen ſitzen: das iſt eine ſchöne Geſchichte vom treuen Ekkehard, der hat den Kaiſer Ermanrich erſchlagen, da er die Harlungen aufhing, und dann iſt er mit ſeinem weißen Stab vor Frau Venus Berg geſeſſen, viel hundert Jahr, und hat gemeint, er wolle bis zum jüngſten Tag die Leute warnen, die zum Berg wallen; ²⁴⁵⁾ aber hernachmals iſt's ihm lang- weilig worden und er ging durch und ward ein Mönch in Sanct

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Zitationshilfe: Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 306. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/328>, abgerufen am 22.11.2024.