Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

da verführte mich ein ungünstig Geschick, daß ich im Hin- und
Herreden lateinischen Tischgespräches eines Verstoßes im Gebrauch eines
Casus schuldig ward, und einen Accusativus setzte, wo ein
Ablativus sich geziemt hätte
.

"Nun ward offenbar, in welcher Art Künsten jener vielberühmte
Lehrer den ganzen Tag seinen Schüler unterwiesen. "Solch Ver-
brechen wider Sprache und Grammatik verdiene die Schulgeißel!"
also spottete das benannte Studentlein mich den Erprobten und kramte
bei diesem Anlaß ein höhnisches Spottgedicht aus, das ihm eben jener
Lehrer eingeblasen, also daß ein rauhes cisalpinisches Gelächter über
den fremden Gastfreund durch's Refectorium erschallte.

"Wem aber ist unbekannt, welcher Beschaffenheit die Verse über-
müthig gewordener Mönche sind? Was weiß ein solcher von der in-
neren Haushaltung eines Gedichtes, wo ein Stück Purpur an's andere
zu setzen ist, auf daß es glänze und gleiße? was von der Würde der
Dichtkunst? -- er spitzt die Lippen und spuckt ein Poem aus, gleich
dem Lucilius den Horazius brandmarkt, daß er oftmals auf einem
Fuße stehend, zweihundert Verse dictirte und mehr noch, bevor ein
Stündlein abgelaufen. Ermesset nun, ehrwürdige Brüder, welch' ein
Maß von Unrecht man mir angethan, und was der für ein Mensch
sein muß, der seinem Nebenmenschen den Irrthum eines Ablativus
vorhält!"


Der Mensch, der in harmlosem Scherz diesen Frevel begangen,
war Ekkehard; wenig Wochen bevor ihn seines Schicksals Wendung
auf den hohen Twiel rief, geschah die Unthat. Mit des folgenden
Morgens Frühroth war das Tischgespräch mit dem übermüthigen
Welschen vergessen, aber in der Brust dessen, den sie des falschen
Accusativus überwiesen, saß ein Groll so herb und nagend, wie der
ob der Waffen Achills, der einst den Telamonier Aias in sein Schwert
gejagt und noch bei den Schatten der Unterwelt seitab zürnen ließ;
er zog aus dem Thal, das die Sitter durchströmt, nordwärts, er sah
Bodensee und Rhein, -- und dachte des Accusativus; er ritt in den
altersgrauen Thoren von Köln ein und ritt hinüber auf belgische Erde,
der falsche Accusativus ritt hinter ihm auf dem Bug seines Rosses
wie ein Alp; die Klostermauern des heiligen Amandus thaten ihm
ihren Frieden auf: im Psalmsingen der Frühmette, in der Litanei

da verführte mich ein ungünſtig Geſchick, daß ich im Hin- und
Herreden lateiniſchen Tiſchgeſpräches eines Verſtoßes im Gebrauch eines
Caſus ſchuldig ward, und einen Accuſativus ſetzte, wo ein
Ablativus ſich geziemt hätte
.

„Nun ward offenbar, in welcher Art Künſten jener vielberühmte
Lehrer den ganzen Tag ſeinen Schüler unterwieſen. „Solch Ver-
brechen wider Sprache und Grammatik verdiene die Schulgeißel!“
alſo ſpottete das benannte Studentlein mich den Erprobten und kramte
bei dieſem Anlaß ein höhniſches Spottgedicht aus, das ihm eben jener
Lehrer eingeblaſen, alſo daß ein rauhes cisalpiniſches Gelächter über
den fremden Gaſtfreund durch's Refectorium erſchallte.

„Wem aber iſt unbekannt, welcher Beſchaffenheit die Verſe über-
müthig gewordener Mönche ſind? Was weiß ein ſolcher von der in-
neren Haushaltung eines Gedichtes, wo ein Stück Purpur an's andere
zu ſetzen iſt, auf daß es glänze und gleiße? was von der Würde der
Dichtkunſt? — er ſpitzt die Lippen und ſpuckt ein Poem aus, gleich
dem Lucilius den Horazius brandmarkt, daß er oftmals auf einem
Fuße ſtehend, zweihundert Verſe dictirte und mehr noch, bevor ein
Stündlein abgelaufen. Ermeſſet nun, ehrwürdige Brüder, welch' ein
Maß von Unrecht man mir angethan, und was der für ein Menſch
ſein muß, der ſeinem Nebenmenſchen den Irrthum eines Ablativus
vorhält!“


Der Menſch, der in harmloſem Scherz dieſen Frevel begangen,
war Ekkehard; wenig Wochen bevor ihn ſeines Schickſals Wendung
auf den hohen Twiel rief, geſchah die Unthat. Mit des folgenden
Morgens Frühroth war das Tiſchgeſpräch mit dem übermüthigen
Welſchen vergeſſen, aber in der Bruſt deſſen, den ſie des falſchen
Accuſativus überwieſen, ſaß ein Groll ſo herb und nagend, wie der
ob der Waffen Achills, der einſt den Telamonier Aias in ſein Schwert
gejagt und noch bei den Schatten der Unterwelt ſeitab zürnen ließ;
er zog aus dem Thal, das die Sitter durchſtrömt, nordwärts, er ſah
Bodenſee und Rhein, — und dachte des Accuſativus; er ritt in den
altersgrauen Thoren von Köln ein und ritt hinüber auf belgiſche Erde,
der falſche Accuſativus ritt hinter ihm auf dem Bug ſeines Roſſes
wie ein Alp; die Kloſtermauern des heiligen Amandus thaten ihm
ihren Frieden auf: im Pſalmſingen der Frühmette, in der Litanei

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <cit>
          <quote>
            <p><pb facs="#f0257" n="235"/>
da verführte mich ein ungün&#x017F;tig Ge&#x017F;chick, daß ich im Hin- und<lb/>
Herreden lateini&#x017F;chen Ti&#x017F;chge&#x017F;präches eines Ver&#x017F;toßes im Gebrauch eines<lb/>
Ca&#x017F;us &#x017F;chuldig ward, <hi rendition="#g">und einen Accu&#x017F;ativus &#x017F;etzte, wo ein<lb/>
Ablativus &#x017F;ich geziemt hätte</hi>.</p><lb/>
            <p>&#x201E;Nun ward offenbar, in welcher Art Kün&#x017F;ten jener vielberühmte<lb/>
Lehrer den ganzen Tag &#x017F;einen Schüler unterwie&#x017F;en. &#x201E;Solch Ver-<lb/>
brechen wider Sprache und Grammatik verdiene die Schulgeißel!&#x201C;<lb/>
al&#x017F;o &#x017F;pottete das benannte Studentlein mich den Erprobten und kramte<lb/>
bei die&#x017F;em Anlaß ein höhni&#x017F;ches Spottgedicht aus, das ihm eben jener<lb/>
Lehrer eingebla&#x017F;en, al&#x017F;o daß ein rauhes cisalpini&#x017F;ches Gelächter über<lb/>
den fremden Ga&#x017F;tfreund durch's Refectorium er&#x017F;challte.</p><lb/>
            <p>&#x201E;Wem aber i&#x017F;t unbekannt, welcher Be&#x017F;chaffenheit die Ver&#x017F;e über-<lb/>
müthig gewordener Mönche &#x017F;ind? Was weiß ein &#x017F;olcher von der in-<lb/>
neren Haushaltung eines Gedichtes, wo ein Stück Purpur an's andere<lb/>
zu &#x017F;etzen i&#x017F;t, auf daß es glänze und gleiße? was von der Würde der<lb/>
Dichtkun&#x017F;t? &#x2014; er &#x017F;pitzt die Lippen und &#x017F;puckt ein Poem aus, gleich<lb/>
dem Lucilius den Horazius brandmarkt, daß er oftmals auf einem<lb/>
Fuße &#x017F;tehend, zweihundert Ver&#x017F;e dictirte und mehr noch, bevor ein<lb/>
Stündlein abgelaufen. Erme&#x017F;&#x017F;et nun, ehrwürdige Brüder, welch' ein<lb/>
Maß von Unrecht man mir angethan, und was der für ein Men&#x017F;ch<lb/>
&#x017F;ein muß, der &#x017F;einem Nebenmen&#x017F;chen den Irrthum eines Ablativus<lb/>
vorhält!&#x201C;</p>
          </quote>
        </cit><lb/>
        <p>Der Men&#x017F;ch, der in harmlo&#x017F;em Scherz die&#x017F;en Frevel begangen,<lb/>
war Ekkehard; wenig Wochen bevor ihn &#x017F;eines Schick&#x017F;als Wendung<lb/>
auf den hohen Twiel rief, ge&#x017F;chah die Unthat. Mit des folgenden<lb/>
Morgens Frühroth war das Ti&#x017F;chge&#x017F;präch mit dem übermüthigen<lb/>
Wel&#x017F;chen verge&#x017F;&#x017F;en, aber in der Bru&#x017F;t de&#x017F;&#x017F;en, den &#x017F;ie des fal&#x017F;chen<lb/>
Accu&#x017F;ativus überwie&#x017F;en, &#x017F;aß ein Groll &#x017F;o herb und nagend, wie der<lb/>
ob der Waffen Achills, der ein&#x017F;t den Telamonier Aias in &#x017F;ein Schwert<lb/>
gejagt und noch bei den Schatten der Unterwelt &#x017F;eitab zürnen ließ;<lb/>
er zog aus dem Thal, das die Sitter durch&#x017F;trömt, nordwärts, er &#x017F;ah<lb/>
Boden&#x017F;ee und Rhein, &#x2014; und dachte des Accu&#x017F;ativus; er ritt in den<lb/>
altersgrauen Thoren von Köln ein und ritt hinüber auf belgi&#x017F;che Erde,<lb/>
der fal&#x017F;che Accu&#x017F;ativus ritt hinter ihm auf dem Bug &#x017F;eines Ro&#x017F;&#x017F;es<lb/>
wie ein Alp; die Klo&#x017F;termauern des heiligen Amandus thaten ihm<lb/>
ihren Frieden auf: im P&#x017F;alm&#x017F;ingen der Frühmette, in der Litanei<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[235/0257] da verführte mich ein ungünſtig Geſchick, daß ich im Hin- und Herreden lateiniſchen Tiſchgeſpräches eines Verſtoßes im Gebrauch eines Caſus ſchuldig ward, und einen Accuſativus ſetzte, wo ein Ablativus ſich geziemt hätte. „Nun ward offenbar, in welcher Art Künſten jener vielberühmte Lehrer den ganzen Tag ſeinen Schüler unterwieſen. „Solch Ver- brechen wider Sprache und Grammatik verdiene die Schulgeißel!“ alſo ſpottete das benannte Studentlein mich den Erprobten und kramte bei dieſem Anlaß ein höhniſches Spottgedicht aus, das ihm eben jener Lehrer eingeblaſen, alſo daß ein rauhes cisalpiniſches Gelächter über den fremden Gaſtfreund durch's Refectorium erſchallte. „Wem aber iſt unbekannt, welcher Beſchaffenheit die Verſe über- müthig gewordener Mönche ſind? Was weiß ein ſolcher von der in- neren Haushaltung eines Gedichtes, wo ein Stück Purpur an's andere zu ſetzen iſt, auf daß es glänze und gleiße? was von der Würde der Dichtkunſt? — er ſpitzt die Lippen und ſpuckt ein Poem aus, gleich dem Lucilius den Horazius brandmarkt, daß er oftmals auf einem Fuße ſtehend, zweihundert Verſe dictirte und mehr noch, bevor ein Stündlein abgelaufen. Ermeſſet nun, ehrwürdige Brüder, welch' ein Maß von Unrecht man mir angethan, und was der für ein Menſch ſein muß, der ſeinem Nebenmenſchen den Irrthum eines Ablativus vorhält!“ Der Menſch, der in harmloſem Scherz dieſen Frevel begangen, war Ekkehard; wenig Wochen bevor ihn ſeines Schickſals Wendung auf den hohen Twiel rief, geſchah die Unthat. Mit des folgenden Morgens Frühroth war das Tiſchgeſpräch mit dem übermüthigen Welſchen vergeſſen, aber in der Bruſt deſſen, den ſie des falſchen Accuſativus überwieſen, ſaß ein Groll ſo herb und nagend, wie der ob der Waffen Achills, der einſt den Telamonier Aias in ſein Schwert gejagt und noch bei den Schatten der Unterwelt ſeitab zürnen ließ; er zog aus dem Thal, das die Sitter durchſtrömt, nordwärts, er ſah Bodenſee und Rhein, — und dachte des Accuſativus; er ritt in den altersgrauen Thoren von Köln ein und ritt hinüber auf belgiſche Erde, der falſche Accuſativus ritt hinter ihm auf dem Bug ſeines Roſſes wie ein Alp; die Kloſtermauern des heiligen Amandus thaten ihm ihren Frieden auf: im Pſalmſingen der Frühmette, in der Litanei

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/257
Zitationshilfe: Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 235. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/257>, abgerufen am 23.12.2024.