Unbeschadet der landesherrlichen Rechte! sprach er grimm, wie er mit dem Abt anstieß. Unbeschadet! antwortete der mit einem Sei- tenblick.
Es war die fünfte Abendstunde, da schallte ein Glöcklein durch's Kloster. Verzeihet, sprach der Abt, wir müssen zur Vesper, wollet Ihr mit?
Ich werd' Euch lieber erwarten, entgegnete Herr Spazzo und schaute in den dunkeln Hals des Steinkrugs. Es wogte drin noch sattsamer Bedarf für eine Stunde. Da ließ er die Mönche ihren Vespersang halten und trank einsam weiter.
Wieder war eine Stunde abgelaufen, da besann er sich, weßhalb er eigentlich in's Kloster herüber geritten. Es fiel ihm nimmer deut- lich ein. Jetzt kam der Abt zu ihm zurück.
Wie habt Ihr Euch unterhalten? fragte er.
Gut! sprach Herr Spazzo. Der Krug war leer.
Ich weiß nicht ... begann der Abt.
Doch! sprach Herr Spazzo und nickte mit dem Haupt. Da kam der dritte Krug.
Inzwischen kehrte Rudimann von seinem Ausritt heim, die Abend- sonne neigte sich zum Untergehen, der Himmel färbte sich glühend, purpurne Streiflichter fielen durch's schmale Fenster auf die Zechenden.
Wie Herr Spazzo wieder mit dem Abte anstieß, glänzte der Roth- wein wie feurig Gold im Pocal und er sah einen Schein der Ver- klärung um des Abts Haupt flimmern. Er besann sich. Beim Le- ben Hadwig's,219) sprach er feierlich, wer seid Ihr?
Der Abt verstand ihn nicht. Was habt Ihr gesagt? fragte er. Da kannte Herr Spazzo die Stimme wieder. Ja so! rief er und schlug mit der Faust auf den Tisch, den landesherrlichen Rechten soll durch klösterliche Anmaßung kein Eintrag geschehen!
Gewiß nicht! sagte der Abt.
Da fühlte der Kämmerer einen fliegenden Stich in der Stirn220) den kannte er wohl und pflegte ihn den "Wecker" zu heißen. Der Wecker kam nur, wenn er beim Weine saß; wenn er durch's Haupt brauste, so war's ein Signal, daß in Frist einer halben Stunde die Zunge gelähmt sei und das Wort versage. Kam der Wecker zum zweitenmal, so drohte die Lähmung den Füßen. Da erhob er sich.
Unbeſchadet der landesherrlichen Rechte! ſprach er grimm, wie er mit dem Abt anſtieß. Unbeſchadet! antwortete der mit einem Sei- tenblick.
Es war die fünfte Abendſtunde, da ſchallte ein Glöcklein durch's Kloſter. Verzeihet, ſprach der Abt, wir müſſen zur Vesper, wollet Ihr mit?
Ich werd' Euch lieber erwarten, entgegnete Herr Spazzo und ſchaute in den dunkeln Hals des Steinkrugs. Es wogte drin noch ſattſamer Bedarf für eine Stunde. Da ließ er die Mönche ihren Vesperſang halten und trank einſam weiter.
Wieder war eine Stunde abgelaufen, da beſann er ſich, weßhalb er eigentlich in's Kloſter herüber geritten. Es fiel ihm nimmer deut- lich ein. Jetzt kam der Abt zu ihm zurück.
Wie habt Ihr Euch unterhalten? fragte er.
Gut! ſprach Herr Spazzo. Der Krug war leer.
Ich weiß nicht ... begann der Abt.
Doch! ſprach Herr Spazzo und nickte mit dem Haupt. Da kam der dritte Krug.
Inzwiſchen kehrte Rudimann von ſeinem Ausritt heim, die Abend- ſonne neigte ſich zum Untergehen, der Himmel färbte ſich glühend, purpurne Streiflichter fielen durch's ſchmale Fenſter auf die Zechenden.
Wie Herr Spazzo wieder mit dem Abte anſtieß, glänzte der Roth- wein wie feurig Gold im Pocal und er ſah einen Schein der Ver- klärung um des Abts Haupt flimmern. Er beſann ſich. Beim Le- ben Hadwig's,219) ſprach er feierlich, wer ſeid Ihr?
Der Abt verſtand ihn nicht. Was habt Ihr geſagt? fragte er. Da kannte Herr Spazzo die Stimme wieder. Ja ſo! rief er und ſchlug mit der Fauſt auf den Tiſch, den landesherrlichen Rechten ſoll durch klöſterliche Anmaßung kein Eintrag geſchehen!
Gewiß nicht! ſagte der Abt.
Da fühlte der Kämmerer einen fliegenden Stich in der Stirn220) den kannte er wohl und pflegte ihn den „Wecker“ zu heißen. Der Wecker kam nur, wenn er beim Weine ſaß; wenn er durch's Haupt brauste, ſo war's ein Signal, daß in Friſt einer halben Stunde die Zunge gelähmt ſei und das Wort verſage. Kam der Wecker zum zweitenmal, ſo drohte die Lähmung den Füßen. Da erhob er ſich.
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Unbeſchadet der landesherrlichen Rechte! ſprach er grimm, wie er
mit dem Abt anſtieß. Unbeſchadet! antwortete der mit einem Sei-
tenblick.
Es war die fünfte Abendſtunde, da ſchallte ein Glöcklein durch's
Kloſter. Verzeihet, ſprach der Abt, wir müſſen zur Vesper, wollet
Ihr mit?
Ich werd' Euch lieber erwarten, entgegnete Herr Spazzo und
ſchaute in den dunkeln Hals des Steinkrugs. Es wogte drin noch
ſattſamer Bedarf für eine Stunde. Da ließ er die Mönche ihren
Vesperſang halten und trank einſam weiter.
Wieder war eine Stunde abgelaufen, da beſann er ſich, weßhalb
er eigentlich in's Kloſter herüber geritten. Es fiel ihm nimmer deut-
lich ein. Jetzt kam der Abt zu ihm zurück.
Wie habt Ihr Euch unterhalten? fragte er.
Gut! ſprach Herr Spazzo. Der Krug war leer.
Ich weiß nicht ... begann der Abt.
Doch! ſprach Herr Spazzo und nickte mit dem Haupt. Da kam
der dritte Krug.
Inzwiſchen kehrte Rudimann von ſeinem Ausritt heim, die Abend-
ſonne neigte ſich zum Untergehen, der Himmel färbte ſich glühend,
purpurne Streiflichter fielen durch's ſchmale Fenſter auf die Zechenden.
Wie Herr Spazzo wieder mit dem Abte anſtieß, glänzte der Roth-
wein wie feurig Gold im Pocal und er ſah einen Schein der Ver-
klärung um des Abts Haupt flimmern. Er beſann ſich. Beim Le-
ben Hadwig's,
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ſprach er feierlich, wer ſeid Ihr?
Der Abt verſtand ihn nicht. Was habt Ihr geſagt? fragte er.
Da kannte Herr Spazzo die Stimme wieder. Ja ſo! rief er und
ſchlug mit der Fauſt auf den Tiſch, den landesherrlichen Rechten ſoll
durch klöſterliche Anmaßung kein Eintrag geſchehen!
Gewiß nicht! ſagte der Abt.
Da fühlte der Kämmerer einen fliegenden Stich in der Stirn
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den kannte er wohl und pflegte ihn den „Wecker“ zu heißen. Der
Wecker kam nur, wenn er beim Weine ſaß; wenn er durch's Haupt
brauste, ſo war's ein Signal, daß in Friſt einer halben Stunde die
Zunge gelähmt ſei und das Wort verſage. Kam der Wecker zum
zweitenmal, ſo drohte die Lähmung den Füßen. Da erhob er ſich.
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Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 262. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/284>, abgerufen am 24.07.2024.
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