ist so ruchlos, daß er solche Weise des Sprechens zu tadeln wage oder zu verändern? Mit Falschheit also glaubt des heiligen Gallus Mönchlein, daß mir die Kunst der Grammatik fern, mag meine Zunge auch dann und wann gehemmt sein durch die Gewohnheit meiner hei- mischen Sprache, die der lateinischen nur verwandt ist. Verstöße aber kommen vor durch Nachlässigkeit und menschliche Unvollendetheit im Allgemeinen, wie Priscianus sehr richtig sagt: "ich glaube nicht, daß von menschlichen Erfindungen etwas nach allen Theilen Vollendetes erfunden werden möge." Auch hat schon Horatius Nachlässigkeiten der Schreibart und Sprache bei bedeutenderen Männern entschuldigt: "zu- weilen schlummert auch der gute Homer." Und Aristoteles sagt in sei- nem Buch über die hermeneia: Alles was unsere Zunge ausspricht, ist nur ein Ausdruck für das, was unserer Seele eingeprägt ist. Der Begriff einer Sache aber ist früher vorhanden als der Ausdruck, und somit die Sache höher zu schätzen denn das Wort. Wo aber der Sinn dunkel, sollst du ihm mit Geduld und erläuterndem Verstand behilflich sein, die wahre Meinung zu ermitteln."
Folgte sodann ein Schwall classischer Beispiele von ungeschicktem und nachlässigem Ausdruck des Gedankens, deren Reihe mit dem Spruch des Apostels schließt, der sich selber ungeschickt im Reden, aber nicht ungeschickt an Wissen genannt.
"Betrachtet man hienach das Benehmen meines sanct gallischen Widersachers, so möchte man glauben, er sei einmal in den Garten eines weisen Mannes eingebrochen und habe vom Mistbeet einen Ret- tig gestohlen, der ihm den Magen verdorben und Galle angesetzt. Hüte darum jeder sein Gärtlein vor solchen Gesellen. Schlechte Ge- spräche verderben gute Sitten.
"Möglich auch, daß er durchaus nicht anders sich benehmen konnte. Er hat wohl den ganzen Tag in den Schlupfwinkeln seiner Kutte nachgesucht, womit er den Gastfreund bewirthen möge, aber weil er nichts Anderes als verborgene List und Bosheit drin vorfand, setzte er eben davon ein Pröbchen vor. Schlechte Menschen haben schlechte Schätze.
"Mit solchem Wesen stimmt denn sein äußeres Erscheinen, das wir sorgsam zu mustern nicht unterließen. Sein Antlitz trug einen fahlen Glanz wie schlechtes Metall, das zur Fälschung des ächten dient, seine
iſt ſo ruchlos, daß er ſolche Weiſe des Sprechens zu tadeln wage oder zu verändern? Mit Falſchheit alſo glaubt des heiligen Gallus Mönchlein, daß mir die Kunſt der Grammatik fern, mag meine Zunge auch dann und wann gehemmt ſein durch die Gewohnheit meiner hei- miſchen Sprache, die der lateiniſchen nur verwandt iſt. Verſtöße aber kommen vor durch Nachläſſigkeit und menſchliche Unvollendetheit im Allgemeinen, wie Priscianus ſehr richtig ſagt: „ich glaube nicht, daß von menſchlichen Erfindungen etwas nach allen Theilen Vollendetes erfunden werden möge.“ Auch hat ſchon Horatius Nachläſſigkeiten der Schreibart und Sprache bei bedeutenderen Männern entſchuldigt: „zu- weilen ſchlummert auch der gute Homer.“ Und Ariſtoteles ſagt in ſei- nem Buch über die hermeneia: Alles was unſere Zunge ausſpricht, iſt nur ein Ausdruck für das, was unſerer Seele eingeprägt iſt. Der Begriff einer Sache aber iſt früher vorhanden als der Ausdruck, und ſomit die Sache höher zu ſchätzen denn das Wort. Wo aber der Sinn dunkel, ſollſt du ihm mit Geduld und erläuterndem Verſtand behilflich ſein, die wahre Meinung zu ermitteln.“
Folgte ſodann ein Schwall claſſiſcher Beiſpiele von ungeſchicktem und nachläſſigem Ausdruck des Gedankens, deren Reihe mit dem Spruch des Apoſtels ſchließt, der ſich ſelber ungeſchickt im Reden, aber nicht ungeſchickt an Wiſſen genannt.
„Betrachtet man hienach das Benehmen meines ſanct galliſchen Widerſachers, ſo möchte man glauben, er ſei einmal in den Garten eines weiſen Mannes eingebrochen und habe vom Miſtbeet einen Ret- tig geſtohlen, der ihm den Magen verdorben und Galle angeſetzt. Hüte darum jeder ſein Gärtlein vor ſolchen Geſellen. Schlechte Ge- ſpräche verderben gute Sitten.
„Möglich auch, daß er durchaus nicht anders ſich benehmen konnte. Er hat wohl den ganzen Tag in den Schlupfwinkeln ſeiner Kutte nachgeſucht, womit er den Gaſtfreund bewirthen möge, aber weil er nichts Anderes als verborgene Liſt und Bosheit drin vorfand, ſetzte er eben davon ein Pröbchen vor. Schlechte Menſchen haben ſchlechte Schätze.
„Mit ſolchem Weſen ſtimmt denn ſein äußeres Erſcheinen, das wir ſorgſam zu muſtern nicht unterließen. Sein Antlitz trug einen fahlen Glanz wie ſchlechtes Metall, das zur Fälſchung des ächten dient, ſeine
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iſt ſo ruchlos, daß er ſolche Weiſe des Sprechens zu tadeln wage
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auch dann und wann gehemmt ſein durch die Gewohnheit meiner hei-
miſchen Sprache, die der lateiniſchen nur verwandt iſt. Verſtöße aber
kommen vor durch Nachläſſigkeit und menſchliche Unvollendetheit im
Allgemeinen, wie Priscianus ſehr richtig ſagt: „ich glaube nicht, daß
von menſchlichen Erfindungen etwas nach allen Theilen Vollendetes
erfunden werden möge.“ Auch hat ſchon Horatius Nachläſſigkeiten der
Schreibart und Sprache bei bedeutenderen Männern entſchuldigt: „zu-
weilen ſchlummert auch der gute Homer.“ Und Ariſtoteles ſagt in ſei-
nem Buch über die hermeneia: Alles was unſere Zunge ausſpricht,
iſt nur ein Ausdruck für das, was unſerer Seele eingeprägt iſt. Der
Begriff einer Sache aber iſt früher vorhanden als der Ausdruck, und
ſomit die Sache höher zu ſchätzen denn das Wort. Wo aber der
Sinn dunkel, ſollſt du ihm mit Geduld und erläuterndem Verſtand
behilflich ſein, die wahre Meinung zu ermitteln.“
Folgte ſodann ein Schwall claſſiſcher Beiſpiele von ungeſchicktem
und nachläſſigem Ausdruck des Gedankens, deren Reihe mit dem Spruch
des Apoſtels ſchließt, der ſich ſelber ungeſchickt im Reden, aber nicht
ungeſchickt an Wiſſen genannt.
„Betrachtet man hienach das Benehmen meines ſanct galliſchen
Widerſachers, ſo möchte man glauben, er ſei einmal in den Garten
eines weiſen Mannes eingebrochen und habe vom Miſtbeet einen Ret-
tig geſtohlen, der ihm den Magen verdorben und Galle angeſetzt.
Hüte darum jeder ſein Gärtlein vor ſolchen Geſellen. Schlechte Ge-
ſpräche verderben gute Sitten.
„Möglich auch, daß er durchaus nicht anders ſich benehmen
konnte.
Er hat wohl den ganzen Tag in den Schlupfwinkeln ſeiner Kutte
nachgeſucht, womit er den Gaſtfreund bewirthen möge, aber weil er
nichts Anderes als verborgene Liſt und Bosheit drin vorfand, ſetzte er
eben davon ein Pröbchen vor. Schlechte Menſchen haben ſchlechte
Schätze.
„Mit ſolchem Weſen ſtimmt denn ſein äußeres Erſcheinen, das wir
ſorgſam zu muſtern nicht unterließen. Sein Antlitz trug einen fahlen
Glanz wie ſchlechtes Metall, das zur Fälſchung des ächten dient, ſeine
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Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 237. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/259>, abgerufen am 23.12.2024.
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