du die Leiden der Welt auf dich genommen, laß ausgehn einen Strahl der Gnade auf mich Unwürdigen!" Er hob den Blick und schaute starr hinauf, als müsse das ernste Gebild aus der Wand niedersteigen und ihm die Hand reichen. "Ich liege vor dir, wie Petrus vom See- sturm umbraust, die Wellen tragen mich nicht, Herr, rette mich! Rette mich wie jenen, da du über die Sturmfluth wandelnd ihm die Hand gereicht und gesprochen: Kleingläubiger, warum zweifelst du?"
Aber es geschah kein Zeichen.
Ekkehard's Denken war zerrüttet.
Es rauschte durch die Capelle wie Frauengewand. Er hörte Nichts.
Frau Hadwig war heruntergestiegen, eine seltsame Anwandlung trieb sie. Seit sie dem Mönch gram geworden, stand das Bild ihres alten seligen Ehgemahls öfter vor ihrer Seele, denn ehedem. Na- türlich. Wenn sich dieser niederlegt, muß sich Jener heben. Das neuerliche Lesen im Virgilius hatte auch dazu beigetragen; es war so mannigfach vom Gedächtniß an Sichäus die Rede.
Morgen neute sich der Todestag Herrn Burkard's. In der Capelle lag der alte Herzog mit Schild und Lanze begraben. Eine rohe Platte deckte sein Grab, seitwärts vom Altar. Matt brannte die ewige Lampe drüber. Ein Sarkophag aus grauem Sandstein stand dabei, unförmliche kleine Halbsäulen mit jonisch gewundenem Knauf waren an den Ecken angefügt; sie ruhten auf fratzenhaften Thierge- stalten. Den Steinsarg hatte Frau Hadwig einst für sich selber an- fertigen lassen. Jeweils an des Herzogs Gedächtnißtag ließ sie ihn mit Korn und Früchten gefüllt hinauftragen und vertheilte seinen Inhalt den Armen -- die Mittel zum Leben aus der Ruhstatt der Todten: es war ein frommer Brauch so.242)
Sie wollte heute an ihres Gatten Grab beten. Des Ortes Halb- dunkel deckte den knieenden Ekkehard. Sie sah ihn nicht.
Da schreckte sie auf aus ihrer Andacht. Halblaut, aber schneidig schlug ein Lachen an ihr Ohr, sie kannte die Stimme. Ekkehard hatte sich erhoben, er sprach itzt die Worte des Psalms: "Beschirme mich, o Herr, unter dem Schatten deiner Flügel, beschirme mich vor dem Antlitz der Gottlosen, die mich plagen. Meine Feinde haben meine Seele umgeben; ihr Herz ist mir verschlossen, ihr Mund hat Hoch- muth geredet." Er sprach's mit bösem Tone. Das war kein Beten mehr.
du die Leiden der Welt auf dich genommen, laß ausgehn einen Strahl der Gnade auf mich Unwürdigen!“ Er hob den Blick und ſchaute ſtarr hinauf, als müſſe das ernſte Gebild aus der Wand niederſteigen und ihm die Hand reichen. „Ich liege vor dir, wie Petrus vom See- ſturm umbraust, die Wellen tragen mich nicht, Herr, rette mich! Rette mich wie jenen, da du über die Sturmfluth wandelnd ihm die Hand gereicht und geſprochen: Kleingläubiger, warum zweifelſt du?“
Aber es geſchah kein Zeichen.
Ekkehard's Denken war zerrüttet.
Es rauſchte durch die Capelle wie Frauengewand. Er hörte Nichts.
Frau Hadwig war heruntergeſtiegen, eine ſeltſame Anwandlung trieb ſie. Seit ſie dem Mönch gram geworden, ſtand das Bild ihres alten ſeligen Ehgemahls öfter vor ihrer Seele, denn ehedem. Na- türlich. Wenn ſich dieſer niederlegt, muß ſich Jener heben. Das neuerliche Leſen im Virgilius hatte auch dazu beigetragen; es war ſo mannigfach vom Gedächtniß an Sichäus die Rede.
Morgen neute ſich der Todestag Herrn Burkard's. In der Capelle lag der alte Herzog mit Schild und Lanze begraben. Eine rohe Platte deckte ſein Grab, ſeitwärts vom Altar. Matt brannte die ewige Lampe drüber. Ein Sarkophag aus grauem Sandſtein ſtand dabei, unförmliche kleine Halbſäulen mit joniſch gewundenem Knauf waren an den Ecken angefügt; ſie ruhten auf fratzenhaften Thierge- ſtalten. Den Steinſarg hatte Frau Hadwig einſt für ſich ſelber an- fertigen laſſen. Jeweils an des Herzogs Gedächtnißtag ließ ſie ihn mit Korn und Früchten gefüllt hinauftragen und vertheilte ſeinen Inhalt den Armen — die Mittel zum Leben aus der Ruhſtatt der Todten: es war ein frommer Brauch ſo.242)
Sie wollte heute an ihres Gatten Grab beten. Des Ortes Halb- dunkel deckte den knieenden Ekkehard. Sie ſah ihn nicht.
Da ſchreckte ſie auf aus ihrer Andacht. Halblaut, aber ſchneidig ſchlug ein Lachen an ihr Ohr, ſie kannte die Stimme. Ekkehard hatte ſich erhoben, er ſprach itzt die Worte des Pſalms: „Beſchirme mich, o Herr, unter dem Schatten deiner Flügel, beſchirme mich vor dem Antlitz der Gottloſen, die mich plagen. Meine Feinde haben meine Seele umgeben; ihr Herz iſt mir verſchloſſen, ihr Mund hat Hoch- muth geredet.“ Er ſprach's mit böſem Tone. Das war kein Beten mehr.
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du die Leiden der Welt auf dich genommen, laß ausgehn einen Strahl
der Gnade auf mich Unwürdigen!“ Er hob den Blick und ſchaute
ſtarr hinauf, als müſſe das ernſte Gebild aus der Wand niederſteigen
und ihm die Hand reichen. „Ich liege vor dir, wie Petrus vom See-
ſturm umbraust, die Wellen tragen mich nicht, Herr, rette mich!
Rette mich wie jenen, da du über die Sturmfluth wandelnd ihm die
Hand gereicht und geſprochen: Kleingläubiger, warum zweifelſt du?“
Aber es geſchah kein Zeichen.
Ekkehard's Denken war zerrüttet.
Es rauſchte durch die Capelle wie Frauengewand. Er hörte Nichts.
Frau Hadwig war heruntergeſtiegen, eine ſeltſame Anwandlung
trieb ſie. Seit ſie dem Mönch gram geworden, ſtand das Bild ihres
alten ſeligen Ehgemahls öfter vor ihrer Seele, denn ehedem. Na-
türlich. Wenn ſich dieſer niederlegt, muß ſich Jener heben. Das
neuerliche Leſen im Virgilius hatte auch dazu beigetragen; es war
ſo mannigfach vom Gedächtniß an Sichäus die Rede.
Morgen neute ſich der Todestag Herrn Burkard's. In der Capelle
lag der alte Herzog mit Schild und Lanze begraben. Eine rohe
Platte deckte ſein Grab, ſeitwärts vom Altar. Matt brannte die
ewige Lampe drüber. Ein Sarkophag aus grauem Sandſtein ſtand
dabei, unförmliche kleine Halbſäulen mit joniſch gewundenem Knauf
waren an den Ecken angefügt; ſie ruhten auf fratzenhaften Thierge-
ſtalten. Den Steinſarg hatte Frau Hadwig einſt für ſich ſelber an-
fertigen laſſen. Jeweils an des Herzogs Gedächtnißtag ließ ſie ihn
mit Korn und Früchten gefüllt hinauftragen und vertheilte ſeinen
Inhalt den Armen — die Mittel zum Leben aus der Ruhſtatt der
Todten: es war ein frommer Brauch ſo.
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Sie wollte heute an ihres Gatten Grab beten. Des Ortes Halb-
dunkel deckte den knieenden Ekkehard. Sie ſah ihn nicht.
Da ſchreckte ſie auf aus ihrer Andacht. Halblaut, aber ſchneidig
ſchlug ein Lachen an ihr Ohr, ſie kannte die Stimme. Ekkehard hatte
ſich erhoben, er ſprach itzt die Worte des Pſalms: „Beſchirme mich,
o Herr, unter dem Schatten deiner Flügel, beſchirme mich vor dem
Antlitz der Gottloſen, die mich plagen. Meine Feinde haben meine
Seele umgeben; ihr Herz iſt mir verſchloſſen, ihr Mund hat Hoch-
muth geredet.“ Er ſprach's mit böſem Tone. Das war kein Beten mehr.
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Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 304. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/326>, abgerufen am 25.11.2024.
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