Ich glaube, er hat die Zurechtweisung verdient, sprach sie.
Da sprang Praxedis auf: Unser braver Lehrer verdient manche Zurechtweisung, rief sie, aber das sollte unsere Sache sein. Wenn wir ihm seine blöde Schwerfälligkeit wegschulmeistern, thun wir ein gutes Werk. Aber wenn Einer mit dem Balken im Aug' dem An- dern den Splitter vorwirft, das ist zu arg. Die bösen Mönche haben das nur angebracht, um ihn anzuschwärzen. Darf ich's zum Fenster hinauswerfen, gnädige Herrin?
Wir haben Euch weder um Ekkehard's Erziehung noch um Wer- fung eines Gastgeschenks zum Fenster hinaus ersucht, sprach die Her- zogin bitter. Praxedis schwieg.
Die Herzogin konnte sich von der eleganten Schmähschrift lange nicht trennen. Ihre Gedanken waren dem blonden Mönch nicht mehr zugewendet wie damals, als er sie über den Hof des heimischen Klo- sters trug. Im Augenblick überschwänglichen Gefühls nicht verstan- den werden, ist gleich der Verschmähung, der Stachel weicht nicht wieder. Wenn sie ihn jetzt erschaute, pochte das Herz nicht in hö- herem Schlag; oft war's Mitleid, was ihre Blicke ihm noch zuführte, aber nicht jenes süße Mitleid, aus dem die Liebe aufsprießt wie aus kühlem Grunde die Lilie -- es barg einen bösen Keim von Gering- schätzung in sich.
Durch Gunzo's Schmähschrift ward auch das Wissen, das die Frauen seither hoch an ihm gehalten, in Staub gezogen, was blieb noch Gutes? Das stille Weben und Träumen seiner Seele verstand die Herzogin nicht, zarte Scheu ist in Anderer Augen Thorheit. Daß er in der Frühe ausgegangen, das hohe Lied zu lesen, war zu spät; er hätte das im vorigen Herbst thun sollen ...
Der Abend dunkelte.
Ist Ekkehard heimgekehrt? fragte die Herzogin.
Nein, sprach Praxedis, Herr Spazzo auch nicht.
Dann nimm den Leuchter, befahl Frau Hadwig, und trage die Pergamentblätter auf Ekkehard's Thurmstube. Er darf nicht unun- terrichtet bleiben von seiner Mitbrüder Werken.
Die Griechin gehorchte, aber unfroh. In der Thurmstube droben war schwüle Hitze. Ungeordnet lagen Bücher und Geräthschaften um- her; auf dem Eichentisch war das Evangelium des Matthäus aufge-
Ich glaube, er hat die Zurechtweiſung verdient, ſprach ſie.
Da ſprang Praxedis auf: Unſer braver Lehrer verdient manche Zurechtweiſung, rief ſie, aber das ſollte unſere Sache ſein. Wenn wir ihm ſeine blöde Schwerfälligkeit wegſchulmeiſtern, thun wir ein gutes Werk. Aber wenn Einer mit dem Balken im Aug' dem An- dern den Splitter vorwirft, das iſt zu arg. Die böſen Mönche haben das nur angebracht, um ihn anzuſchwärzen. Darf ich's zum Fenſter hinauswerfen, gnädige Herrin?
Wir haben Euch weder um Ekkehard's Erziehung noch um Wer- fung eines Gaſtgeſchenks zum Fenſter hinaus erſucht, ſprach die Her- zogin bitter. Praxedis ſchwieg.
Die Herzogin konnte ſich von der eleganten Schmähſchrift lange nicht trennen. Ihre Gedanken waren dem blonden Mönch nicht mehr zugewendet wie damals, als er ſie über den Hof des heimiſchen Klo- ſters trug. Im Augenblick überſchwänglichen Gefühls nicht verſtan- den werden, iſt gleich der Verſchmähung, der Stachel weicht nicht wieder. Wenn ſie ihn jetzt erſchaute, pochte das Herz nicht in hö- herem Schlag; oft war's Mitleid, was ihre Blicke ihm noch zuführte, aber nicht jenes ſüße Mitleid, aus dem die Liebe aufſprießt wie aus kühlem Grunde die Lilie — es barg einen böſen Keim von Gering- ſchätzung in ſich.
Durch Gunzo's Schmähſchrift ward auch das Wiſſen, das die Frauen ſeither hoch an ihm gehalten, in Staub gezogen, was blieb noch Gutes? Das ſtille Weben und Träumen ſeiner Seele verſtand die Herzogin nicht, zarte Scheu iſt in Anderer Augen Thorheit. Daß er in der Frühe ausgegangen, das hohe Lied zu leſen, war zu ſpät; er hätte das im vorigen Herbſt thun ſollen ...
Der Abend dunkelte.
Iſt Ekkehard heimgekehrt? fragte die Herzogin.
Nein, ſprach Praxedis, Herr Spazzo auch nicht.
Dann nimm den Leuchter, befahl Frau Hadwig, und trage die Pergamentblätter auf Ekkehard's Thurmſtube. Er darf nicht unun- terrichtet bleiben von ſeiner Mitbrüder Werken.
Die Griechin gehorchte, aber unfroh. In der Thurmſtube droben war ſchwüle Hitze. Ungeordnet lagen Bücher und Geräthſchaften um- her; auf dem Eichentiſch war das Evangelium des Matthäus aufge-
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Ich glaube, er hat die Zurechtweiſung verdient, ſprach ſie.
Da ſprang Praxedis auf: Unſer braver Lehrer verdient manche
Zurechtweiſung, rief ſie, aber das ſollte unſere Sache ſein. Wenn
wir ihm ſeine blöde Schwerfälligkeit wegſchulmeiſtern, thun wir ein
gutes Werk. Aber wenn Einer mit dem Balken im Aug' dem An-
dern den Splitter vorwirft, das iſt zu arg. Die böſen Mönche haben
das nur angebracht, um ihn anzuſchwärzen. Darf ich's zum Fenſter
hinauswerfen, gnädige Herrin?
Wir haben Euch weder um Ekkehard's Erziehung noch um Wer-
fung eines Gaſtgeſchenks zum Fenſter hinaus erſucht, ſprach die Her-
zogin bitter. Praxedis ſchwieg.
Die Herzogin konnte ſich von der eleganten Schmähſchrift lange
nicht trennen. Ihre Gedanken waren dem blonden Mönch nicht mehr
zugewendet wie damals, als er ſie über den Hof des heimiſchen Klo-
ſters trug. Im Augenblick überſchwänglichen Gefühls nicht verſtan-
den werden, iſt gleich der Verſchmähung, der Stachel weicht nicht
wieder. Wenn ſie ihn jetzt erſchaute, pochte das Herz nicht in hö-
herem Schlag; oft war's Mitleid, was ihre Blicke ihm noch zuführte,
aber nicht jenes ſüße Mitleid, aus dem die Liebe aufſprießt wie aus
kühlem Grunde die Lilie — es barg einen böſen Keim von Gering-
ſchätzung in ſich.
Durch Gunzo's Schmähſchrift ward auch das Wiſſen, das die
Frauen ſeither hoch an ihm gehalten, in Staub gezogen, was blieb
noch Gutes? Das ſtille Weben und Träumen ſeiner Seele verſtand
die Herzogin nicht, zarte Scheu iſt in Anderer Augen Thorheit. Daß
er in der Frühe ausgegangen, das hohe Lied zu leſen, war zu ſpät;
er hätte das im vorigen Herbſt thun ſollen ...
Der Abend dunkelte.
Iſt Ekkehard heimgekehrt? fragte die Herzogin.
Nein, ſprach Praxedis, Herr Spazzo auch nicht.
Dann nimm den Leuchter, befahl Frau Hadwig, und trage die
Pergamentblätter auf Ekkehard's Thurmſtube. Er darf nicht unun-
terrichtet bleiben von ſeiner Mitbrüder Werken.
Die Griechin gehorchte, aber unfroh. In der Thurmſtube droben
war ſchwüle Hitze. Ungeordnet lagen Bücher und Geräthſchaften um-
her; auf dem Eichentiſch war das Evangelium des Matthäus aufge-
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Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 267. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/289>, abgerufen am 31.01.2025.
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